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Blinzelnd steht der junge Blumenhändler vor seiner Ladentür. Noch kann er ganz in Ruhe die Morgensonne genießen. Kundschaft ist noch nicht in Sicht, die Andritxols lassen den Blumenladen rechts liegen, steuern zielgerichtet das Nachbarhaus an, um einer nach dem anderen hinter der terrakottafarbenen Fassade zu verschwinden, wie Wespen im Nest. „Die schauen morgens erst alle mal zu Gaspar“, sagt der Blumenhändler verschmitzt. „Erst mal in Ruhe Koffein tanken.“

Ruhig ist es nun nicht gerade in der Bar „Ca's Pobil“ von Gaspar Moner Alemany. Eindringlich schnatternd wird im Fernseher in der Ecke gerade ein 100-teiliges Schminkset beworben, Servicekraft Teresa wirbelt hinter der Theke energisch mit Geschirr, die Kaffeemaschine brummelt und Stammgast Toni Sanchez stakst mit ausladenden Bewegungen philosophierend durch den Gang vor dem Tresen. „41 Jahre komm' ich jetzt schon hierher“, erzählt er und seinem Tonfall ist das Hausrecht anzuhören, das er sich dadurch einräumt, „und ich schwöre euch, bis auf die Theke, die früher andersherum stand, ist noch alles genauso, wie es immer war“, Toni nimmt einen tiefen Schluck aus dem Whiskyglas, „und das kann man ja wahrlich nicht von vielen Lokalen hier sagen.“

Wenn es in Andratx an etwas nicht mangelt, dann an Friseursalons und Gaststätten. Selbst der ehemalige Bürgermeister Francesc Femenías und der Dorfpolizist führen eine Kneipe, erzählen Peter aus Berlin und der Kölner Martin, die sich gleich an einem der ersten Tische neben der Tür niedergelassen haben. Zu Verschnaufspause und Cortado.

Obwohl es sicher mehr als 50 verschiedene Möglichkeiten gibt, in Andratx seinen Morgenkaffee zu trinken – am Ende landen die meisten Alteingesessenen dann doch wieder im „Ca‘s Pobil“, das mit der „Bar Nou“ schräg gegenüber den Wettstreit um den Titel „älteste typischste Bar“ antreten könnte. Dabei weiß niemand so recht zu sagen, wie lange es die Bar mit den kleinen runden Marmortischen und der übergroßen dunkelgrünen Pinnwand, an der Zettel mit Flamencokursen, vermissten Hunden und Jobgesuchen langsam vergilben, schon gibt. Nur, dass sie eigentlich schon immer da war. Zumindest solange sich der 84-jährige Juan erinnern kann, der Wirt Gaspar zur Begrüßung erst mal schelmisch grinsend mit seiner Gehkrücke in die Seite piekt. „Hey“, ruft Gaspar und seine gutmütigen Augen funkeln, als er augenscheinlich den Überraschten spielt und damit den danebensitzenden 73-jährigen Gabriel – auch ein Urgestein im „Ca‘s Pobil“ so zum Lachen bringt, dass die breiten Streifen auf seinem Pulli das Tanzen anfangen.

Gaspar kennt seine Pappenheimer. Zwanzig Jahre schon ist er hier der Herr im Haus – und seinen Gästen eine „Seele“, wie nicht nur Peter und Martin finden. „Viele kommen auf den letzten Absacker hierher, weil Gaspar sich nicht nehmen lässt, jeden Abend selbst abzuschließen“, erzählt Peter, der schon 15 Jahre in Andratx lebt – da kann aus Mitternacht schon mal drei Uhr morgens werden, wenn die Stimmung gut ist und Gaspar die ein oder andere Runde springen lässt. Aber auch tagsüber lade der Wirt gerne mal spontan auf einen Happen ein. Gaspars rundes Gesicht erglüht, als er darauf angesprochen wird, fast wird er ein wenig verlegen. „Naja, so alle ein zwei Wochen, wenn ich gerade gut drauf bin“, der 44-Jährige lacht so herzlich, dass man glauben mag, was anderes als gute Laune kenne er gar nicht, „da überlege ich mir eben ein paar Details, dann mache ich zum Beispiel Pa amb oli, mal ein Reisgericht oder hausgemachtes Mandeleis – und nicht selten endet das Essen dann sogar in einer kleinen Party, wir sind hier ja fast irgendwie eine kleine Familie.“

Eine, die in den letzten Jahren immer internationaler geworden ist. „Mallorquiner, Deutsche, Polen, Marokkaner, durch die Bank ist alles dabei, nur Touristen verirren sich selten hierhin.“ Gaspar gefällt die Vorstellung, hier bei Kaffee und Hierbas die unterschiedlichsten Nationalitäten zusammenzuführen, die das Dorfbild seit ein paar Jahren prägen, „aber ich hab da schon eine ganz komische Erfahrung gemacht“, sagt er und fängt aus irgendeinem Grund an zu flüstern, „manche Deutschen kommen am liebsten, wenn keine anderen Deutschen da sind – irgendwie ist das doch komisch, oder?“

Toni ist mittlerweile beim zweiten – oder ist es der dritte? – Whisky und beim Ärger über die neue Einbahnstraße angelangt. Auch Süditaliener Giovanni, der, wie sich herausstellt, 25 Jahre in Stuttgart gelebt hat, bevor er 1997 auf die Insel zog, findet die neue Straßenführung „eine einzige Katastrophe“: „Der, der sich auskennt, mag sich ja noch zurecht finden – aber was ist mit den ganzen Touristen?“ Er verdreht die Augen. Auch Martin kann ein Lied davon singen, „dazu kommen ja aktuell noch die ganzen Sperren wegen der Arbeiten an der Kanalisation, jeden Tag ist derzeit woanders die Straße abgeschnitten. Da musst du erst mal suchen, um überhaupt wieder einen Weg raus aus dem Dorf zu finden.“

Aber nicht nur die Verkehrsregelung wird heiß diskutiert. An mehreren Stellen im Zentrum hat sich stehendes Wasser angesammelt, verströmt einen störend modrigen Geruch. Die Dauerbrenner für angeheizte Gemüter sind an diesem Morgen aber die Frage, wer Matas mit drei Millionen Euro wohl aus der Haft ausgelöst habe, die gestiegenen Steuern und die Arbeitslosigkeit. „Viele hier im Dorf haben im Baugewerbe gearbeitet, da läuft es jetzt natürlich mehr als madig“, erklärt Gaspar. „Wir müssen uns wohl wieder was Neues einfallen lassen – so wie damals, mit Kuba.“ Er zeigt auf eine große gerahmte Schwarz-Weiß-Fotografie, die ein Schiff zeigt. „Es gehörte dem Bruder meiner Oma, der in den 30er Jahren nach Kuba auswanderte, um dort ein besseres Leben anzufangen“, holt Gaspar aus, „damit fischte er nach Naturschwämmen.“

Ein Gewerbe, für das viele Fischer des Dorfes damals Andratx gegen den karibischen Inselstaat eintauschten. „Centimos aus Gold haben sie mitgebracht“, erinnert sich Gabriel und sein Blick wird verklärt – auch sein Vater hatte sich ein paar Jahre als Schwammfischer versucht. Und warum gerade so viele Fischer aus Andratx und nicht aus anderen Inseldörfern? „Ist doch klar“, meint Gaspar feixend, „Andratx ist von allen Dörfern auf Mallorca einfach ein paar entscheidende Kilometer am nächsten dran an Kuba.”