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Die Berichte überschlagen sich auf Mallorca und in Deutschland seit "Bild" über die Pläne von Palmas Tourismus-Dezernent Álvaro Gijón zu einer "Umstrukturierung" der Partymeile rund um den Ballermann geschrieben hat. Motto: Weniger Suff im Freien, weniger Zoff - sei es mit "Klau-Dirnen" oder anderen Szene-Gestalten.

Nicht nur der "König von Mallorca", Jürgen Drews, läuft medienwirksam Sturm gegen die Bedrohung seines Arbeitsplatzes. Alles nur heiße Luft - oder ist tatsächlich ein Ende des Party-Tourismus am Ballermann abzusehen? Und wie ist das zu bewerten? Der promovierte Soziologe Dr. Sacha Szabo erforscht schwerpunktmäßig "Vergnügungswelten wie Volksfeste und Freizeitparks". Sein Buch "Ballermann. Phänomen und Marke" erschien 2012. MM sprach mit dem Wissenschaftler.

Mallorca Magazin: Ist angesichts der Pläne der Stadtverwaltung Palma tatsächlich ein Ende der „Ballermann-Ära" – im Sinne des „Sauftourismus" – auf Mallorca in Sicht? Oder wird er sich womöglich nur verlagern?

Dr. Sacha Szabo: Wenn man realistisch ist, ist der Sauftourismus am Ballermann nur noch ein Mythos. Natürlich wird getrunken und gefeiert, aber das alles hat schon lange nicht mehr die exzessive Qualität von Anfang der Neunzigerjahre. Damals sprach man auch noch gar nicht vom Ballermann.

MM: Was bedeuten denn die Umstrukturierungspläne Ihrer Ansicht nach?

Szabo: Am Ballermann findet etwas statt, was man auch aus Zürich oder Berlin kennt: Gentrifizierung. Luxussanierungen, um höhere Wertschöpfungen zu erzielen. Natürlich werden diese Ziele verheimlicht, man spricht von Aufwertung. Das aber, was diese Quartiere so attraktiv gemacht hat, wird ausgemerzt.

MM: Und das gilt auch für den Ballermann?

Szabo: Man kann es drehen, wie man will: Ballermann ist ein Stück Kultur und anstatt es zu würdigen, versucht man es tot zu regulieren. Natürlich ist mir bewusst, dass das Widerspruch hervorruft: Ballermann und Kultur? Es gibt natürlich immer den Vorbehalt der Mittelschicht, dass Massenkultur Unterschichtvergnügen ist. Man bemüht sich zwanghaft, sich davon zu distanzieren – und hebt stattdessen auf gehobene Kultur ab, ohne zu sehen, dass Mozart vor dreihundert Jahren auch nur Unterhaltungsmusik gemacht hat. Für mich ist das Gebiet von der Playa de Palma bis Arenal eine einzigartige Vergnügungsmeile. Mallorca ohne Ballermann wäre wie Hamburg ohne St. Pauli. Viele andere Orte wären glücklich über solch einen Ort – und viele Orte hoffen Arenal zu beerben. Denn was viele vergessen: Ballermann ist viel mehr als ein geografischer Ort.

MM: Was ist der „Ballermann" für Sie vor allem: Ein Lokal? Ein Geschehen? Ein Phänomen? Ein „Mythos"?

Szabo: Ich bin nach Arenal gekommen und dachte, dort ist der Ballermann und wurde schnell eines Besseren belehrt. Viele denken, der Ballermann ist ein Ort, tatsächlich ist er ein Phänomen. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es ein außeralltägliches Phänomen im Sinne von Max Weber ist, also eines, das die existentiellen Sorgen, aber auch die Sorgen des Alltags vergessen lässt. Ich vergleiche den Ballermann immer gern mit Karneval, nur dass er das ganze Jahr ist.

MM: Allein durch die Masse erlange der einzelne  „Ballermann"-Tourist ein Gefühl von Macht, so dass er Trieben nachgibt, die er für sich allein vielleicht gezügelt hätte – wirkt hier der Herdentrieb?

Szabo: Die Masse sorgt für Gemeinschaft. Gemeinschaft ist etwas, das in unserem Alltag immer mehr verschwindet, so sinkt etwa die Attraktivität von Vereinen, aber Menschen habe weiterhin ein Bedürfnis nach Gemeinschaft, nach Verbrüderung, das stillt der Ballermann. Dazu gehört die Masse, dazu gehört die Musik, das Tanzen und: der Alkohol.

MM: Was sagen Sie zu den immer weiter um sich greifenden Maßnahmen der Stadtverwaltung Palma, den Alkoholkonsum, vor allem unter freiem Himmel, einzudämmen?

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Szabo: Ursprünglich war der Ballermann, wie eigentlich jedes neu entstehende Phänomen, eine Art gelebter Anarchie. Kaum Regeln und große Freiräume. Diese Räume werden bei so gut wie allen Phänomenen von der Gesellschaft schrittweise zivilisiert. Es gibt Gesetze, es gibt Verbote. Und so wird das Geschehen in Playa de Palma geordnet. Damit einher geht auch eine Professionalisierung des Angebots, das jetzt auf die Erwartungen hin konfektioniert wird und diese auch erfüllt.

MM: Wie erklären Sie sich, dass sich diese Art des Tourismus am Ballermann – in unserer sonst so schnelllebigen Zeit - schon so viele Jahrzehnte ohne große Veränderungen hält?

Szabo: Menschen suchen Erlebnisse, weil diese die Wirklichkeit erlebbar machen. Der Mensch ist als eines der wenigen Wesen mit der Gabe ausgestattet, sich zu reflektieren. Den Preis, den er dafür bezahlt, ist das Wissen um die Unsicherheit seiner Existenz – er weiß, er ist verletzlich und sterblich. Diese Erkenntnis will der Mensch für einen kurzen Moment vergessen, er hat das Bedürfnis nach Sorgenfreiheit. Erlebnisse, wie der Ballermann, ermöglichen das. Er ist in einem Jenseits der Sorgen, in einer Art Paradies, wenn auch nur für einen kurzen Moment.

MM: Sehen Sie dennoch Veränderungen im Laufe der Zeit – in der Art, wie diese „Sehnsüchte" bedient werden?

Szabo: Für mich als Festforscher war der Ballermann der Anfangsjahre eine Art Epizentrum, man konnte wie in eine Art Ursuppe hineinsehen und erkennen, wie Feste entstehen. Jetzt kann man erleben, wie diese Phänomene von der Gesellschaft vereinnahmt werden. Von der Politik, von der Gesetzgebung – und natürlich von der Wirtschaft. Aus dem spontanen Ereignis ist ein Produkt mit Erlebnisgarantie entstanden.

MM: „Die Meta-Intention ist Sex", sagen Sie. Aber eher in der Fantasie, oder?

Szabo: Natürlich ist die Stimmung eine erotisierte. Das Spannende an der Sexualität ist aber, dass sie vielleicht der ursprünglichste Rauschzustand des Menschen ist. Der Mensch hebt in der Sexualität die Grenzen zwischen Ich und Du auf, ganz wie das Platon im Gastmahl beschrieben hat. Diese Erfahrung ist die zentrale, die auf dem Ballermann gesucht wird. Manchmal erfüllt sie sich, aber vor allem dient sie als Attraktor, also als Anreiz.

MM: Interessant, wie Sie etwa das Innendesign des „Megaparks" - Kirchenfenster, tempelähnlicher Bau - deuten: Die Schaffung von „Orientierung" und „Zugehörigkeit", die früher den Religionen vorbehalten war, nun in der Hand von Vergnügungstempeln - ein kleines „Jenseits vom Alltag" im Hier und Jetzt?

Szabo: Für mich war es eine völlig überraschende Entdeckung, wie viele religiöse Elemente im Ballermann integriert sind. Eigentlich haben ja alle Feste einen religiösen Ursprung, aber ich dachte, das gilt für die Vergangenheit. Diese Dinge sind keinesfalls gotteslästerlich, sondern sind eher Indizien dafür, dass sich Menschen nach einer heilen Welt sehnen. In dem Maße, wie nun traditionelle Institutionen an Attraktivität verlieren, suchen sich Menschen neue Formen. Der Ballermann ist, wenn man es zeitgemäß ausdrücken will, eine Art Wurmloch ins Paradies.

MM: Würden Sie sagen, der „Ballermann" hat sogar den deutschen Schlager gerettet?

Szabo: Dem würde ich sofort zustimmen. Der deutsche Schlager geriet in den Achtzigerjahren in die Krise, und der Strand von Mallorca war ein Reservat, der ihm erhalten blieb, weil er etwas Vertrautes hatte und Sicherheit vermittelte. Aber er hat sich auch entwickelt, es ist etwas völlig Neues aus dem Schlager entstanden: die Partyhits, die Ballermann-Lieder mit einem hohen Mitmachfaktor und einem besonderen Humor.

MM: Wo / wie sehen Sie denn den „Ballermann" in zehn Jahren?

Szabo: Ich halte ihn, das wird nicht wundern, für eine Art Kulturgut, und fände es bedauerlich, wenn er verschwindet. Gleichzeitig ist der Ballermann wirklich fast jedem ein Begriff, daher muss man nicht Sorge um ihn haben. Realistisch prognostiziert: Der Ballermann auf Mallorca wird in immer stärkerem Maße institutionalisiert und bewirtschaftet werden. Aber das Phänomen Ballermann hat sich bereits von dem geographischen Ort gelöst und wird inzwischen auch woanders gefeiert – in Bulgarien, in Ungarn oder auch in Oberhausen.

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