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Mallorca Magazin: Herr Ahmad, Sie haben erstmals ein Konzert auf Mallorca gegeben. Wie kam es dazu?

Aeham Ahmad: Das hat meine deutsche Agentur möglich gemacht, die Kontakte sowohl nach Italien als auch hierher nach Spanien hat. Ich habe auch schon in Barcelona gespielt. Die Idee war es, ein Benefizkonzert zugunsten der spanischen Hilfsorganisation "Proem Aid" zu veranstalten, die seit 2015 Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos unterstützt und seit diesem Jahr auch Menschen, die auf der Flucht im Mittelmeer in Seenot geraten. Da habe ich gerne zugesagt. Ich bin selbst auf Lesbos gelandet, bevor der Marsch über die Balkanroute mich nach Deutschland brachte.

MM: Sie spielen seit Ihrer Ankunft in Deutschland 2015 dort auch immer wieder Konzerte, tragen eigene Lieder und Texte vor, die oft von Ihrer Lebensgeschichte handeln. Ist Musik für Sie auch eine Art der Therapie?

Ahmad: Nein, ich spiele, weil ich Pianist bin, und weil das meine Art ist, auf das Elend vieler Menschen in Kriegsgebieten aus arabischen Ländern oder auf der Flucht aufmerksam zu machen. Aber es ist keine Therapie. Viele hielten mich für wahnsinnig, die Menschen hungern, und ich machte Musik, hieß es oft. Aber es war meine Art des Widerstandes gegen die Gewalt. Am Anfang, ab 2013 in Jarmuk, wollte ich einfach nur ein bisschen Hoffnung und Freude verbreiten, und habe viel mit Kindern gesungen. Gleichzeitig wollte ich aufmerksam machen auf ein Lager, das aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verschwinden drohte. 2015 war das Lager eingeschlossen, keine Hilfsorganisation kam mehr hinein, um Lebensmittel oder Wasser zu verteilen, Bewohner verbrannten oder verhungerten. Als die Islamisten dann mein Klavier wegen des verhängten Musikverbotes verbrannten, weinte ich, war aber froh, dass ich noch lebte. Dann berichteten verschiedene Medien, beispielsweise die CNN, ich hätte meinen besten Freund verloren und sei am Boden zerstört. Was für ein Blödsinn. Dort verbrannten oder verdursteten Kinder, und die Journalisten schrieben über mein Klavier. Das war mir wirklich vollkommen egal.

MM: Wann entschlossen Sie sich zur Flucht aus Syrien?

Ahmad: Nach dem Zwischenfall mit dem Klavier. Der Anfang war aber ein früheres Interview mit einer Journalistin der Süddeutschen Zeitung, Sonja Zekri. Sie und eine Kollegin kontaktierten mich im Mai 2015 erneut, nachdem der IS Jarmuk eingenommen hatten, und rieten mir, sofort zu fliehen. Sie organisierten mit privaten finanziellen Mitteln meine Flucht. Am 2. August brach ich auf, das war ein schwarzer Tag. Meine Familie musste ich zurücklassen, das wäre zu gefährlich gewesen. Ich habe so viele sterben sehen auf dem Weg. Aber ich schaffte es, mithilfe bezahlter Schlepper innerhalb von sechs Wochen über die Türkei und die Balkanroute bis nach München zu gelangen. Wären diese Journalistinnen nicht gewesen, hätte ich es nicht geschafft.

MM: Wie wurden Sie aufgenommen in Deutschland?

Ahmad: So wie die meisten anderen Flüchtlinge auch, nehme ich an. Ich war zwar bekannt durch die Auftritte in meiner Heimat, wurde aber im ersten Jahr von der Erstaufnahmestelle in insgesamt fünf verschiedene Flüchtlingslager geschickt, bis ich schließlich in Wiesbaden ankam und dort bleiben konnte. Ich habe zwar von Anfang an Konzerte gegeben, hatte Auftritte mit bekannten Künstlern und in TV-Sendungen, durfte aber noch kein Geld verdienen. Ich stellte einen Asylantrag, der allerdings erst nach zwölf Monaten genehmigt wurde. Ich bekam dann nach einem Jahr meinen Flüchtlingsstatus und einen Pass.

MM: Wie lange ist Ihr Pass gültig? Dürfen Sie damit reisen?

Ahmad: Der Pass ist zunächst drei Jahre lang gültig, dann kann er verlängert werden, und ich darf damit im Schengen-Raum Europas reisen. Haben Sie so einen Pass schon mal gesehen? Schauen Sie mal, was bei mir in dem Feld "Staatsangehörigkeit" eingetragen ist: "ungeklärte Staatsangehörigkeit". Das ist ein merkwürdiges Gefühl, staatenlos zu sein. Der Grund ist, dass ich auch in Syrien schon Flüchtlingsstatus hatte, also kein Syrer bin, sondern als palästinensischer Flüchtling galt. Und die gehören nirgendwo hin. Nach acht Jahren kann ich aber einen deutschen Pass beantragen.

MM: Ihre Familie ist auch in Deutschland, darüber sind Sie bestimmt sehr froh ...

Ahmad: Ja, ich bin sehr dankbar, nicht nur Deutschland, sondern vor allem einzelnen Privatpersonen, zum Beispiel Monika Fabricius und Elke Grün, die es mit ihrem persönlichen Einsatz möglich gemacht haben, dass meine Frau und meine Söhne jetzt bei mir in Sicherheit sind. Die Jungs gehen in Wiesbaden in den Kindergarten, sprechen schon gut Deutsch, und ich bin weiter unterwegs, um Flüchtlingsorganisationen zu unterstützen und auf die humanitäre Katastrophe, die vielerorts weltweit herrscht, aufmerksam zu machen. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass wir die Dinge aus unserer Sicht schildern. Es ist dann vielleicht einfacher zu verstehen, warum es oft keine Hoffnung mehr gibt und die Menschen fliehen von allem, was sie hatten.

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MM: Wie erleben Sie die Flüchtlingssituation in Deutschland?

Ahmad: Ich habe Glück gehabt, aber viele andere haben es sehr schwer, weil die Stimmung vielerorts aufgeheizt ist. Es gibt Fremdenhass in Deutschland, an dem meiner Meinung nach auch die Medien schuld sind. Sobald sie etwas Negatives im Zusammenhang mit Flüchtlingen berichten - egal, ob es sich hinterher als falsch oder richtig herausstellt - potenziert sich diese Anti-Ausländerstimmung in der Bevölkerung. Gute Nachrichten gehen eher unter. Ich habe das auch schon schmerzlich am eigenen Leib erfahren. Ich möchte darauf aber nicht näher eingehen, denn ich habe überwiegend gute Erfahrungen in Deutschland gemacht und bin insgesamt sehr dankbar.

MM: Sie verdienen jetzt Geld mit Ihren Konzerten, mit Ihren Liedern und CDs und stellen auf der Frankfurter Buchmesse die Geschichte Ihrer Flucht "Und die Vögel werden singen" vor. Werden Sie jetzt ein echter Medienstar?

Ahmad: Im Moment passiert in der Tat sehr viel, und ich kann mit meiner Musik meine Familie ernähren. Aber ich vergesse darüber nicht das Leid derjenigen, die noch in Jarmuk sind oder in anderen Kriegsgebieten. Deshalb werde ich meine Aktionen immer auf diese Menschen richten. Meine Lieder handeln davon, dass sie nicht vergessen werden. Alle Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, die nach Deutschland kommen oder in andere Länder, brauchen Unterstützung. Am liebsten würde ich übrigens wieder draußen spielen, unter freiem Himmel, so wie damals in Damaskus. Ich mag eigentlich keine Konzerthallen.

MM: Haben Sie einen Traum für die Zukunft?

Ahmad: Mein Traum ist es, mit meiner Frau und den Kindern friedlich zu leben, und nicht unbedingt den Rest meines Lebens Klavier zu spielen. Ich könnte mir auch eine ganz andere Arbeit vorstellen, ein kleines Geschäft vielleicht oder was auch immer. Und wenn ich eines Tages einen deutschen Pass habe, würde ich gerne mit meiner Familie nach Palästina reisen, und ihnen zeigen, wo wir unsere Wurzeln haben. Alle Palästinenser wollen irgendwann einmal wieder zurück nach Palästina.

Die Fragen stellte MM-Mitarbeiterin Anja Marks

Zur Person: Aeham Ahmad

Der palästinensisch-syrische Flüchtling Aeham Ahmad wurde 1988 im Flüchtlingslager Jarmuk bei Damaskus geboren. Sein Großvater war 1948 aus Palästina nach Syrien geflohen, schon Ahmads Vater wurde 1952 in Syrien geboren. Der Vater betrieb eine Werkstatt für Musikinstrumente, sein Sohn Aeham ist ausgebildeter Musik-Lehrer und Pianist.

Mittlerweile hat sich das ehemalige Flüchtlingslager zu einem Stadtteil von Damaskus entwickelt, doch herrschen dort seit Jahren katastrophale Zustände. Immer wieder geriet die Siedlung zwischen die Fronten des Bürgerkrieges und ist inzwischen in weiten Teilen zerstört. Die Einwohnerzahl Jarmuks sank von 150.000 auf rund 16.000 Menschen im Jahre 2015, darunter 3500 Kinder.

Ahmad machte es sich zur Aufgabe, in dieser Zeit "Hoffnung zu spenden", wie er sagt, und zog mit seinem rollenden Klavier durch die Trümmerstadt und spielte auf der Straße, vor allem für die Kinder. Er wurde in dieser Zeit als "Pianist in den Trümmern" weltweit bekannt, da sich Videos von diesen Auftritten in sozialen Netzwerken verbreiteten und schließlich der englische Fernsehsender BBC auf ihn aufmerksam wurde.

Ein Film über Ahmad entstand, der bei Youtube millionenfach angeklickt wurde. Als die Terrormiliz IS im Frühjahr 2015 Jarmuk eroberte und auch sein Klavier zerstört wurde, floh Ahmad Anfang August über die Balkanroute nach Deutschland, wo er nach sechs Wochen ankam. Noch im selben Jahr erhielt er in Bonn den erstmals verliehenen "Internationalen Beethoven-Preis für Menschenrechte".

Er ist seit 2016 anerkannter Flüchtling und lebt in Wiesbaden. Seine Ehefrau Tahani sowie die beiden Söhne Achmed (5) und Kinan (3) konnten im August 2016 nach Deutschland nachziehen. Ahmad gibt nach wie vor Konzerte, um auf das Leid von Flüchtlingen aufmerksam zu machen, obwohl ein Granatsplitter in seiner rechten Hand steckt.