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Carsten Wollmann glaubt fest daran: Auch Erwachsene können lernen, eine Fremdsprache so zu sprechen, dass man keinen Akzent ihrer Muttersprache mehr heraushören kann. Wollmann ist Logopäde und Ergotherapeut und lebt seit sechs Jahren auf Mallorca. Er hat schon Deutsche behandelt, die das Ziel hatten, akzentlos Spanisch zu sprechen. "Manche Leute behaupten, das sei nicht möglich, aber bei gesunden Menschen stimmen die anatomischen Voraussetzungen in der Regel", erzählt Wollmann und ist sich sicher: "Man kann den deutschen Akzent abtrainieren." Dennoch warnt er: "Leicht ist das aber nicht."

Deutsche Bücher, deutsche Filme, deutsche Medien, den Kontakt zu deutschen Freunden und Verwandten - all das sollte man für eine Zeit lang möglichst komplett aufgeben, um optimale Voraussetzungen zu schaffen. Immersion, "Sprachbad", nennt Wollmann das. Das komplette Eintauchen in das Spanische. Im Idealfall für mehrere Monate oder Jahre. "Wer einen deutschen Partner hat, der kann es kaum schaffen. Auch nicht, wenn man mit ihm auf Spanisch redet. Es ist wichtig, permanent mit Muttersprachlern zu kommunizieren." Hilfreich sei, schon vorher theoretisches Wissen über den Aufbau und die Phonologie beider Sprachen zu haben. "Man muss sich darüber bewusst sein, welche Laute wie ausgesprochen werden. Autodidaktisch und auf der Straße wird das kaum gelingen. Besser ist es, wenn man tatsächlich mit einer muttersprachlichen Lehrkraft lernt", so Wollmann. "Und es braucht konsequentes Feedback. Wenn Muttersprachler die Sätze verbessern und korrekt wiederholen, kann das sehr helfen."

Dem stimmt Rodney Lietz zu. Auch er ist Logopäde und bietet gemeinsam mit seiner Kollegin Miriam Jaeschke Hausbesuche in Hannover und auf Mallorca an. "Man lernt am Vorbild", weiß er. Gewohnheiten aufzubrechen sei schwer. "Menschen, die Spanisch neu lernen, und von Anfang an das Ziel haben, möglichst akzentfrei zu sprechen, werden es einfacher haben als diejenigen, die es bereits seit 20 Jahren falsch aussprechen." Wie lange es dauert und wie gut es funktioniert, hänge vom jeweiligen Fall ab. "Es hat auch viel mit Sprachgefühl zu tun. Wer vorher schon viele Sprachen gelernt hat oder gar in anderen Sprachen bilingual aufgewachsen ist, der wird es ungleich leichter haben, auch die spanische Aussprache zu perfektionieren." Lietz muss es wissen, er selbst ist deutsch-englisch-sprachig aufgewachsen. "Ich habe es bisher nicht darauf angelegt, Spanisch perfekt auszusprechen, aber wenn ich mich anstrengen würde, könnte ich es sicher lernen", glaubt er.

Auch die Herkunftsregion in Deutschland könne minimal beeinflussen, wie leicht es fällt, korrekt auszusprechen. Viele Bayern beispielsweise rollen das 'R' und sprechen das 'S' meist scharf aus, genau wie im Spanischen. "Und wenn ein Bayer problemlos vom Dialekt ins Hochdeutsche wechseln kann, zeigt das auch, dass er ein gutes Sprachgefühl hat", so Lietz.

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Spanisch ist bei weitem nicht Chinesisch, auch im Vergleich zum Französischen erscheint die Aussprache gar nicht so kompliziert. Tatsächlich hat das Spanische weniger Laute als das Deutsche (Vergleich: im Deutschen gibt es 22 Konsonantenlaute und 15 Vokallaute, im Spanischen nur 18 beziehungsweise fünf). "Für Deutsche ist es also einfacher, die spanische Aussprache zu lernen als andersherum", so Wollmann. Trotzdem sei es bei Weitem kein Kinderspiel. "Man vertut sich. Nur acht Laute werden im Spanischen genau so ausgesprochen wie im Deutschen."

Paradebeispiel für die Unterschiede ist wohl das gerollte 'R', oder Zungenspitzen-R, an dem die meisten Deutschen sich die Zähne oder besser gesagt die Zunge auszubeißen scheinen. "Aber mit gezielten logopädischen Übungen kann man das hinbekommen", weiß Wollmann. Er hat häufig Fälle, in denen seine Patienten genau das lernen wollen. Dann schaut er sich den Zungendruck und die Zungenstellung an und gibt individuelle Hilfestellungen. "Fast jeder bekommt es dann irgendwann hin", weiß er. Zumindest in den Übungen. "Das heißt nicht, dass es dann automatisch auch in einem Gespräch klappt, in dem man sich zugleich auch auf den Inhalt konzentrieren muss. Diese Übertragung ist das Schwierigste, und dabei hilft nur Übung."

Generell sei zu beobachten, dass Konzentration eine große Rolle bei korrekter Aussprache spielt. "Wer müde oder betrunken ist, der verfällt viel schneller wieder in das als Kind erlernte Lautsystem zurück", so Lietz. Auch Dialekte sind dann wieder deutlicher zu hören.

"Aber eine Frage sollte man sich zu allererst stellen", findet Wollmann: die nach dem Warum. Warum will ich meinen deutschen Akzent eigentlich verlieren? Weil ich meine Identität ablegen will? Um meine Integration zu fördern? Oder aus akademischem Anspruch? "Vielleicht kommt man dann zu dem Schluss, dass ein kleiner Akzent doch schön ist und zu uns gehört."

(aus MM 35/2016)