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Es ist das Gediegen-Zurückhaltende, was diesen Ort besonders macht: In feinen Geschäften werden unaufdringlich schöne Dinge wie bunte Holzeidechsen angeboten, im Café des Boutique-Hotels Mon freut sich während des MM-Rundgangs ein Brite mit Panama-Hut auf seine eigene Art. Es ist Dienstag, 31. August, und der mit einem überdimensional großen Hund aufgetauchte Mann bewertet in lupenreinem Oxford-Englisch eine Süßspeise. „It’s so amazingly charming”, jauchzt er leise und fast verschämt der Kellnerin ins Gesicht, während seine blonde Begleiterin ihm beipflichtet.

Der gedeckt-säuselnde Tonfall gehört zu diesem Dorf wie das allseits bekannte Festival klassischer Musik. Und wie der Hahn im Gemeindewappen, dem im Ortszentrum sogar ein ulkig daherkommendes Denkmal gesetzt wurde. „Etwa 75 Prozent der Ausländer hier sind Engländer”, weiß Guillem Moya, Restaurantchef des etwas außerhalb gelegenen Landhotels Son Grua. „Aber inzwischen kommen auch mehr und mehr Deutsche und Franzosen.” Und die gehören ebenfalls nicht zum Proletariat, das sich bekanntlich anderswo austobt, sondern bewegen sich in der Regel gepflegt gekleidet und teils mit unverkennbar kulturellem Interesse durch die Gassen des Ortes. Dieser wurde am Freitag im Rahmen einer feierlichen Zeremonie zu einem der schönsten Dörfer Spaniens gekürt. Die Ehre wurde auch dem benachbarten Alcúdia zuteil, Fornalutx gehört schon länger dazu.

Wann Pollença gegründet wurde, ist unklar, doch den Atem seiner langen Geschichte spürt man an jeder Ecke, besonders in der Windgasse, wo immer ein Lüftchen weht. Gemutmaßt wird, dass in der Gegend schon zur Römerzeit eine Siedlung gewesen sein muss. Bevor nach der Eroberung durch den unvergessenen König Jaume im Jahr 1229 die Brücke Pont Romà gebaut wurde, hatte hier – davon sind Forscher überzeugt – auch ein Römerkonstrukt gestanden. Auch Araber lebten in dem Gebiet. Als sie Mallorca beherrschten, hieß Pollença Al-Bulansa.

Doch zurück ins Hier und Jetzt: Wohl auch Gaumenfreuden locken die solvente Klientel in das Dorf, das sich inmitten eines sattgrünen, der idealen Mittelmeerlandschaft Locus Amoenus sehr nahekommenden Gartenidylls befindet. „Man isst hier sehr gut”, sagt Restaurantchef Guillem Moya. Ob der „Celler El Molí”, das „R3Spira” oder das „Eu Centro”, mediterrane Küche wird hier formvollendet kreiert und kredenzt. Hinzu kommt eine gehobene Hotelinfrastruktur, die man so in anderen Dörfern nicht findet. Neben dem Boutique-Hotel Mon findet sich am Hauptplatz Plaça Major noch das Juma, auch im neuen Can Aulí und im Son Sant Jordi steigen kultur- und gastrointeressierte Reisende ab, die nicht nur jeden Tag platt an einem Strand liegen möchten.

Über allem hier liegt eine gewisse Ruhe, die man besonders intensiv auf der 365 Stufen zählenden Treppe zum Kalvarienberg mit der dazugehörigen Kirche spürt. „Es ist noch nicht so kommerziell”, weiß Wolf Thiele. Das seit 1980 auf der Insel heimische deutsche Residenten-Urgestein sieht aber durch die hochoffizielle Veredelung des Ortes auch mögliche Gefahren. Die Gemeindevorsteher müssten dies als Auftrag verstehen, den Status Quo zu erhalten. „Es darf nicht sein, sich dem Kommerz zu prostituieren.” Dass in der Umgebung Monokulturen entstünden und dafür alte Bäume weggehackt würden, sei ein Alarmzeichen.

Diese Sicht der Dinge dürfte dem wohl berühmtesten deutschen Pollença-Freund, dem Sänger Peter Maffay, aus der Seele sprechen. Dank der auf seiner Öko-Finca exerzierten Hingabe der Natur passt der Barde, der in dem Dorf nach seiner Scheidung zwar seltener als früher, aber immer mal wieder auftaucht, bestens hierher.

Der gehobene englische Nachhall in Pollença ist in dem wie ein kleines Separatuniversum wirkenden Örtchen überall fühlbar. Neben Spanisch und Mallorquinisch wird in den Gassen und auf den Plätzen zumeist Englisch gesprochen. Das hat damit zu tun, dass wohlhabende und vornehme Briten diese Gegend schon Anfang des 20. Jahrhundert für sich entdeckt hatten. Pensionierte Kolonialbeamte lechzten nach Gegenden mit besserem Wetter als in ihrer Heimat und ließen sich vor allem in Port de Pollença nieder, wo etwa das blütenweiße Hotel Illa d’Or dieses spezielle Flair weiterhin ausstrahlt. Empire-Größen wie die Schriftstellerin Agatha Christie, der Schauspieler Peter Ustinov oder auch der Weltkriegspremier Winston Churchill beehrten die Gegend mit ihrer zeitweiligen Anwesenheit.

Zu Pollenças feiner englischer Art gesellt sich ein christlich-spiritueller Odem. Ob das Kloster Sant Domingo, die Hauptkirche Santa Maria dels Angels an der Plaça Major, das Oratorium von Golgatha auf dem Kalvarienberg oder die Klosteranlage auf dem benachbarten Puig de Maria, der Glaube wurde in Pollença über die Jahrhunderte großflächig in Stein gehauen. Und nicht nur das: Auch die Bürger gelten als besonders fromm. Einige besteigen den Kalvarienberg an jedem Karfreitag auf Knien, andere – und hier wird’s ausnahmsweise etwas mallorquinisch-derber – erklimmen zu Ehren des heiligen Antonius immer wieder am 18. Januar einen im Zentrum platzierten, sehr hohen Kiefernstamm.