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Die Nachricht ging vor 30 Jahren um die Welt: Am 16. September 1979 gelang zwei Ehepaaren und vier Kindern die spektakuläre Flucht mit einem Heißluftballon aus der damaligen DDR in den Westen.

Kaum eine Zeitung, kaum ein Fernsehsender, der die Sensation nicht vermeldete; sogar Stoff für einen amerikanischen Spielfilm ("Mit dem Wind nach Westen", 1981) lieferte die Geschichte. Denn nie - weder vorher noch danach - war es DDR-Bürgern geglückt, mit einem Fluggerät aus dem Osten zu fliehen.

Ein Artikel in der vergangenen Ausgabe des Mallorca Magazins führte nun dazu, dass zwei der damaligen Flüchtlinge, Petra und Günter Wetzel, noch einmal von den Ereignissen berichten. Denn als die Eheleute, die heute in Oberfranken bei Nürnberg leben, während des Urlaubs auf der Insel vergangene Woche im MM blätterten, stießen sie auf den Bericht über die Kinder der Deutschen Schule Eurocampus, die anlässlich des 20. Jahrestages des Mauerfalls ihre Gedanken dazu als Bilder zu Papier gebracht hatten. "Ich sah die Zeichnung eines riesigen Heißluftballons, der mich an unseren damaligen Ballon erinnerte, und setzte mich sofort mit der Schulleiterin Frau Fritsch in Verbindung", sagt Petra Wetzel. Die lud die Deutschen spontan zur Schulfeier am 3. Oktober ein, und so erfuhren auch die Jüngsten die sensationelle Geschichte von damals. "Es ist viel durcheinander gebracht worden im Laufe der Zeit", beklagt Günter Wetzel. "Informationen wurden weggelassen, hinzugedichtet oder spektakulär aufgeplustert." Während er ein Foto des Originalballons zeigt, erinnert er sich an die aufregende Zeit vor 30 Jahren im thüringischen Pößneck. "Wir wollten weg, aus vielen verschiedenen Gründen. Wir konnten nicht reisen, nicht die Ausbildung machen, die wir wollten, sahen keine Perspektive für unsere Kinder." In einer Zeitschrift, die ihm seine Schwägerin Petra aus Westdeutschland mitgebracht hatte, las er eine Geschichte über ein Ballonfahrertreffen in Albuquerque in den USA. Da war die Idee geboren, und zusammen mit dem befreundeten Ehepaar Strelzyk begannen die Wetzels, ihre Flucht zu planen.

Der Rest ist Geschichte, wenn auch mit Lücken und Verdrehungen. "Erst unser dritter Ballon war flugtauglich", erinnert sich Günter Wetzel. Beim ersten Ballon erwies sich der Futterstoff, den sie aus einer Lederfabrik bekamen, als nicht flugtauglich. Für den zweiten Ballon gaben sie sich als Ingenieure eines Segelsportvereins aus und kauften 1000 Quadratmeter Taft. Doch der Ballon war zu klein, um sie alle zu tragen.

Zwischendurch verlor die Familie Strelzyk Geduld und Nerven, sie wagten eine Flucht im Alleingang, scheiterten aber und mussten schon im Grenzgebiet notlanden. "Danach musste alles ganz schnell gehen, wir hatten Angst, dass der Ballon entdeckt würde." Günter Wetzel nutzte drei Wochen Urlaub, ließ sich anschließend noch zwei Wochen krankschreiben. Eine Woche lang besorgten sich die vier im ganzen Lande Stoff, vier Wochen lang nähte Günter Wetzel dann die 1200 Quadratmeter Taft, Laken und Regenmantelstoff zu einem 4000-Kubikmeter-Ballon zusammen, dem bis dahin größten in ganz Europa.

Die Flucht bei Nacht gelang, obwohl sie schon nach knapp 30 Minuten und 50 Kilometern weiter südlich zu Ende war. "Wir hatten das Gas eigentlich für anderthalb Stunden berechnet, aber durch eine Panne beim Start verloren wir es schneller und mussten schon wesentlich früher runter." Ob der Landeplatz im Westen lag, wussten die beiden Familien zunächst nicht. Erst der Blick in eine nahe gelegene bayerische Scheune brachte Gewissheit: "Solche Erntemaschinen gab es bei uns im Osten nicht." "Wir hatten keine Angst während des Fluges, es herrschte nur eine angespannte Stille", sagt Petra Wetzel. "Wir wussten, dass unser Feuer vielleicht entdeckt werden könnte, aber die Grenzer - das wussten wir auch - durften nicht einfach in die Luft schießen, ohne sicher zu sein, wer da fliegt." Sie hatten Glück, kamen noch in der Nacht alle wohlbehalten im Dorf Naila bei Hof an, wurden aufgenommen und versorgt. Die Wetzels leben heute in Oberfranken. Während die Familie Strelzyk nach der Wende nach Thüringen zurückkehrte, würden sie nie mehr fortgehen aus ihrer neuen Heimat. "Ich konnte hier endlich eine Lehre und meinen Kfz- und Elektromeister machen, und wir haben uns dort, wo schon meine Schwägerin und Schwiegermutter wohnten, eine neue Existenz aufgebaut." Schon zum dritten Mal waren die Wetzels, die auch zu Hause MM-Leser sind, nun schon auf Mallorca und nahmen nicht ohne Stolz als Ehrengäste an der Schulfeier zum Mauerfall teil. Der Zeichnerin Jana Birl schenkten sie ein Foto ihres Ballons von damals, dem das Motiv ihres Bildes "Flucht mit dem Ballon" so nahekam.

Nur ihre Geschichte, die will Günter Wetzel noch mal klarstellen. Dazu plant er, sie auf einer eigenen Webseite zu erzählen. Ganz authentisch.