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Francina hatte am 29. August morgens aus ihrem Fenster in dem Küstenort Port des Canonge geschaut. Das Wetter war schlecht, es windete und noch mehr Sturm war angekündigt. Sie beschloss, die kurvige Bergstraße nach Esporles hochzufahren, bevor es schlimmer werden würde, um Zeitung und Brot zu kaufen.

Doch sie kam an diesem Tag nicht zurück in ihr Zuhause. Plötzlich ging alles ganz schnell, ein Tornado, Cap de Fibló auf Katalanisch, der mit bis zu hundert Stundenkilometern über die Steilhänge und Wälder der Gemeinden Valldemossa, Esporles und Banyalbufar hinwegfegen sollte, versperrte ihr den Rückweg.

„Ein Unglück, mit dem niemand gerechnet hatte”, sagt die Mallorquinerin, die regelmäßig viel Zeit in ihrem Haus in dem abgelegenen Küstenort verbringt. „Wir hatten in Port des Canonge immer großen Respekt vor Waldbränden, denn kommt das Feuer die Hänge herab, ist man dort unten eingekesselt. Der einzige Ausweg führt über das Meer”, sagt sie.

Grund für die häufig im Spätsommer entstehenden Wirbelstürme ist der sogenannte Kaltlufttropfen. Spanische Meteorologen sprechen von Dana (Depresión aislada en niveles altos, vereinzeltes Tiefdruckgebiet in großer Höhe). Es handelt sich dabei um ein Höhentief, also eine Zyklonzirkulation aus Kaltluft in 5000 bis 6000 Meter Höhe. Diese trifft auf warme und feuchte Luft in niedrigerer Höhe, es kommt zu Stürmen und heftigen Regenfällen. Die dann häufig zu beobachtenden Caps de Fibló bilden sich meistens über dem Meer und erreichen Geschwindigkeiten von 50 bis 100 Stundenkilometern. Sie sind kurz aber heftig, im Schnitt dauern sie bis zu zehn Minuten.

Eine schmale, steile und kurvenreiche Straße verbindet den kleinen Ort an der westlichen Tramuntanaküste mit der Zivilisation. Nach dem Tornado lagen große Bäume wie abgeknickte Streichhölzer auf der Fahrbahn. Der Strom fiel aus, die Menschen waren ohne Internet. Die Region wurde zum Katastrophengebiet erklärt.

Das ist inzwischen drei Monate her. Schaut man sich den Wald dort heute an, kann man die damaligen Ausmaße noch gut nachspüren. Obwohl ein Team aus spezialisierten Forstarbeitern rund um Agraringenieur Albert Barceló vom balearischen Umweltministerium Mitte September in einem außergewöhnlichen Eilverfahren mit den Räumungsarbeiten begonnen hat, sieht es dort immer noch desolat aus. Der beliebte Küstenwanderweg zwischen Banyalbufar und Port des Canonge ist an vielen Stellen von querliegenden Kiefern versperrt, die Hänge gleichen einem Baumfriedhof.

300.000 Bäume insgesamt brachen ab oder wurden entwurzelt. Dachziegel flogen durch die Luft, das Dach der Finca von Immobilienunternehmer Christian Völkers wurde stellenweise abgedeckt. 736 Hektar Fläche wurden verwüstet, mehr als 400 davon schwer. Dass keine Menschen verletzt wurden, gleicht einem Wunder. Francina erinnert sich: „Ich war oben in Esporles, als wir von dem Unglück erfuhren. Die Guardia Civil hatte die Straßen abgesperrt, bis abends durfte niemand zurück in den Ort. Auch an den Folgetagen gab es klare Zeitfenster, an denen die Straße für Anwohner freigegeben wurde während die Räumfahrzeuge pausierten.”

Mit 280.000 Euro Etat arbeiten die Maschinen seit dem 15. September täglich. Bei ähnlichen Tornados auf Menorca und Ibiza dauerte es Monate, bis das offizielle Okay für die Räumungsarbeiten erteilt wurde. Gelder müssen bewilligt werden, bürokratische Hürden erschweren das schnelle Arbeiten.

Das Team des balearischen Umweltministeriums zieht seitdem große Stämme mit dem Skidder, einem speziellen Fahrzeug, das Stämme aus unwegsamem Gelände bergen kann, aus dem verwüsteten Wald. Die „Spinne”, ein Gefährt mit langem Greifarm, erledigt den Rest und zerkleinert Äste direkt vor Ort, die sich dann mit der Zeit zersetzen. „Der große Unterschied zu einem Waldbrand ist die Tatsache, dass das Unterholz intakt geblieben ist”, erzählt Barceló. „Das schützt die Hänge vor Erdrutsch. Stellen die abgebrochenen Stämme kein unmittelbares Risiko für Menschen dar, bleiben sie oft liegen oder werden quer gelegt, um den Hang zu schützen”, erklärt er.

Nur an den ersten beiden Tagen rückte die Feuerwehr mit zwei Hubschraubern aus, um zur eingeschlossenen Bevölkerung vorzudringen und diese zu beruhigen und sich ein Bild der Lage aus der Luft zu machen. Ansonsten geschehen die Aufräumarbeiten über Land.

Für die Bewohner waren die Minuten am 29. August Momente großer Angst. Ein Wirbelsturm geht oft rasend schnell vorbei. Innerhalb von Sekunden verdunkelt sich der Himmel, dem Weltuntergang gleich. Dann fliegen Ziegel durch die Luft, Tische und Stühle von Terrassen werden durch die Gegend geschleudert.

Von den über 700 Hektar zerstörter Fläche sind 30 Hektar bearbeitet. Bis November 2021 sollen weitere 80 Hektar stark betroffene Fläche geräumt werden. 850.000 weitere Euro wurden bewilligt. „Der Rest muss sich weitgehend selbständig erholen”, so Barceló. Eine Aufforstung ist grundsätzlich nicht nötig, da der wertvolle Boden erhalten blieb.

Francina machte sich an diesem Tag am meisten Sorgen um ihre Tiere. Hund und Katze waren im Haus geblieben. Als die Mallorquinerin nach Stunden des bangen Wartens in den Ort kam, war sie erleichtert, die Tiere wohlbehalten, aber verängstigt vorzufinden. Sie und viele andere Bewohner der betroffenen Orte sind mit dem Schrecken davon gekommen. „Hoffentlich geschieht so etwas nie wieder”, sagt sie. Jetzt ist es vor allem an der Natur, sich selbst zu regenerieren. Mit Hilfe der Forstingenieure wird dies gelingen. Ein langer Weg, der Zeit braucht.