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Vermissen tut Kai Büssow nichts in seiner Urbanisation. Seitdem 2005 die Kirche in Bahia Grande gebaut wurde, ist für ihn das Feeling vollkommen. "Sonntags ist das wie im Dorf in Llucmajor. Dann zieht man sich einen Anzug an, geht in die Kirche und anschließend in die Kneipe." Wie in Llucmajor, nur schöner: Von der Terrasse seines Häuschens in einer Seitenstraße blickt der 50-jährige DJ aus dem Bamboleo in der Schinkenstraße auf die Bucht von Palma. Die engen Gassen der Kerngemeinde wären nichts für ihn, sagt er.

Büssow lebt in einer sogenannten Urbanisation, die im Deutschen mit Wohnsiedlung übersetzt wird. Ganz exakt trifft diese Bezeichnung jedoch nicht zu. Onofre Rullán, Professor für Geografie an der Balearenuniversität UIB, hat mehrere wissenschaftliche Abhandlungen zu diesem Thema geschrieben. Demnach sind die ersten Urbanisationen als Reaktion auf den Zuzug von Touristen entstanden und zum anderen aufgrund der Nachfrage aus zentraleuropäischen Ländern nach Wohnraum im Süden, die sogenannten "Residenten". "In den 50er, 60er Jahren ist diese Wohnform geradezu explodiert", sagt Rullán.

Die ersten Touristen-Urbanisationen wie das in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts gebaute Cala d'Or, lagen direkt am Meer, später ging es auch Richtung Inselmitte. "Zum anderen gab es auf Mallorca auch eine Expansion der Stadt", sagt der Geografieprofessor.

So sei beispielsweise Palmanyola zwischen Palma und Bunyola entstanden. Auch Palmas heutiger Stadtteil El Terreno sei ursprünglich eine Urbanisation gewesen. "Eine Mischung aus Ferienhäusern und Hotels", sagt Rullán und meint die Hotels, die heute den Paseo Marítimo säumen. Zwischen Santa Catalina und El Terreno gab es damals nichts. "Von oben sah es aus wie eine Insel", sagt Rullán.

Der Hauptunterschied zum Leben im Dorf liege in der sozialen Struktur der Urbanisation begründet, sagt der Wissenschaftler. "Urbanisationen sind nicht gewachsen, dort haben nicht mehrere Generationen gewohnt. Den aus London stammenden Nachbarn kennt man je nach eigener Herkunft eher als Einheimische", sagt Rullán. Das bestätigt auch Kai Büssow, wenn er auf seine Straße blickt. Gegenüber wohnt seit Neuestem eine chinesische Familie, die das halb verfallene Haus kernsaniert hat. "Die sind mit 20 Mann durchgelaufen, in drei Wochen war es fertig", sagt er anerkennend. Die Straße ist international: Deutsche, Mallorquiner, Araber, Italiener. "Dem einen sagst du Hola, dem anderen Salam Aleikum." Viele seien auch nicht ständig vor Ort.

Das hat seine Nachteile, wie Ingeburg Sittel weiß. Sie verbringt seit 1963 immer einen Teil des Jahres in ihrem Haus in der Urbanisation Cala Murada, mittlerweile haben vier Generationen ihrer Familie dort Urlaube verbracht. Jedes Mal, wenn sie wieder da ist, hat sich etwas verändert. "Man kennt viele Leute gar nicht mehr, die Gemeinschaft ist nicht mehr so wie früher", sagt sie.

Nicht jeder teilt die Begeisterung seiner Eltern für das Ferienhaus an immer ein und demselben Ort. Für die über 80-jährige Sittel gibt es aber ein anderes Kriterium: Der Krankenwagen braucht 35 Minuten nach Cala Murada, das bringt eine gewisse Unsicherheit. Das ist nicht das einzige Problem: Die Siedlung stammt aus den 50er Jahren und gilt als so etwas wie ein Stiefkind der Gemeinde Manacor. Über fehlende Bürgersteige, poröse Wasserleitungen und ungefiltertes Abwasser einiger Häuser wurde immer wieder in der lokalen Presse berichtet.

Probleme solchen Ausmaßes hat Daniel Noll in der Urbanisation Sa Font Seca zwischen Palma und Bunyola nicht, kleinere hingegen schon. Auch nach mehr als 20 Jahren ist immer noch nicht alles offiziell abgenommen. "Wir haben zwar Wasser und Strom, den Bordstein vor meinem Haus musste ich aber selbst bezahlen", erzählt Noll. Auch dass die Durchfahrtsstraße extrem gefährlich sei, die Sa Font Seca von der Nachbarurbanisation Palmanyola trennt, wisse man in Bun-yola. Geschehen ist allerdings noch nichts. "Da stehen wir innerhalb der Gemeinde sicher hinten an", sagt Noll.

Dennoch ist Sa Font Seca für ihn und seine Familie der optimale Ort zum Leben. Er genießt einen Blick auf Berge und Grün und hat trotz der Nähe zu Palma Ruhe. "Wenn die Kinder aus der Schule kommen, kann ich das Tor zum Haus aufstehen lassen und sie gehen raus zum Spielen mit den Nachbarskindern", sagt er. Rund 50 Parteien zählt die Mini-Urbanisation, jeder zahlt einen monatlichen Beitrag in eine Gemeinschaftskasse, eine Organisation ähnlich einer Hausgemeinschaft. Davon wird beispielsweise ein eigener Reinigungsservice bezahlt. Eigeninitiative ist manchmal gefragt.

Auch in Bahia Grande muss man die zuständige Gemeinde in Llucmajor häufiger mal nerven, allerdings leben hier auch knapp 18.000 Menschen. "Wir haben eine sehr starke Vereinigung und mucken sofort auf", sagt Büssow. Dank des Einsatzes einer ehemaligen Anwohnersprecherin habe man heute ein sehr gutes Klärwerk und eine gute Wasserversorgung. "Früher warst du auch mal drei Tage ohne Strom oder eine Woche ohne Wasser", sagt Büssow.

Dafür sind die Preise im Vergleich zu Palma und zum Südwesten in Bahia Grande noch erschwinglich. Ein Einfamilienhaus mit 600 Quadratmeter Grundstück sei für 300.000 Euro zu haben, sagt Anna Maria Grundmann, die lange als Immobilienmaklerin im Ort gearbeitet hat. Sie fühlt sich wohl in Bahia Grande, trotz der gelegentlich spürbaren Vernachlässigung durch die Gemeinde.

"Hier ist es richtig angenehm", sagt sie und auch Lebensgefährte Helmut Krüger ist begeistert über die Lebendigkeit im Ort, auch im Winter. "Das hätte ich nicht erwartet", sagt er. Krüger wohnte früher in Dörfern wie Alaró und Lloseta. "Dort ist man gegenüber Zugezogenen doch etwas verschlossener, hier ist das anders, man ist viel offener." Gehe man ins benachbarte Bahia Azul, gebe es auch einen Zugang zum Meer. Sogar unter mehreren Boutiquen habe man im Ort mittlerweile die Auswahl. "Zu meinem Leidwesen", sagt Anna Maria Grundmann. Denn dort gebe sie gerne mal etwas mehr aus.

Drei Kindergärten, eine Schule, ein Fußballplatz, Kneipen, Friseur und ein Veranstaltungsplatz mit Ganzjahres-Grillplätzen. "Es ist eine unwahrscheinlich lebendige Urbanisation", sagt Kai Büssow. Ziel sei jetzt noch eine eigene Ambulanz, den Krankenwagen müsse man allerdings selbst bezahlen und daran hapert es momentan. "So weit sind wir noch nicht. Hier oben sitzt ja jeder auf dem Geld."

Dabei gibt es auch in Bahia Grande Deutsche, die kein Spanisch sprechen und sich isolieren, ergo auch keinen Krankenwagen rufen können. Die Altersstruktur sei anders als in einem gewachsenen Dorf. "Bahia Grande ist das Sun City von Mallorca", sagt Büssow grinsend in Anlehnung an das berühmte Rentnerparadies im US-Bundesstaat Arizona. Und trifft die Sache wohl auf den Punkt.