Nach Palma kommt die 78-jährige Ellen Thiemann regelmäßig. Das Bild zeigt sie am Paseo Mallorca.

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Ellen Thiemann schüttelt den Kopf. "Vergeben und vergessen? Das geht nicht, solange die Täter nie um Entschuldigung gebeten haben, solange sie nicht versucht haben, sich zu erklären", lautet die eindeutige Meinung der gebürtigen Dresdnerin. Aufklärungsarbeit leisten über die Verbrechen der Stasi in der einstigen DDR - seit vielen Jahren Thiemanns Lebensaufgabe. Das war schon so in der Zeit, als Mallorca ihr Zuhause gewesen ist, in den Jahren 1996 bis 2006. Denn Ellen Thiemann ist Opfer und hatte bereits damals viel zu erzählen. Gerade stattete die 78-Jährige Mallorca wieder einen Besuch ab und traf sich mit MM.

1972 wollte Ellen Thiemann mit ihrem Mann Klaus aus Ost-Berlin in den Westen fliehen. Doch die Pläne waren verraten worden, es kam nicht zur Flucht, stattdessen zur Verhaftung. Später wurde Thiemann zu drei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Sie saß 23 Monate im berüchtigten Frauenzuchthaus Hoheneck. Folter, Schlafentzug, Zwangsarbeit.

1975 kommt Thiemann frei, darf mit ihrem Sohn in den Westen ausreisen. Sie zieht nach Köln, ist jahrelang für die Boulevardzeitung "Express" als Redakteurin und Ressortleiterin tätig. Schon 1984 erscheint ihr Buch "Stell dich mit den Schergen gut", in dem sie über ihre Haft berichtet. Dass die Stasi auch den Rest ihres Lebens bestimmen wird, war zu dem Zeitpunkt für Thiemann noch nicht abzusehen. "Ich habe gedacht, mit der Aufklärung habe ich meine Pflicht getan. Jetzt muss ich Abstand gewinnen, um das Leben genießen zu können."

Als sie 1992 das erste Mal Einblick in ihre Stasi-Akten bekommt, stellt Thiemann fest, dass ihr Ex-Mann Klaus, früher Fußballer, dann Sportjournalist, ein Stasi-Spitzel war und sogar die eigene Ehefrau bespitzelt hat. "Da ging es erst richtig los ...", meint die Autorin über ihre Aufklärungsaktivitäten. Es folgen zwei weitere Bücher - "Der Feind an meiner Seite" (2005) und "Wo sind die Toten von Hoheneck?" (2013).

Thiemann forscht weiter, wälzt Akten für sich selbst und auch für andere Stasi-Opfer, sitzt in Talkshows, nimmt an Diskussionsveranstaltungen teil, wird zu Vorträgen eingeladen. Sie macht oft die Erfahrung, dass die Täter von damals immer noch präsent sind. Und häufig bis heute noch nicht enttarnt. "Bei mir gibt es zum Beispiel immer noch sieben IM, deren Klarnamen nicht bekannt sind."

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Thiemann wirkt unter anderem in Zeitzeugenprojekten mit und zeigt sich enttäuscht darüber, dass sich 25 Jahre nach der Wiedervereinigung "die Opferverbände zoffen". Sie weiß auch: "Manchen Politikern passt es nicht, dass wir Horrorgeschichten erzählen." Dennoch will Thiemann weitermachen. Auch wenn sie sich durch ihre Erzählungen und Forschungen nicht selten in unangenehme bis beängstigende Situationen bringt. "Jedes Mal, wenn ich irgendwo im TV zu sehen bin, muss ich mit Anrufen rechnen."

Ellen Thiemann glaubt, dass die Aufarbeitung der DDR-Geschichte noch viel Zeit in Anspruch nehmen wird. "Das Thema, das jetzt in den Mittelpunkt rückt, ist die Zwangsarbeit", stellt sie in Aussicht.

Auch Ellen Thiemann will an der Vergangenheitsbewältigung weiterhin mitwirken. Auf die Frage, ob es noch ein viertes Buch zum Themenkomplex geben wird, meint sie: "Ja. Dabei wollte ich eigentlich endlich mal einen Mallorca-Krimi und eine Familiensaga schreiben. Aber es wird noch ein politisches Buch geben."

Wenn Ellen Thiemann nach Mallorca kommt, widmet sie sich heutzutage weniger dem Schreiben, sondern ihrer zweiten Passion, der Malerei. In Palma besucht Thiemann mehrmals im Jahr Aquarellkurse der Kunstdozentin Mercedes Laviña.

(aus MM 48/2015)