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Kaum zu glauben, wenn man heute auf den breiten Ausfallstraßen an den plakativen Fabrikhallen, Warenhäusern und Möbelgeschäften vorbeikommt: Manacor, das urbane Zentrum im Inselosten, besaß einmal eine mittelalterliche Altstadt, mit Stadtmauern, Toren, Palästen und Brücken. Ganze fünf Brücken sollen es gewesen sein, die zwei historische Viertel über den die Stadt durchquerenden Torrent verbanden. Die gotische Stadt säumte zu beiden Seiten den Wildbach, der nach starken Regenfällen Wasser führte.

Wassermassen. Mancor ist bekannt für seine Überschwemmungen. 1932 flutete der Fluss die halbe Stadt, 1989 wiederholte sich das Schauspiel. Die Torrent-Straße, die heute im Schatten ihrer Laubbäume zahlreiche marokkanische und chinesische Läden aufweist, verwandelte sich in einen reißenden Fluss, nachdem die fortgespülten Autos die unterirdische Ablaufröhre hoffnungslos verstopft hatten.

Heute wäre das kaum noch möglich. Denn die Ausweitung der gebührenpflichtigen Parkplätze in jüngerer Zeit hat die Zahl der abgestellten Autos im historischen Stadtkern deutlich verringert. Schlecht für Fahrer, gut für Fußgänger: Wer heute durch den Ort läuft, tut dies im Vergleich zu vor zehn Jahren deutlich befreiter.

Soll heißen: Manacor hat in der Vergangenheit viel erlebt und sich immer wieder verändern müssen. Stillstand war in der Inselmetropole, die früher häufig als schmutzige Industriestadt beschrieben wurde, nicht angesagt. Und so schlecht ist die Entwicklung seit der Jahrtausendwende nicht gewesen für die 30.000-Einwohner-Stadt.

"Was sich wirklich geändert hat", sagt Manacors Lokalhistoriker Antoni Tugores, "sind die Bäume. Sie sind groß geworden. Früher gab es hier nicht einen einzigen Baum!" Mit "hier" meint der Buchautor die Fußgängerzone rund um die neogotische Kirche, die gleichsam den Mittelpunkt des Ortes bildet, sowie einige Plätze im Umfeld. Platanen strecken ihr Grün zwischen die sandsteinfarbenen Häuser, in ihrem Schatten haben Café- und Bar-Betreiber ihre Tische und Stühle aufgestellt. Ende der 1990er Jahre wurde der Verkehr aus dem Herzen der Stadt verbannt, die Straßen neu gepflastert.

Tugores kann sich noch gut daran erinnern, wie in den engen Straßen direkt an der Kirche vorbei, in beide Fahrtrichtungen Busse unterwegs waren, die Touristen aus Palma in die Drachenhöhlen nach Porto Cristo chauffierten und auch einen Stopp bei der Perlenfabrik Majórica einlegten, die in Spitzenzeiten weit über 1000 Mitarbeiter beschäftigte. Heute sind es nicht einmal mehr ein Drittel. Die Stadt steckt im Strukturwandel, der sie vom Industrie- zum Dienstleistungsstandort verändert.

Auffällig in der Innenstadt: die vielen Modegeschäfte mit ihren großzügigen Schaufenstern. Besonders viel Leben herrscht in der Innenstadt am Samstag beim alternativen Agrarmarkt, der aber zuletzt unter Schwund leidet, sowie am Montag beim Wochenmarkt. Dann reihen sich Stand an Stand, bis zu den historischen Markthallen auf der Plaça de la Constitució.

"Früher hat man in Manacor so gut wie keine Touristen gesehen", sagt Britt Müller, "heute gehören sie zum Stadtbild." Wie kommt's? Die seit 2000 im Inselosten lebende Deutsche kennt den Grund. "Das sind Tennis-Fans, die nach Manacor kommen, um die Heimatstadt von Rafael Nadal kennenzulernen."

Früher buk Britt Müller ökologisches Dinkelbrot, heute verkauft sie in ihrem Ladengeschäft glutenfreie Lebensmittel sowie Waren für Veganer- und Raw-Food-Adepten, führt Heilbehandlungen durch. Sie freut sich, dass mit dem Plaer Vegetarià seit fast einem Jahr nun auch ein vegetarisches Restaurant zu finden ist. "Es gibt eben doch Veränderungen."

Läuft man durch die Straßen, die vom Zentrum wegführen, fällt der Blick mitunter in kleine Schreinereien, in denen eifrig gehobelt, gesägt, gedrechselt wird. Noch immer werden vor Ort Möbel gefertigt, die etwa für die Hotelindustrie bis in die Karibik exportiert werden. "Und dennoch ist die Branche in den vergangenen Jahren um gut ein Drittel geschrumpft", sagt Tischler Sebastià Galmés. Er schuf sich nach der Schließung eines Großbetriebs eine eigene Nische, fertigt Spielzeug und Gerüste für Holzhäuser.

"Sie sind fast alle weg", sagt auch Cipriano Teomiro, ein Maurermeister aus der Extremadura, der sich vor 26 Jahren in Manacor niederließ. Seine Landsleute aus Südspanien fanden einst reichlich Arbeit in den Fabriken und auf den Baustellen im Inselosten. Jetzt seien viele in ihre Heimatdörfer zurückgekehrt.

Auswandern - das Schicksal blieb selbst den Einwohnern von Manacor nicht erspart. Als die Rebplaus-Plage um 1895 die üppige Weinwirtschaft im Inselosten über Nacht auslöschte, emigrierten viele "Manacorís" nach Argentinien. Manche gelangten zu großem Wohlstand, kehrten zurück und schufen Hotels, Bars und Theater, Kinos. Von der damaligen Kulturblüte sind im Zentrum meist nur verfallene Häuser übrig geblieben. Und auch die berühmtesten Möbelgeschäfte der Stadt, die einst die zentrale Einkaufsstraße Pou Fondo säumten, stehen leer. Die Nachbarschaft in dem Viertel wandelt sich, viele sprechen Arabisch.

Parallel zum Niedergang haben sich wiederum neue Dienstleistungen etabliert. Das Ende der 1990er Jahre geschaffene Bezirkskrankenhaus bringt viele Menschen in die Stadt, und auch die wiedereröffnete Bahnlinie Palma-Manacor führt dem Geschäftsleben der Stadt neue Kunden zu. Anderseits leidet die Innenstadt zunehmend unter der wachsenden Konkurrenz großer Verkaufsflächen am Ortsrand, sagt ein Händler.

"In Manacor hat sich sehr viel zum Positiven geändert", resümiert der deutsche Weinhänder Norbert Deingruber, seit 20 Jahren ortsansässig. Das gelte für die Innenstadt. Drumherum habe sich aber nicht so viel getan. Manacor sei stets Industriestandort gewesen. Das zeige sich auch in der Architektur. "Man hat nicht auf Schönheit geachtet. Nur auf Funktionalität."