Eine Stunde Rundfahrt mit einer Pferdekutsche durch Palmas Zentrum kostet 50 Euro, eine halbe 30. | Patricia Lozano

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Hengst „Titanic” trinkt zwei, drei Minuten aus dem blauen Eimer, den ihm sein Halter Francisco vor das Maul hält. Als das Gefäß leer ist, füllt Francisco es an einem Hydranten auf. Weiter schlürfen bei 29 Grad an einem Septembernachmittag vor der Kathedrale von Palma. Als „Titanics” Durst gestillt ist, kippt Francisco ihm den Rest Wasser auf die Hufe. Die stehen gerade still, niemand möchte mit der Kutsche die Ramblas hochfahren.

Geht es nach Tierschützern dreier Organisationen auf Mallorca – sowie der Partei „Progreso en Verde” – dürften Pferde gar keine Wagen mehr bis zum Castell de Bellver hochziehen. Jedes Jahr kehrt die Diskussion über Kutschen in Palma so zuverlässig auf die politische Agenda zurück wie der Fußball-Clásico Real gegen Barça immer wieder in „La Liga” ansteht. Dann protestieren Aktivisten in Sichtweite der Kutscher auf den Treppenstufen von La Seu und halten Schilder mit ächzenden Tieren hoch. Die Beschuldigten wehren sich in Interviews mit lokalen Medien.

Die Konfliktlinien verlaufen nicht nur gesellschaftlich, sondern auch politisch. Der Stadtrat von Palma entscheidet, ob Kutschen bleiben oder verschwinden müssen. Neben der Grundsatzdebatte gibt es Klagen, dass Kutscher Regeln missachten würden: Die Pferde seien Sonne und Regen ausgesetzt und in ihren Wagen säßen mehr Personen als erlaubt.

Vor dem Portal der Kathedrale haut Francisco seinem Hengst „Titanic” zweimal auf den Hintern und sagt: „Er hat einen dicken Bauch und ist geeignet für die Arbeit.” Francisco möchte seinen Nachnamen nicht nennen und sich auch nicht fotografieren lassen. Aber er verrät, dass er vier Pferde hat, eines davon ziert sein Profilbild bei Whatsapp.

Wer in Palma als Kutscher arbeitet, benötigt eine Lizenz. Davon gibt es insgesamt 28 in der Stadt, fünf Wagen sind an der Playa de Palma unterwegs, 23 im Stadtzentrum. Die meisten warten direkt vor der Kathedrale auf Kunden, fünf bis sechs unterhalb des Gebäudes in der Nähe der Plaça de la Reina.

An Franciscos Wagen hängt eine offizielle Preisliste, die das Rathaus erarbeitet hat. Eine Stunde Fahrt kostet 50 Euro, eine halbe 30. In Arenal kann man schon für 20 aufsteigen. Der Großteil seiner Kunden seien deutsche Urlauber, sagt Francisco, der 25 Jahre alt ist und aus der Extremadura im Südwesten Spaniens stammt. Nun zündet er sich eine Zigarette an und lehnt sich mit weit aufgeknöpftem farbigem Hemd an seine Kutsche. Bis November, Dezember bleibe er jährlich auf Mallorca, sagt Francisco, fünf Saisons auf der Insel habe er bisher absolviert.

Wenn er eine Fahrt beendet hat, wünscht er seinen Kunden auf Deutsch „schöne Ferien in Mallorca”. Fünf bis sechs Stunden täglich sei eines seiner Pferde im Einsatz; ein Wechsel findet am frühen Nachmittag statt. Was sagt Francisco zu den Tierschützern, die Leute wie ihn kritisieren? „Sie sollen Tiere nicht vermenschlichen. Früher haben Pferde auf dem Feld gearbeitet.” Und er stellt eine Gegenfrage: „Wieso sollte ich meine Tiere schlecht behandeln?” Sie seien für ihn wichtig und bekämen ausreichend Futter, inklusive Vitamine. Und der Tierarzt koste viel Geld.

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Tierschützer würden viel reden, aber kaum handeln, sagt Francisco noch. Letztens sah er Bilder eines Feuers im Süden Spaniens, aber niemand habe sich um die Tiere gekümmert. „Das ist Heuchelei.” Die Aktivisten sollten ihn und seine Kollegen in Ruhe lassen und ihre Arbeit respektieren. Das nenne sich Toleranz. „Manchen Tieren geht es besser als Menschen”, sagt er noch und klopt „Titanic” auf den Rücken.

Arantxa Laguna vertritt da eine ganz andere Meinung. Sie ist bei der Tierschutzorganisation „Anima Naturalis” aktiv und kritisiert, dass die Kutschpferde starke Vorverletzungen hätten, da sie zuvor Rennpferde gewesen seien. „Nun verletzen sie sich wieder.” Ein weiterer Punkt sei, dass auf den Wagen oft mehr Menschen säßen als erlaubt.

Auf den Gefährten dürfen jeweils ein Fahrer und fünf Kunden Platz nehmen. Das ist in einem 25-seitigem Reglement auf der Homepage der Stadt Palma nachzulesen. Darin sind Bußen bis 1800 Euro sowie der Verlust der Lizenz vorgesehen, etwa wenn die Tiere verletzt eingesetzt werden. Um Verstöße zu melden, sind Arantxa Laguna und die anderen Aktivisten auf Fotos von Passanten angewiesen. Was verborgen bleibt, ist, wie die Tiere untergebracht sind. Arantxa Laguna sagt, dass die Pferde in ihrem Zuhause meist nur so wenig Platz zur Verfügung haben, dass sie sich gerade einmal hinlegen könnten. Und: „Viele Außengelände haben kein Dach als Sonnenschutz”, kritisiert die 29-Jährige.

Am liebsten würde Arantxa Laguna Pferdekutschen durch solche mit Elektroantrieb ersetzen. Das sei den Betreibern jedoch zu teuer. Ein Fortschritt sei, dass die Tiere einem Gesetz aus dem vergangenen Jahr zufolge bei den Wetterwarnstufen Geld, Orange, Rot in der Mittagszeit nicht eingesetzt werden dürfen. „Aber bereits um 16 Uhr müssen die Tiere bei Hitze wieder in die Stadt zurückkehren.” Von 17 Uhr an ist der Kutschbetrieb wieder erlaubt.

Besonders wenn es heiß ist, geraten Pferdekutschen prompt auf die kommunalpolitische Agenda. Zuletzt diskutierten Palmas Ratsparteien im Juni über die Zukunft des Gewerbes. Die Linksregierung gab das Ziel aus, die von Pferden gezogenen Kutschen durch elektrische Wagen ersetzen zu wollen. Die rechte Vox hingegen möchte sie zum städtischen Gut erklären. Die liberale Partei Ciudadanos wendet ein, dass 30 Familien von dem Gewerbe lebten.

Von Pferden gezogene Kutschen zu verbieten, ist rechtlich schwierig. Wie eine Sprecherin des Rathauses sagt, seien mehr als 100.000 Euro Entschädigung zu zahlen, wenn nur eine der 28 Lizenzen aufgehoben werden sollte. Das bedeute viel Geld für eine Kommune, das sie auch ausgeben könne, um etwa Bürgersteige oder Plätze neu zu gestalten. Und dass Elektrokutschen irgendwann die Ramblas hochfahren, sei nach den Worten der Sprecherin bisher nicht vorgesehen.

Immerhin: Neue Lizenzen stellt Palmas Rathaus schon lange nicht mehr aus.

(aus MM 39/2021)