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Großer Bahnhof an der Wendeplatte von Sa Coma. Der Zebra-Bus, der die Besucher in den nahen Safari-Park befördert, ist bereits abgefahren, die mit Solarstrom betriebene Bimmelbahn lässt gerade Scharen von Fahrgästen einsteigen, nebenan wiehern die Pferde der Droschkenkutscher, eine Reihe von Beachbuggys wartet mit laufenden Motoren auf die Abfahrt, Radfahrer umkurven die Fußgänger, die auf ihrer Radspur unterwegs sind, während sich von Süden einige Segway-Fahrer nähern, die auf der Promenade hintereinanderweg daherrollen.

Das britische Rentnerpaar aus Leeds ficht der Trubel nicht an. Jean und Allen Jones sind wie immer zeitig aufgestanden, haben um acht in ihrem Hotel gefrühstückt und sitzen nun seit neun auf dem Mäuerchen der Strandpromenade in der Sonne, zeigen viel nackte Haut, ein paar Unterarmtätowierungen und zwei All-inclusive-Armbändchen. "It's lovely", sagen sie über ihren Urlaubsort Sa Coma, es sei ihr vierter Mallorca-Urlaub, der erste im Inselosten.

Gäbe es jene Zeitüberlappungen, wie sie von Astrophysikern und Science-Fiction-Autoren beschrieben werden, und würde eine solche Zeitverschiebung sich ausgerechnet in Sa Coma ereignen, dann würde womöglich gleich ein schwer bewaffneter Marineverband von Kriegsschiffen aus die Küste beschießen und Tausende Soldaten am Strand absetzen. So geschehen vor 80 Jahren, genauer gesagt, im August 1936. Heute würde dieses Expeditionsheer des Spanischen Bürgerkrieges statt auf verdorrtes Weideland und Trockensteinmauern auf eine ganze Batterie von Bettenbunkern treffen, wie sie im Anschluss an die gepflegte Meerespromenade und hinter einem dichten Riegel aus Palmen scheinbar gut getarnt worden sind. Bis zu acht Stockwerke ragen die Hotelbauten in den blauen Himmel. Am Strand davor hätten die Invasoren zudem kaum Platz, ihre Last- und Kampfwagen anzulanden, so voll ist die Playa, mit Sonnenschirmen, Strandliegen und Badegästen, jetzt noch im Oktober. Fazit: Eine solche Zeitschleife würde sicherlich ein unsagbares Chaos anrichten, wie es sich weder Militärs noch Hoteliers ausmalen möchten.

Großer Bahnhof in Sa Coma, das gab es - Zeitschleife hin oder her - schon einmal. Genau 40 Jahre ist es her, dass sich die mallorquinische Politprominenz dort die Ehre gab. Extra aus Palma angereist waren der damalige Zivilgouverneur der Balearen, der Präsident der Provinzialverwaltung, der stellvertretende Chef des Movimiento der Provinz, das war die franquistische Einheitspartei, und sämtliche Gemeindevertreter des Rathauses von "San Lorenzo", wie die zuständige Obergemeinde Sant Llorenç de Cardassar, damals im Herbst 1976, ein knappes Jahr nach Francos Tod, noch hieß. Anlass der Zusammenkunft war die Eröffnung einer neuen Vorzeige-Siedlung, die seinerzeit in die unbewohnte Einöde hinterm Strand neues Leben bringen sollte, in Form von Chalets, Hotels, Investoren, Urlaubern, Geschäftsleuten, Immobilienkäufern, Geld, Geld, Geld. Das Mallorca Magazin berichtete ausführlich über den Fortschritt, der damals angekündigt wurde:

Es ist eine Modell-Urbanisation (...). Jedes Grundstück verfügt über einen Wasser-, Strom- und Telefonanschluss. Kanalisation für das Hotel und die Geschäfte ist ebenfalls vorhanden, ebenso für zahlreiche Gebäude, je nach ihrer Größe.

Auch auf die geplante Kläranlage wurde ausgiebig verwiesen. Das ist übrigens jene, die derzeit erweitert und modernisiert wird. Ein neues, drei Kilometer langes Abflussrohr, das geklärtes Wasser ins Meer leiten soll, wurde jüngst genehmigt. Damals, vor vier Jahrzehnten, schrieb MM:

Was einmalig ist, die Urbanisation hat drei verschiedene unterirdische Versorgungsanlagen. Einmal für die Belieferung mit Trinkwasser, dann die Kanalisation, und zusätzlich eine Leitung, die das gereinigte Abwasser für die Bewässerung der Gärten liefert.

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Zeit- oder Dauerschleife: Auch die demnächst verbesserte Kläranlage soll dann so gutes Wasser bereitstellen, dass die Gemeinde damit zusätzliche Grünzonen gießen möchte, wie neulich in "Ultima Hora"zu lesen war.

Und tatsächlich hat Sa Coma eine Reihe von Grünzonen aufzuweisen. Ein parkähnlicher Streifen schlängelt sich durch das Wohngebiet bis fast ans Meer. 1976, als die Politiker den Strand stürmten, waren einzig die Straßen der Siedlung fertiggestellt, wie auf einer Luftaufnahme zu erkennen ist. Und heute befinden sich in dem Ort zahlreiche Einfamilienhäuser inmitten von Gärten, samt hohen Bäumen, wie sie in 30, 40 Jahren gediehen. Einzig zahlreiche Dattelpalmen sind nur noch als tote Stümpfe zu sehen. Gefallene im Kampf gegen den Roten Palmrüssler.

Einer derjenigen, der den Aufbau des "Dorfes" von Sa Coma miterlebt hat, ist Sebastià Pascual, seit 1955 Verwalter des Landgutes von Sa Coma und des gesamten heutigen Naturschutzgebietes Punta de n'Amer, alles Eigentum seiner Arbeitgeberin. "Wo heute die Siedlung ist, wurden vor allem Kühe und Schafe gehalten, aber der Niedergang der Landwirtschaft zeichnete sich bereits ab." Dann kam der Tourismus, er brachte Arbeit und Wohlstand, so Pascual.

Und dass die Landschaft verbaut wurde? "Die Villen, die dort errichtet wurden, sind bewohnt, sogar das ganz Jahr über." Es gebe eine Schule, eine Post, ein Gesundheitszentrum, Dienstleistungen. "Das ist ein sehr lebendiges Dorf", sagt Pascual.

Wer im Sonnenschein über die Promenade schlendert, bekommt durchaus diesen Eindruck. Familie Scheunemann aus Worms kauft Tickets für eine Bootstour, lobt Hotel, Strand, Meer, findet Sa Coma als Ort aber nicht sonderlich schön. Doch das ist dem kleinen Peter-Maximilian egal. Er will aufs Piratenschiff "und nächstes Jahr wiederkommen".

Claudia Romero hatte diesen Sommer reichlich zu tun. Die Geschäftsführerin der drei Strandbars bedient seit April Urlauber, überwacht Mitarbeiter, mixt Cocktails. Ein großer Renner waren Mojitos und Erdbeer-Margaritas. "Es gab mehr Gäste als im Vorjahr", sagt sie und freut sich auf Ende Oktober. Dann ist Saisonschluss in Sa Coma, die Hotels, Bars und Restaurants am Strand schließen simultan, das touristische Sa Coma fällt gleichsam ins Koma. Selbst der diesjährige Urlauberboom trägt dort zu keiner Saisonverlängerung bei. Bloß nicht die Zeitschleife verlassen.

(aus MM 42/2016)