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"Es gibt keinen Führer, Sie müssen selbst darauf achten, die Anschlüsse nicht zu verpassen", weist der Mann am Schalter die dreiköpfige spanische Familie an, die am alten Bahnhof in Palma am Anfang der Schlange steht. Hier gibt es die Tickets für die "Inseltour auf eigene Faust" ("Vuelta isla a tu aire"). Es ist 9.50 Uhr, um 10.10 Uhr soll es losgehen. Im Schnelldurchgang spult der Mitarbeiter den Ablauf herunter: Von Palma mit dem Zug nach Sóller, von da aus weiter mit der historischen Straßenbahn nach Port de Sóller und von dort mit dem Schiff nach Sa Calobra. "Die Abfahrtszeiten stehen hier", sagt er und drückt den Spaniern die Karten in die Hand. "In Sa Calobra haben Sie zweieinhalb Stunden Aufenthalt, dann geht es den gleichen Weg wieder zurück", sagt der Verkäufer und wendet sich den nächsten Kunden zu.

Seit 2003 wird die "Inselrundfahrt auf eigene Faust" angeboten. "Die eigentliche Inselrundfahrt gibt es schon seit 1972", berichtet Bernardo Stengel. Der Deutsche war es, der - damals als Zweigstellenleiter von Ultramar Express (heute TUI Spanien) in Peguera - das ursprüngliche Ausflugs-Kombi-Paket ins Leben gerufen hat. "Anders als die ,Tour auf eigene Faust' ist sie geführt und ein Teil der Strecke wird mit dem Bus vorbei am Kloster Lluc zurückgelegt", berichtet er. Ob geführt oder auf eigene Faust - beide Touren sind auch nach Jahrzehnten immer noch beliebt. "Sie sind ein Klassiker und werden von allen Ausflügen am meisten nachgefragt", bestätigt Torsten Keil, Resort Manager von Thomas Cook.

Zweimal tutet es laut, dann setzt sich der alte Zug in Bewegung. Er ist unterteilt in kleine Abteile à zwölf Personen. Die spanische Familie vom Schalter ist nicht zu sehen, dafür ein niederländisches Rentnerehepaar mit zwei Enkelkindern, die verzückt aus dem Fenster der Lok blicken. Auch eine Gruppe Festlandspanier genießt die Aussicht der Tramuntana, die näher kommt, als der "rote Blitz" Palmas Stadtgrenzen verlässt. Mit einem Blitz hat der Zug allerdings wenig gemein. "In dem Tempo kommen wir heute nicht mehr an", meckert einer der Spanier scherzhaft. Doch es hat Charme, die Bäumchen und Felder und später die Berge und Täler langsam an sich vorbeiziehen zu sehen. Nur eine alte Dame hat keinen Blick für die Natur. Sie ist in eine Lokalzeitung vertieft. Als der Schaffner kommt, plaudert sie vertraut auf Mallorquinisch mit ihm, dann locht er ihre Monatskarte - moderne Scangeräte gibt es hier nicht. Fünf Minuten wird am Mirador des Pujol d'en Banya Halt gemacht, die Touristen knipsen eifrig Fotos von der atemberaubenden Aussicht und dem hölzernen Zug, die Mallorquinerin löst das Sudoku in der Zeitung, dann geht es weiter.

Nach etwa einer Stunde ist der Bahnhof in Sóller erreicht, es ist 11.20 Uhr. Die Menschenmassen drängen in den Bahnhof und auf der anderen Seite wieder hinaus. Die meisten warten auf die historische Straßenbahn, die sie weiter zum Hafen von Sóller bringt. Die erste ist schnell überfüllt, die zweite kommt eine halbe Stunde später. Das Personal der Bar "El Tren" ("der Zug") gleich neben der Haltestelle ist darauf eingestellt, zählt darauf. Schnell füllen sich die Außentische mit wartenden Touristen. Einen Bummel durch Sóller traut sich kaum jemand - man muss die nächste Straßenbahn bekommen, sonst verpasst man das Schiff.

Gut, dass die Bahn, als sie endlich eintrifft, an der Kirche vorbeifährt. Wer schnell ist, dem gelingt ein Schnappschuss von dem beeindruckenden Gebäude, bevor die Bahn eine Kurve fährt. Sie ist offen und luftig, wer die Hand ausstreckt, kann die Orangenbäume am Wegesrand berühren. "Davon haben sie im Fernsehen erzählt", sagt eine Britin im Teenageralter begeistert zu ihren Eltern. Als der Hafen in Sicht kommt, werden wieder die Kameras gezückt. Und wieder strömen alle an der Endhaltestelle aus der Bahn, doch der Trick mit der Massenintelligenz funktioniert diesmal nicht. Die Menschen zerstreuen sich, nicht alle wollen mit dem Schiff weiter nach Sa Calobra. Wo steht es eigentlich? Nach kurzem Umherirren kommt ein Touristenbüro in Sicht. Das Boot fahre in zehn Minuten ab, heißt es dort. Ein paar Aufnahmen vom Hafen, vielleicht noch ein Eis auf die Hand, dann öffnet die Besatzung die Kordeln am Steg und alles darf an Bord gehen. Über und unter Deck sind Sitzplätze frei, eine kleine Bar verkauft überteuerte Snacks. Als das Schiff nach einiger Verzögerung endlich ablegt, ist die lähmende Hitze vom Hafen schnell vergessen. Der Fahrtwind bläst, das Schiff fährt an der beeindruckenden Steilküste im Westen der Insel vorbei gen Norden - das Highlight der Tour, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass die Fahrt nach Sa Calobra über Land das genaue Gegenteil darstellt: Kurven, Stau, Enge und Stress. Die knapp 50 Schiffsminuten dagegen vergehen wie im Flug, schon bald kommen der Hafen von Sa Calobra und die Felsschlucht des Torrent de Pareis mit kleinem Sandstrand in Sicht.

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Wer schnell von Bord geht, kann sich die Schlangen sparen, die sich bald an den Restaurants am Hafen bilden. Fast 20 Euro für einen Eistee und einen Teller lauwarme Paella sind unangemessen. Essen mitbuchen lohnt sich also doch - oder besser: selbst mitbringen. Immerhin, die Aussicht ist toll.

Am zehn Gehminuten entfernten Strand ist es brechend voll. Beeindruckend sind der riesige Felskessel und die kleine Badebucht trotzdem - nur Privatsphäre kann man dort im Hochsommer tagsüber genau so wenig erwarten, wie an leichter zu erreichenden Buchten.

Um 16.40 Uhr soll das Schiff die Rückfahrt antreten. Die dreiköpfige spanische Familie, die schon am Kartenschalter in Palma vorne in der Schlange gestanden hatte, ist eine der Ersten, die an Bord geht. Vater, Mutter und Sohn sehen erschöpft, aber zufrieden aus. "Es ist ein ganz schön langer Ausflug. Jetzt geht es ja den ganzen Weg wieder zurück", findet Janine Giese, die mit Mann und zwei Kindern im Grundschulalter unterwegs ist und zielstrebig auf die Sitzplätze unter Deck zugeht. Viele Passagiere schlafen auf dem Weg zurück zum Hafen in Sóller, die Sonne hat sie müde gemacht. Wieder auf die Straßenbahn warten, wieder zum Bahnhof, wieder mit dem tuckernden Zug gen Palma. "Jetzt wäre es schon schön, wenn er etwas schneller fahren würde, ich will duschen", findet Isabelle Meinert. Aus ihrer Tasche guckt ein Strandhandtuch. Als der Zug um 19.40 Uhr in Palma einfährt, steht sie auf und lächelt. "Ein langer Tag, aber unvergesslich."

WICHTIGE FAKTEN

Die Inselrundfahrt auf eigene Faust sowie die geführte Inseltour kann man auf www.vallsollerservices.com buchen. Auswärtige zahlen 52 Euro, Mallorca-Residenten 34 Euro (geführte Tour: 57 Euro). Tickets gibt es auch am Schalter des Sóller-Zuges in Palma.. Ein Angebot mit Paella-Essen in Sa Calobra gibt es momentan für Residenten auf www.barcosazules.com. Von Anfang November bis Ende Februar wird der Sóller-Zug wegen Renovierungsarbeiten nicht fahren.

(aus MM 32/2016)