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Die Motorsäge von Mateu Reus kreischt mit den Grillen um die Wette, die in den Ästen der Kiefern sitzen. Erst sägt er einen Keil auf der einen Seite aus dem Stamm: In diese Richtung soll der Baum gleich kippen. Dann setzt er auf der anderen Seite an und sägt solange, bis zuerst der Wipfel der 15 Meter hohen Kiefer zu zittern anfängt. Dann neigt sich der Baum ganz allmählich, bis er immer schneller fällt. Am Ende landet die Kiefer mit einem dröhnenden Poltern auf dem Waldboden. Einen Moment lang ist es ganz still, bevor dann die Grillen wieder anfangen zu lärmen. „Viele Leute denken, dass es etwas Schlechtes sei, einen Baum zu fällen“, sagt Reus. „Das ist aber falsch.“ Es sei dringend notwendig, den mallorquinischen Wald zu pflegen und zu säubern, sowie der Ressource Holz einen Nutzen zu geben. Reus hat einen kleinen Forstbetrieb und arbeitet gerade in einem Waldstück im Tramuntana-Gebirge in der Nähe von Estellencs. Der Besitzer will die einst existierende Olivenplantage neu anlegen. Dazu müssen die Kiefern weg, die sich hier im Laufe der Jahre zu Hunderten breitgemacht haben und längst alles überragen. „Bäumefällen ist nötig“, sagt Reus.

Was er meint, ist ringsherum zu beobachten. Man muss nur den Blick etwas schweifen lassen. Büsche, umgekippte Baumstämme und abgestorbene Zweige bilden ein vollkommen undurchdringliches Dickicht. Aus dem Boden sprießen Hunderte, wenn nicht Tausende junge Kieferntriebe. „Der Wald verwahrlost immer mehr, weil die Grundbesitzer kein Geld für seine Pflege ausgeben wollen.“

Angaben des balearischen Umweltministeriums zufolge sind 41 Prozent der Fläche Mallorcas mit Wald bedeckt – fast doppelt so viel wie noch im 19. Jahrhundert. 200 Millionen Bäume gibt es demnach auf den Balearen-Inseln – etwa 180 pro Einwohner. Während früher Köhler, Kalkmacher und Holzfäller Mallorcas Wälder bewirtschafteten und das Holz zu Geld machten, lebt heute kaum noch jemand von der Ressource Holz. Und das ist bei weitem nicht nur ein ästhetisches Problem.

Denn immer wieder kommt es auf der Insel zu schweren Waldbränden. Das Feuer kann sich dann häufig vollkommen ungehindert ausbreiten, weil die Flammen so viel Nahrung finden. Vor sieben Jahren etwa wütete zwischen Andratx und Estellencs auf Hunderten Hektar Fläche ein schwerer Waldbrand – das schlimmste Feuer in der Geschichte der Insel. Nur durch Zufall verschont wurde dieser Teil des Tramuntana-Gebirges, in dem Reus nun die Bäume fällt. „Holz hat als Ressource auch heute noch riesiges Potenzial“, sagt er. Auf einer Lichtung ein paar Meter entfernt türmen sich die Baumstämme. Alle paar Tage kommt ein Lastwagen und bringt sie nach Felanitx.

Dort, im Gewerbegebiet am Stadtrand, steht eine ehemalige Futtermittelfabrik. Silos ragen in die Höhe, überall liegt eine dicke Staubschicht und es riecht nach Sägemehl – sowie nach den Schweinen, die nebenan jemand hält. Hier produziert Mateu Valls Holz-Pellets. Als Erstes zerkleinert eine Mühle die Stämme aus dem Wald von Estellencs. Auch andere Holzsorten werden verarbeitet und untergemischt. Die genaue Zusammensetzung verrät Valls nicht. „Das ist unser Rezept, das ist geheim“, sagt er. Damit die Pellets später optimal verbrennen, muss unter anderem der Feuchtigkeitsgrad des Holzes exakt bei sieben Prozent liegen. Das Sägemehl wird anschließend in einer speziellen Maschine erhitzt und unter großem Druck in Form gepresst. Etwa 1000 Tonnen Pellets stellt Valls auf diese Weise pro Jahr her.

„Die Biomasse ist die Lösung unserer Energieprobleme“, sagt er. Mallorca ist bis heute zum einen auf die Stromversorgung über das Unterseekabel angewiesen, das die Insel mit dem Festland verbindet, zum anderen auf die Elektrizitätswerke, die mit Kohle, Diesel und Erdgas betrieben werden – und damit alles andere als klimafreundlich sind. Trotz einiger Anstrengungen und einem neuen, ehrgeizigen Klimawandelgesetz, machen die erneuerbaren Energien – in erster Linie die Fotovoltaikanlagen – nur einen verschwindend geringen Anteil an der gesamten Energieproduktion aus. Die Biomassenutzung ist geradezu vernachlässigenswert. Laut dem balearischen Umweltministerium lag sie im Jahr 2018 bei 0,26 Prozent.

Dabei gilt Biomasse als klimaneutraler Energieträger. Zwar wird beim Verbrennen CO2 freigesetzt, allerdings haben die Bäume dieses zuvor aus der Atmosphäre aufgenommen und gespeichert. Die beim Verfeuern entstehende Wärme kann zur Warmwasserproduktion und zum Heizen, aber auch durch spezielle Verfahren zum Kühlen genutzt werden. Hotels, Schwimmbäder, Gewächshäuser, Industriehallen – bislang sind es vor allem private Großkunden, die eine Biomasse-Anlage besitzen und bei Valls einkaufen. Etwa 98 Prozent seiner Kunden seien private Unternehmen oder Kleinverbraucher.

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Wie etwa die Hotelkette Protur Hotels. Alleine auf Mallorca betreibt sie 18 Häuser, in drei davon steht eine Biomasseanlage zur Warmwasserproduktion für die Heizung, die Pools und die Bäder der Hotelzimmer. „Wir als Unternehmen fühlen uns dem Umweltschutz verpflichtet“, sagt Juan Riera, Technik-Koordinator bei Protur Hotels. In sämtlichen Häusern kämen mindestens zwei verschiedene Formen erneuerbarer Energien zum Einsatz, in manchen sogar vier. In den kommenden Jahren soll der Anteil der aus erneuerbaren Ressourcen selbst produzierten Energie auf 55 Prozent am Gesamtverbrauch steigen. Idealismus aber ist dabei keineswegs der einzige Beweggrund. „Es ist zum Beispiel so, dass Freiluftpools in Hotels nur mit erneuerbaren Energien beheizt werden dürfen“, sagt Riera. Firmen mit mehr als 50 Mitarbeitern müssten schon jetzt ihren CO2-Fußabdruck offenlegen und gleichzeitig erklären, wie sie ihn verringern wollen. Er rechnet damit, dass die gesetzlichen Regelungen zunehmend verschärft werden, sodass sich der Einsatz auch von Biomasse immer mehr lohnt.

Das ist allerdings auch jetzt schon der Fall. „Für uns ist das einfach billiger“, sagt Riera. Im Protur Biomar Gran Hotel in Sa Coma etwa steht eine Biomasse-Anlage, in der Grünabfälle verfeuert werden, die in den weitläufigen Parks und Gärten auf den Hotelgeländen anfallen. „Wir haben hier eine Ressource, die wir nutzen wollen“, sagt Riera. Früher habe man diese Biomasse einfach verbrannt. Heute kauft er sogar noch Biomasse dazu – bei Mateu Valls in Felanitx. Hinzu kommt, dass Biomasse viel preisstabiler ist als fossile Brennstoffe. Schwankungen, wie es sie etwa auf dem Ölmarkt gibt, und die die Kalkulation jedes Unternehmens erschweren, gibt es hier nicht.

Während die Privatwirtschaft die Vorzüge der Biomasse also allmählich zu erkennen scheint, verhält sich die Balearen-Regierung auffällig zurückhaltend. Im Klimawandelgesetz etwa, das im vergangenen Jahr verabschiedet wurde und das unter anderem eine ganze Reihe konkreter Maßnahmen zur Steigerung des Anteils der Solarenergie vorsieht, heißt es zum Thema Biomasse nur lapidar, dass ihre Nutzung gefördert werden solle. Zwar läuft derzeit ein Subventionsprogramm für die lokale Verwaltung, im Vergleich zur Fotovoltaik aber fallen die Fördermöglichkeiten für Biomasse deutlich ab. Immerhin: Der Inselrat rüstet seit einiger Zeit seine Wanderherbergen nach und nach mit Biomasse-Anlagen aus und die Stadt Palma lässt derzeit eine solche im Schwimmbad Son Hugo installieren. Die Balearen-Regierung dagegen nutzt noch in keiner ihrer Einrichtungen diese Form der Energiegewinnung. „Es kann eigentlich nicht sein, dass die Balearen-Regierung zwar einerseits Subventionen zur Förderung der Biomasse vergibt, andererseits diesen Energieträger aber selbst nicht nutzt“, sagt Pelletproduzent Valls.

Laut dem Generaldirektor im balearischen Energieministerium Aitor Urresti soll sich das aber demnächst ändern. Man plane die Installierung von Biomasse-Anlagen in Schulgebäuden. Auch, wenn es noch keine klare Zielvorgabe gebe: „Wir haben die Absicht, die Biomasse-Nutzung voranzutreiben“, sagt er. Das aber sei nicht so einfach, da dieser Energieträger nun einmal mehr Infrastruktur benötige als etwa die Fotovoltaik. „Einfach ein Solar-Paneel installieren und los geht’s – so einfach ist es nicht.“ Deshalb müsse man den gesamten Sektor im Blick haben und die komplette Produktionskette aufbauen, die auf den Balearen noch ziemlich unterentwickelt sei.

Dass die Unternehmen des Sektors dabei auf vielfältige Widerstände stoßen, zeigt die Tatsache, dass sogar Umweltschützer der Biomasse als Energieträger nicht unumschränkt positiv gegenüberstehen. Vor allem die Nutzung von Getreide und Ölfrüchten zur Herstellung von Biotreibstoffen ist umstritten. Aitor Urresti etwa sagt: „Ich bin dagegen, dass in Südamerika riesige Monokulturen von Gensoja entstehen, nur, damit wir hier die Ernte zu Treibstoff verarbeiten können.“ Aber auch an der Biomasse aus den Wäldern gibt es Kritik. Während Greenpeace España etwa jahrelang eine stärkere Nutzung forderte, um zum einen die Waldbrandgefahr zu senken und zum anderen die Energiewende voranzutreiben, liest sich das mittlerweile schon deutlich zurückhaltender. Die Biomasse könne zwar eine „begrenzte Rolle“ spielen, dies aber nur dann, „wenn ihre Herkunft und Gewinnung verantwortungsbewusst und nachhaltig sind“, heißt es in einem Bericht der Umweltschutzorganisation. Man sieht dort vor allem die Gefahr, dass die Biomasse-Produktion in Konkurrenz zu anderen Wirtschaftszweigen treten könnte, in denen ebenfalls der Grundstoff Holz verarbeitet wird, wie etwa die Möbelindustrie. Da dort CO2 dauerhaft gebunden werde, sei die Klimabilanz schlicht günstiger als bei der Produktion von Pellets. Ein weiterer Kritikpunkt sind die oft langen Transportwege, die deren Klimabilanz drastisch verschlechtern.

Angesichts der Lage auf Mallorca fallen diese Gegenargumente allerdings nicht ins Gewicht, findet Valls. Auf der Insel würden schließlich nur drei Prozent der jährlich nachwachsenden Menge Holz genutzt, sagt er. Dazu kommen Abfallprodukte wie Olivenkerne und Mandelschalen, die ebenfalls verfeuert werden können. Die Transportwege sind kurz und ganz nebenbei könnte auch noch ein ganz neuer Industriezweig entstehen. Valls gerät leicht ins Schwärmen, wenn er von der Kreislaufwirtschaft spricht, die er sich für Mallorca erhofft, in der auf der Insel vorzugsweise lokale Produkte konsumiert werden. Die Nutzung von Biomasse und anderen erneuerbaren Energien könnte Mallorca unabhängig machen von der Preisentwicklung fossiler Energieträger, hofft er. Wie sehr er von der Idee überzeugt ist, zeigt die Tatsache, dass er vor zehn Jahren seinen sicheren Beamtenjob aufgegeben hat, um sich mit seiner Firma Netpellet selbstständig zu machen. Vor einigen Monaten hat er nun sogar einen Verband gegründet, den balearischen Biomasseverband. Sechs Firmen haben sich diesem bisher angeschlossen. Möglich, dass Valls die Leidenschaft geerbt hat: Sein Urgroßvater hat einst als Köhler in Mallorcas Bergen gearbeitet.

Dort, im Forst von Estellencs, ist derweil der Holzfäller Mateu Reus wieder auf seinen Traktor geklettert und schleift die beiden eben gefällten Kiefern durchs Dickicht. Gleich wird er sie von den Ästen befreien und in handlichere Stücke zerkleinern. Zehn bis 15 Bäume schaffen er und sein Mitarbeiter pro Tag. „Ich liebe es einfach, im Wald zu sein, hart zu arbeiten, zu schwitzen und Krach zu machen“, sagt er.