7. Juli – Im historischen Wasserreservoir
wummert und lärmt es wie in einer Fabrik, fahle Nebel steigen auf,
Neonröhren sind auf Gestelle geschraubt, scheinbar willkürlich.
„Signatures“ heißt die Installation des französischen Künstlers
Christian Boltanski im Aljub, dem antiken Wasserreservoir im Museum
Es Baluard. Sie wurde, so die Direktorin Cristina Ros, eigens für
das Museum gefertigt.
Vor gut einem Jahr besuchte Boltanski zum ersten Mal das Museum
und entdeckte mit scharfem Blick die eingeritzten Zeichen auf den
mächtigen Sandsteinen, die bei der Restaurierung im Jahr 2004
freigelegt wurden. Sie sind, wie der Titel der Ausstellung sagt,
Unterschriften der Arbeiter und Steinmetze, die im 16. Jahrhundert
die Festung Sant Pere und das Wasserreservoir errichteten.
Sie wurden pro Stein bezahlt, fand die Historikerin Aina Pascual
heraus. Um korrekte Abrechnung zu gewährleisten, ritzten sie ihre
Initialen in den Stein. „Hinter jedem Stein steht ein Mensch“, sagt
Boltanski. Diese Initialen setzte er in Neonröhren um, die immer
wieder in unregelmäßigen Abständen aufflackern.
Die Sache lässt an Bert Brecht denken, der schrieb: „Wer baute
das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von
Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?“ „Der
Nebel“, sagt Boltanski, „ist ein Zeichen dafür, dass die Identität
dieser Menschen diffus bleibt.“
Der Lärm wird durch die vom Künstler aufgezeichneten Herzschläge
von Menschen und, per Lautsprecher wiedergegeben, erzeugt.
„Herzschläge sind, neben Fotos, das Persönlichste, das man von
einem Menschen bewahren kann“, sagt Boltanski. Seit knapp fünf
Jahren archiviert der Künstler die Herztöne von Menschen auf der
ganzen Welt.
„Ich habe ein kleines Aufnahmestudio, das um die Welt reist.
Jeder kann dort seine Herztöne aufzeichnen lassen. Diese Aufnahmen
werden auf einer Insel in der Nähe von Japan archiviert. Da das
Projekt schon einige Zeit läuft, werden irgendwann nur noch die
Herztöne von Toten zu hören sein.“
Für Boltanski ist dies ein Gleichnis für die Anwesenheit der
Abwesenden. Auch im Museum Es Baluard kann jeder, der es möchte,
seine Herztöne aufzeichnen lassen. Bei der Fertigung der
Installation war es für Boltanski ein verblüffendes Erlebnis, dass
die Herzschläge dem Hämmern auf Stein ähneln. „Beim Bau muss ein
ähnlicher Lärm erzeugt worden sein, wie wir es jetzt hier durch das
Archive du Coeur' hören.“
Den Abwesenden, den Toten, den Verschwundenen Stimme, Gesicht
und Identität zu geben, war ihm, dem Sohn einer christlichen Mutter
und eines jüdischen Vaters, der in Paris über ein Jahr im Versteck
vor den Nazis lebte, von jeher ein Anliegen. „Ich weiß wohl, dass
man wenig bewahren kann. Man muss die Namen der Toten aufschreiben,
man muss die Erinnerung wachhalten, damit man weiß – dieser Mensch
hat gelebt in seiner eigenen Einzigartigkeit“, sagt er.
Ein neues Projekt ist dem Zufall gewidmet. „Schon als kleiner
Junge hörte ich von meinen Eltern von Freunden und Bekannten, die
von den Nazis deportiert wurden. Warum haben manche Menschen das
überlebt, andere, Juden, Freunde und Angehörige aber nicht. War es
göttlicher Wille, war es Zufall? Die Ungeheuerlichkeit der Shoah
ist ein Beispiel für das Verschwinden Einzelner in der anonymen
Masse der Toten.“
Wobei, so Boltanski der Tod der anderen und der eigene Tod etwas
ganz anderes sei. „Das neue Projekt ist auf dieses Thema
konzentriert. Ich werde in meinem Atelier in Malakoff bei Paris von
vier Kameras Tag und Nacht gefilmt, die Aufnahmen werden direkt in
einer Höhle auf Tasmanien gespeichert. Finanziert wird das Projekt
durch einen Mann, der durch Glücksspiel, also durch Zufall, eine
Menge Geld gemacht hat.“
Ein Kunstprojekt, das mit einer Art Wette verbunden ist: „Acht
Jahre erhalte ich eine Art Leib-rente für die Filmerei. Die Bilder
können erst nach Ablauf der Frist gesehen werden. Mein Sponsor ist
davon überzeugt, dass ich vor Ablauf der acht Jahre sterbe und er
damit ein gutes Geschäft gemacht hat. Ich halte dagegen und wette,
dass ich diese Frist überleben werde.“
Also ein Pakt mit den Teufel? „Nein, für mich ist von Belang,
dass ich mich mit meinem Tod auseinandersetze und vielleicht
größere Ruhe angesichts der Gewissheit des Sterbens erreiche.“
Auch die neueste Installation auf der Biennale von Venedig ist
dem Thema „Zufall“ zugeordnet: 600 Fotos von Babys werden auf
endlosen Filmreihen gezeigt. Und willkürlich angehalten; das
jeweilige Bild auf eine Leinwand projiziert. „Es ist für mich eine
positive Arbeit. Zu den Filmreihen gibt es zwei Zähler. Einer zählt
die Toten der Welt pro Sekunde – es sind fünf. Ein anderer zählt
die Geburten pro Sekunde – es sind sieben. Nur bleibt die Tatsache
bestehen, dass niemand ersetzt werden kann.“
„Signatures“. Installation von Christian Boltanski im Museum
Es Baluard, Palma, Porta Santa Catalina. Dauer bis 25.
September.
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