Einweihung von Eisenbahnstrecke auf Mallorca im 19. Jahrhundert.

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Blumengirlanden, Flaggen, die lustig im Wind flattern, geschmückte Triumphbögen, viele, viele Schaulustige im besten Sonntagsstaat (es handelte sich um einen Mittwoch, der eigens zum Feiertag erklärt worden war), Honoratioren mit Frack und Zylinder – „die Menschenmenge war immens“, heißt es in einem Bericht der Zeitung La Ilustración Española y Americana, in dem die feierliche Einweihung der ersten Bahnstrecke Mallorcas am 24. Februar 1875 detailliert beschrieben ist, begleitet von einer Zeichnung, die das Ereignis unweit des Stadttors Porta Pintada zeigt.

Auch der damalige britische Konsul auf Mallorca, Charles Toll Bidwell, war dabei und schrieb seine Erinnerungen später nieder. Besonders die Reaktion der staunenden Leute prägte sich ihm offenbar ein. „Ich glaube nicht, dass sie sich ohne Maultier fortbewegen kann“, sagte demnach einer der Umstehenden mit Blick auf die Lokomotive. „Wie sollte sie auch?“, entgegnete eine junge Frau: „Wir heizen doch auch unseren Ofen und noch nie hat er sich fortbewegt. Ich glaube es kein bisschen!“ Und ein Dritter, halb im Ernst und halb im Scherz: „Aus irgendeinem Grund wird es gewesen sein, dass sie uns nicht näher an den Zug herangelassen haben. Bestimmt sind die Maultiere zwischen den Rädern versteckt! Mich täuschen sie nicht mit all dem Dampf!“ Der Bau der ersten Bahnstrecke bedeutete für die Inselbewohner nicht weniger als eine „soziale Revolution“, so Bidwell.

Die Bedeutung der Eisenbahn für die Insel kann man gar nicht hoch genug einschätzen, meint auch Nicolau Cañellas. Er ist der Autor des Buches ‚El Ferrocarril a Mallorca’, des Standardwerks zum Thema (siehe Kasten). Laut Cañellas bedeutete die Ankunft der Eisenbahn „für den Transport von Personen und Waren eine wahrhaftige Revolution“. Das bis dahin gängige Fortbewegungsmittel bei Überlandfahrten waren Kutschen. Wer beispielsweise aus Felanitx nach Palma fahren wollte, um dort etwas zu erledigen, der musste eine mehrstündige, holprige Fahrt in Kauf nehmen. „Die Eisenbahn war eine Verbesserung in vielerlei Hinsicht: Geschwindigkeit, Sicherheit, Zuverlässigkeit, Häufigkeit, Bequemlichkeit und Preis“, so Cañellas. Die Fahrtdauer etwa reduzierte sich je nach Strecke um bis zu einem Drittel. „Die Vorteile der Eisenbahn waren so deutlich, dass die Eisenbahngesellschaft in England Waggons kaufte, die dort als zweite und dritte Klasse verkehrten, hier aber zu erster und zweiter Klasse umgemalt wurden.“ Wie gut die Inselbewohner das neue Verkehrsmittel annahmen, belegt das Beispiel des Sóllerzuges: Vor dessen Inbetriebnahme im Jahr 1912 verkehrten auf der Strecke laut Cañellas rund 82.000 Passagiere. Schon im ersten Jahr beförderte der Zug dann mehr als 172.000 Menschen.

Auch den Warentransport, der von Anfang an bei der Planung der Bahnlinien eine wichtige Rolle gespielt hatte, erleichterte die Eisenbahn. Zwar bewirkte sie alleine keine Zunahme der Produktion, so Cañellas. Dennoch begünstigte sie das wirtschaftliche Wachstum besonders in den entlegeneren, nun besser erreichbaren Inselgemeinden. Auch das Erscheinungsbild der Dörfer und Städte änderte sich durch die Eisenbahn. So mussten die zum Teil ein ganzes Stück außerhalb der Orte gelegenen Bahnhöfe nach und nach städtebaulich erschlossen werden – was in manchen Gemeinden allerdings bis heute nicht gelungen ist, wie etwa in Consell, wo sich der Bahnhof einen guten Fußmarsch außerhalb des Ortszentrums befindet. Allerdings währte die Hochzeit der Eisenbahn auf Mallorca nicht lange.

Schon im Jahr 1907 war der erste Omnibus auf der Insel gelandet. Auf der Nachbarinsel Menorca gab es sogar schon seit 1906 eine regelmäßige Busverbindung zwischen Maó und Ciutadella. So, wie die Eisenbahn nur wenige Jahrzehnte zuvor die Postkutschen abgelöst, zahllose Pferde sowie Maultiere in den Ruhestand geschickt und deren Besitzer arbeitslos gemacht hatte, so entwickelten sich nun Automobil und Lastwagen allmählich zur echten Konkurrenz für die Eisenbahn. Allein in den Jahren von 1921 bis 1931 sank die Passagierzahl von mehr als einer Million auf gerade einmal 700.000. Folgerichtig schreibt die Eisenbahngesellschaft im selben Jahr erstmals rote Zahlen. Es beginnt der schleichende Niedergang der Eisenbahn auf Mallorca. Das einst 250 Kilometer umfassende Schienennetz misst heute gerade einmal noch 76,9 Kilometer.

Das alles aber war noch Zukunftsmusik an jenem Morgen des 24. Februar 1875, an dem die Spannung am Bahnhof in Palma schier greifbar gewesen sein muss, wenn man den Augenzeugen Glauben schenkt. Um halb zehn dann – nicht ohne, dass die brandneue Lokomotive zuvor noch gesegnet worden war – setzte sich der Zug mit den wichtigsten Persönlichkeiten an Bord endlich in Bewegung – unter dem Jubel der enthusiastischen Anwesenden. Auch die auf Themen rund um die spanischen Eisenbahnen spezialisierte Zeitung Gaceta de los Caminos de Hierro berichtete einige Wochen nach der Einweihung ausführlich. „Unterwegs nahmen viele Menschen, die an der Bahnstrecke standen, ihre Kopfbedeckungen ab, als Ehrerweisung für diesen unsterblichen Moment, während andere, vor allem ältere Landbewohner, gar nicht mehr aus dem Staunen kamen angesichts solcher Großartigkeit und Geschwindigkeit“, heißt es in dem dort erschienen Bericht. Schließlich hätten diese die Insel noch erlebt, als es dort außer gewundenen und staubigen Wegen nichts gab, um von einem Ort zum anderen zu kommen. Und nun ratterte also zum ersten Mal eine Lokomotive auf schnurgerader Strecke an ihnen vorüber.

Nach etwas mehr als einer Stunde Fahrt – exakt 64 Minuten, wie Konsul Bidwell festhielt –, hatte der Zug schließlich die 29 Kilometer nach Inca zurückgelegt, wo ebenfalls zahlreiche Schaulustige warteten, die extra zum Bahnhof gekommen waren. Es wurden bunt bebänderte Tauben freigelassen, in der Kirche ein Te Deum gesungen und es gab eine Erfrischung. Laut Bidwell war die Eisenbahn ein voller Erfolg. Allein im ersten Monat habe sie 40.000 Passagiere befördert, schreibt er. „Die meisten von ihnen hatten keinen Anlass, irgendwo hin zu fahren, außer den, diese Neuigkeit auszuprobieren.“ Nicht alles allerdings lief reibungslos. So berichtet der Forscher Nicolau Cañellas in seinem Buch, dass in den Anfangsjahren der neuen Ära zahlreiche Reisende ihren Zug verpassten, weil die Uhren am Rathaus und am Kirchturm des jeweiligen Ortes nicht mit den Uhren an den Bahnstationen übereinstimmten. Die richteten sich nämlich nach Palmas Rathausuhr. Dennoch: Die Presse jener Zeit ist sich einig – Mallorcas erste Eisenbahn ist ein kolossales Werk, das jeder Zugstrecke auf dem Festland ebenbürtig ist. „Die Einweihung dieser Bahnstrecke ist das bedeutendste Ereignis in der Geschichte Mallorcas“, formulierte es die Gaceta de los Caminos de Hierro.