Wer die Terrasse der Bar Cristal besucht, dem wird nicht langweilig: Nicht nur emsige Kellnerinnen und Kellner, sondern auch spielende Kinder und Autoverkehr können beobachtet werden. | Ingo Thor

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Es ist dieses Retro-Gefühl, das einen hier ohne Zeitverzug übermannt. Sitzt man auf der Terrasse der wieder auferstandenen Bar Cristal auf der Plaça d’Espanya in Palma, so wähnt man sich in die 70er zurückversetzt: Die Kellner sind schwarzweiß uniformiert, im coronabedingt momentan nicht zugänglichen Inneren des Lokals stehen hinter blank gewienerten Vitrinen Whisky-, Schampus- und sonstige Flaschen, auch altertümliches Porzellan wurde dort aufgereiht. Auf der Terrasse sehen die neuen Sitzmöbel aus, als wären sie alt – das nennt man Retro-Style. Der Lärm vorbeirauschender Busse auf der Straße Avenidas erinnert an das Schuhputzerflair in spanischen Städten vor 40 bis 50 Jahren.

Seit Anfang März läuft der Betrieb der Bar Cristal wieder. Zuvor hatte der deutsche Gastronom Helmut Clemens hier seit April 2018 bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie eine Filiale seiner Kette „Es Rebost” unterhalten, diese aber wieder aufgegeben, weil sie sich nicht rechnete. Angesichts niedrigerer Mieten griff die auf Mallorca seit Jahrzehnten festverwurzelte Gastronomenfamilie Fernández zu und übernahm das Lokal. Dieses hatte bereits seit 1955 Bar Cristal gehießen, das kuriose Markenzeichen war in den letzten Jahren eine nie funktionierende 80er-Jahre-Digitaluhr an der Wand, die eine nicht existierende Zeit anzeigte.

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Das Artefakt dürfte vielen noch im Gedächtnis haften geblieben sein. Jetzt hängt dort ein meterhohes Nachtfoto von Palma, das schick daherkommt. Der Tresen wurde von einer zur anderen Wand verlagert. Das Interieur unterstreicht den Wert der Tradition in dieser Stadt, wo noch vor Corona – sei es wegen explodierender Mieten oder einfach der Unlust der Nachkommen von Betreiberfamilien – viele jahrzehntealte Läden und Bars eingingen.

Man saugt in der Bar Cristal eine Mischung aus lange Vergangenem und einer gewissen Vornehmheit auf, und das umgeben von einem Platz mit Kettenlokalen und dunklen rutschigen Steinplatten, der schon erheblich bessere Jahre gesehen hat. Aber die Plaça d’Espanya ist nun mal authentisch und ein wuseliger Ort, wo die Menschen der Stadt zusammenströmen. Und so schmecken das Croissant und der Café con leche – beides kostet derzeit zusammen 3.70 Euro – fast noch ein wenig spanischer als in einer schickeren Umgebung.