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Was darf es bei Ihnen sein?” Gezielt zeigt die Kundin auf eines der vielen Dutzend Schinkenstücke, tief unten im Stapel der Thekenauslage. Wer mit der spanischen Spezialität, dem luftgetrockneten „Jamón” groß geworden ist, weiß genau, von welchem Stück er die hauchdünnen Scheiben heruntergeschnitten bekommen möchte. Für einen „Neuling” oft unverständlich, scheint doch ein Stück wie das andere zu sein. Oder?

„Viele Kunden gehen bei der Auswahl natürlich vor allem nach dem Preis”, sagt Joan Bota, Leiter der Wurst– und Fleischwarenabteilung des Kaufhauses El Corte Inglés. Wie teuer ein Schinken ist, hängt von der Schweinerassse, dem Futter und der Reifedauer ab. Der Jamón Serrano vom hellen Hausschwein ist wesentlich günstiger als der Jamón Ibérico vom schwarzen Schwein.

Wurden die Schweine bei der Aufzucht dann noch mit Eicheln statt mit Getreidefutter gemästet, erhöht sich der Kilopreis um ein Vielfaches. Und zuletzt gilt: Je länger gereift, desto teurer. Nicht umsonst gibt es in der Bezeichnung Parallelen zum Weinausbau: Je länger eine Keule in der „Bodega”, einem Gewölbekeller, gereift ist, desto intensiver und würziger ist auch ihr Geschmack. Ab 36 Monaten sprechen Kenner dann auch von einem „Reserva”.

Die Qualitätsmerkmale müssen auf angehängten Etiketten oder Schildchen in der Auslage verzeichnet werden. Häufig findet man dort auch den Namen eines der 1700 Hersteller Spaniens. Bota rät, den Lieblingsschinken aber nicht nur an einer bestimmten Marke festzumachen: Denn guter Schinken ist als natürliches Produkt fast so empfindlich wie Wein und ein Jahrgang kann sich durchaus von einem anderen unterscheiden.

Rund hundert massige Keulen hängen am Stand der Metzgerei „Creus” im Mercat Olivar – hier hat der Kunde die Qual der Wahl. „Man muss sich einfach mal Zeit nehmen und durchprobieren”, rät Joaquin Fernandez und reicht einem Kunden je eine hauchdünne Scheibe des Serrano und einen des Ibérico über die Theke.

Jamón Serrano lässt sich an seiner etwas festeren Konsistenz, dem helleren Rot und dem leicht salzigeren Geschmack vom Ibérico unterscheiden. Die festere Textur bildet sich heraus, weil das helle Hausschwein bei seiner Aufzucht meist nur wenig Auslauf hat – der höhere Salzgehalt erklärt sich mit der kürzeren Reifedauer.

Ein Lächeln huscht über Joaquin Fernandez' Gesicht, als er beobachtet, wie genussvoll der Kunde das Fitzelchen des teuren Ibérico-Schinkens auf der Zunge zergehen lässt: „Nicht wahr? Der schmilzt wie Butter im Mund!”, schwärmt er.

Das liegt daran, dass seine Maserung gleichmäßig mit weißen Fettlinien durchzogen ist. Das iberische Schwein hat nämlich während der natürlichen Aufzucht ausreichend Zeit, Fett im Inneren des Muskelgewebes einzulagern, und nicht nur auf der Muskeloberfläche.

Kenner schätzen daher Schinkenstücke, die gleichmäßig weiß-rot marmoriert sind. „Wer sich nicht auskennt, hat oft eine Abneigung vor viel Fett”, meint Joan Bota von El Corte Inglés, „dabei ist es der Aromaträger eines jeden tierischen Produktes.” Schulterschinken (Paletilla) hat grundsätzlich einen höheren Fettanteil als das Fleisch der Keule.

Eine junge Kundin fragt Joaquin Fernandez nach einem besonders milden Schinken. „Die Milde ist nicht nur eine Sache der Sorte”, erklärt er ihr und schneidet ihr ein Scheibchen vom dünnen Fußende einer Reserva-Keule ab. Raffiniert: Weil das Salz in der am Fuß aufgehängten Keule während des Reifeprozesses langsam nach unten wandert, ist dieser Teil besonders mild.

Dafür hat das gute Stück seinen Preis: Rund 15 Euro sind für hundert Gramm eines Reserva-Schinkens vollkommen normal. „Vergessen Sie nicht, ihn eine ganze Weile vorher aus dem Kühlschrank zu nehmen”, gibt Joaquin seiner Kundin mit auf den Weg. Denn ein Hochgenuss ist auch der teuerste Schinken nur, wenn er Zimmertemperatur hat.

Nur wenn das Fett etwas zu „schwitzen” beginnt, gibt es die Aromen optimal frei, und der ganze Geschmack kann sich entfalten.