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Noch hört Claudia Gelabert nur Vogelzwitschern, wenn sie in die Ferne horcht. Wenn bald die Eisenbahn durch ihren Garten rattert, ist es vorbei mit dem Idyll. "Eine Million Euro haben wir verloren", sagt die Deutsche, die in der Immobilienbranche arbeitet. "Vor einem Jahr ist unser Haus auf 1'2 Millionen Euro geschätzt worden, jetzt würden wir vielleicht noch 200.000 Euro dafür kriegen." Claudia Gelabert gehört zu den fast 100 Immobilienbesitzern, die im Osten der Insel demnächst teil-enteignet werden, damit die Bahnlinie Manacor-Artà wieder in Betrieb genommen werden kann. 847 Quadratmeter ihrer Finca bei Son Carrió sind betroffen, dort sollen in Zukunft das neue Gleisbett und asphaltierte Zufahrtswege verlaufen.

Andere sind noch schlimmer dran als sie. So etwa das deutsche Ehepaar von nebenan, das sich dort vor zehn Jahren ein Ferienhaus gekauft hat und anonym bleiben möchte. Dass das Gebäude keine 15 Meter von der alten, in den 70er Jahren stillgelegten Bahnstrecke entfernt liegt, schreckte sie nicht. "Es hieß immer: Die Bahn wird nicht wieder in Betrieb genommen", sagt die Hausherrin.

Unter den Betroffenen ist auch das Fünfsterne-Hotel "Pula Suites", das sich bald in unmittelbare Nähe einer Bahnstrecke gerückt sehen wird. Auch einer der Erben des Allkauf-Imperiums - Klaus Viehof aus Mönchengladbach - wird teilenteignet. Er wird fast 6000 Quadratmeter seiner Finca in der Gemeinde Artà verlieren und gehört damit zu den am stärksten Betroffenen. Die Bahnstrecke verläuft mitten über sein Grundstück und wird etwa 24 Meter breit sein, wie er den Plänen des Projekts, die derzeit öffentlich ausliegen, entnommen hat. Eine Ecke des Hauptgebäudes ragt zudem in die künftige Eisenbahntrasse hinein. "Das ist alles nicht so erfreulich", sagt Viehof, der über einen Anwalt "vorsorglich" Einspruch eingelegt hat. Große Hoffnungen macht er sich jedoch nicht, angesichts der spanischen Rechtslage in Sachen Privatbesitz und Enteignung.

Bianca von Bienenstamm wiederum ist einfach nur "platt", als sie von den Plänen erfährt. Mehr als 300 Meter sei ihr Grundstück von den Gleisen entfernt. Niemand habe sie bisher informiert. Und tatsächlich: Keiner der Betroffenen hat Post vom Verkehrsministerium bekommen. Der einzige Anhaltspunkt war eine Liste mit allen Namen der Immobilienbesitzer, die im balearischen Amtsblatt und anschließend in den spanischen Tageszeitungen erschien. Vermutlich wissen viele Betroffene noch gar nichts von ihrem Unglück - und das, obwohl die Widerspruchsfrist am 18. Dezember endet.

Claudia Gelabert ärgert sich indessen besonders darüber, dass sie den Sinn des 100-Millionen-Projekts nicht zu erkennen vermag. "Wer soll denn mit diesem Zug überhaupt fahren? Lässt sich die Bahnlinie wirtschaftlich betreiben? Alles offene Fragen", sagt sie. "Das Projekt ist unausgegoren und nichts weiter als die Erfüllung eines Wahlversprechens." Dass die Mitte-Links-Koalition in Palma als Ersatz für die Enteignung Geld zahlen wird, ist dabei kein Trost. Denn große Summen wird es nicht geben. Die Balearen-Regierung hat angekündigt, maximal 400.000 Quadratmeter enteignen zu wollen. Für Entschädigungen stehen laut Verkehrsministerium 3'4 Millionen Euro zur Verfügung. Macht 8'50 Euro pro Quadratmeter.