Die mitten in Palma gelegene Clínica Rotger gehört zu den privaten Vorzeigekliniken der Insel. | Archiv

TW
0

Schon ab 40 Euro pro Monat ist ein Mittfünfziger dabei: Nein, besonders teuer sind private Krankenversicherungen auf Mallorca wahrlich nicht. Angesichts einer Spanne der monatlich zu zahlenden Prämie, die bei gut und gerne 80 Euro liegen kann, lohnt sich allerdings ein genauer Vergleich der beinhalteten Leistungen. Die nämlich variieren ebenso stark wie der Preis.

Zunächst sollte man sich fragen, wie häufig und zu welchem Zweck man von der Versicherung Gebrauch machen möchte, raten Experten. Je nachdem, wie die Antwort ausfällt, ist entweder eine Versicherung sinnvoll, die einem den kostenfreien Zugang zu einer Reihe von Fachärzten und Krankenhäusern ermöglicht, oder aber eine solche, die die Übernahme eines Teils der Kosten durch den Versicherten vorsieht (was sich lohnen kann, wenn man in der Regel eher selten zum Arzt geht).

Ansehen sollte man sich unbedingt auch das sogenannte „Cuadro médico“, die Liste von Ärzten und Krankenhäusern, die die Versicherten im Fall der Fälle aufsuchen können. Wer dagegen die komplett freie Arztwahl haben will, sollte sich ein entsprechendes Angebot einholen.

Weitere wichtige Punkte, die man ebenfalls klären sollte, sind die Karenzzeiten, die im Kleingedruckten festgelegt sind und während denen bestimmte Behandlungen nicht genehmigt werden, sowie die sonstigen abgedeckten beziehungsweise ausgeschlossenen Leistungen. Vor dem Abschluss des Vertrages muss der Versicherungsnehmer einen detaillierten Fragebogen zu seinem Gesundheitszustand ausfüllen. Wer hier nicht ehrlich ist, kann später Probleme bekommen. Die Behandlung von Vorerkrankungen schließen die Versicherer in der Regel aus.

Wer sich nicht die Mühe machen will, selbst die Angebote der verschiedenen Versicherer zu vergleichen, kann sich auch an einen der Makler wenden, die es auf Mallorca in großer Zahl gibt (Correduría de Seguros) und die in der Regel bereitwillig alle Szenarien durchrechnen. Allerdings kann es auch hier sinnvoll sein, mehrere Vorschläge einzuholen.

Wer mit Reisekrankenversicherung nach Mallorca kommt, hat in der Regel Zugang zum privaten Gesundheitssystem der Insel. Laut dem Verband der Unternehmen des privaten Gesundheitssektors UBES ist dies ein klarer Standortvorteil gegenüber anderen Destinationen. „Gemeinsam mit den Flugverbindungen und der Infrastruktur ist die Gesundheitsversorgung ein entscheidender Faktor bei der Wahl des Urlaubsziels”, so ein Verbandssprecher.

Aber nicht nur in Notlagen, in die Urlauber geraten können, kommt das balearische private Gesundheitssystem zum Tragen. Ein zunehmend wichtiger Sektor ist auch der Gesundheitstourismus, wie man bei UBES betont. Besonders die Bereiche Fruchtbarkeitsbehandlungen, Medizin-Checks, Augenheilkunde, plastische Chirurgie, Rehabilitation und Zahnbehandlungen seien bei internationalen Kunden stark nachgefragt. Sämtliche Gesundheitsausgaben machten etwa sieben Prozent des balearischen Bruttoinlandsproduktes aus, rund 40 Prozent davon entfielen auf den Privatsektor.

Es kommt vor auf Mallorca, dass, wenn man denn nach monatelangem Warten endlich einen Termin beim Orthopäden des öffentlichen Gesundheitswesens bekommen hat, dieser einem nahelegt, man solle die nötige Physiotherapie doch besser über die Privatversicherung abwickeln. Das gehe allemal schneller, als auf die Behandlung in einer der staatlichen Gesundheitseinrichtungen zu warten.

Tatsächlich kommt es häufig einer wahren Geduldsprobe gleich, ein gesundheitliches Problem auf diesem Wege lösen zu wollen. Das rigide spanische Hausarztsystem dürfte zwar viele unnötige Facharztbesuche verhindern, kostet die Patienten aber auch viel Zeit: Jeder muss zuerst bei dem ihm zugeteilten Allgemeinmediziner vorstellig werden, bevor dieser dann im besten Fall eine Überweisung an einen Spezialisten ausstellt – einen Termin dort bekommt man in der Regel dann erst Wochen, wenn nicht Monate später.

Die Corona-Pandemie hat die Wartezeiten nun noch einmal deutlich verlängert. Zuletzt mussten die Patienten Angaben der Gesundheitsbehörde Ib-Salut zufolge durchschnittlich 50 Tage auf einen Termin beim Facharzt warten. Im vergangenen Jahr waren es gar 56 Tage. 2019 dagegen hatte die durchschnittliche Wartezeit noch 33 Tage betragen. Im Oktober gab es allerdings 17.935 Personen, die bereits seit mehr als 60 Tagen auf einen solchen Termin warteten – fast dreimal so viele wie vor der Pandemie. Insgesamt standen 61.446 Personen auf der Warteliste.

Was die Operationen betrifft, sieht es nicht viel anders aus. Hier liegt die durchschnittliche Wartezeit bei 129 Tagen. Im Jahr 2019 waren es noch 72 Tage. Im Jahr 2020 mussten Patienten gar 144 Tage lang auf einen operativen Eingriff warten. Im Schnitt wohlgemerkt. Denn 3137 Personen warten bereits seit mehr als 180 Tagen auf ihre OP. Derzeit stehen 14.041 Personen auf der OP-Warteliste.

Das balearische Gesundheitsministerium will die Sache nun beschleunigen und plant daher unter anderem, Patienten an private Kliniken zu überweisen. Kein Wunder also, dass angesichts dieser Verhältnisse immer mehr Menschen zusätzlich auf eine private Krankenversicherung setzen – in Spanien allgemein und auf den Balearen ganz besonders. Der Verband der Versicherungsunternehmen Unespa teilt auf MM-Anfrage mit, dass in Spanien Ende vergangenen Jahres etwas mehr als elf Millionen Menschen über eine private Krankenversicherung verfügten – ein historischer Höchststand. Im Jahr 2011 waren es noch 8,7 Millionen.

Auf den Balearen stieg die Zahl der privat Krankenversicherten von 315.677 im Jahr 2015 auf 358.327 im Jahr 2020. Während die Quote spanienweit bei etwas mehr als 23 Prozent liegt, will sich auf den Inseln fast jeder Dritte nicht allein aufs öffentliche Gesundheitswesen verlassen. Nur in Madrid, Katalonien und den Exklaven Ceuta und Melilla liegt der Anteil noch höher, was allerdings im Falle der Hauptstadt zum Teil an den dort in großer Zahl beschäftigten Beamten der Zentralregierung liegt, die einen Anspruch auf eine private Krankenversicherung haben. Im Fall Ceutas und Melillas treiben die vielen dort stationierten Militärangehörigen die Zahl in die Höhe.

Auf den Balearen gehört eine private Krankenversicherung für viele Menschen seit Jahrzehnten wie selbstverständlich zur persönlichen Absicherung. „In den 1960er Jahren existierte noch keine der heutigen vergleichbare Infrastruktur“, sagt Antoni Fuster, Geschäftsführer des Verbandes der Unternehmen des privaten Gesundheitssektors UBES. Son Dureta war das damals einzige Krankenhaus des öffentlichen Gesundheitswesens. „Also schlossen viele Familien eine private Versicherung ab.” Der dank des Tourismus neu errungene Wohlstand vieler Inselbewohner machte es möglich.

Mittlerweile sind die Balearen eine der spanischen Regionen mit dem am besten ausgebauten Netz privater Gesundheitseinrichtungen. Den elf staatlichen Krankenhäusern mit 2460 Betten stehen laut UBES 13 private Kliniken mit 1386 Betten gegenüber – was etwa 35 Prozent der Gesamtzahl ausmacht. Die größte Privatklinik auf der Insel ist die Juaneda Miramar mit 291 Betten. Jährlich werden in den balearischen Privatkliniken 1,3 Millionen Arzttermine vergeben, es gibt 600.000 stationäre Behandlungen, 400.000 Notfälle und 60.000 Operationen. Laut UBES deckt das private Gesundheitssystem damit etwa 40 Prozent der gesamten Dienstleistungen des Sektors ab.

Für die Versicherungsunternehmen ist es ein lohnendes Geschäft. Von 6,3 auf mehr als neun Milliarden Euro stiegen die Einnahmen der Konzerne zwischen 2012 und 2020 – dabei handelt es sich ausschließlich um die von den Kunden gezahlten Prämien privater Krankenversicherungen in Spanien, erklärt ein Unespa-Sprecher. Auf den Balearen gaben die privat Versicherten im Jahr 2019 derweil 680 Millionen Euro aus – was etwa 28 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben ausmacht. Ins öffentliche Gesundheitswesen flossen im selben Zeitraum fast 1,8 Milliarden Euro.

Den Trend zur privaten Gesundheitsvorsorge sehen nicht wenige kritisch, allen voran die Vereinigung zur Verteidigung des öffentlichen Gesundheitswesens FADSP, die in einem kürzlich präsentierten Bericht feststellte: „Die Wirtschaftskrise, die 2008 begann, setzte einen Prozess der Ausgabenkürzung im öffentlichen Gesundheitswesen in Gang, der zu einer bedeutenden Verschlechterung der Ausstattung geführt hat, vor allem was die personelle Lage und die Infrastruktur anbelangt. Gleichzeitig verstärkte sich der Privatisierungs-Prozess weiter, der sich bereits abgezeichnet hatte.“ Öffentliche Gelder flössen zunehmend in den Privat-sektor, was dazu führe, dass die Patienten verstärkt dort die Dienstleistungen suchen, die sie im öffentlichen Gesundheitswesen nicht mehr finden. Das fördere die Ungleichheit, da sich eine private Krankenversicherung eben nicht jedermann leisten könne.

Ein FADSP-Sprecher kritisiert gegenüber MM, das private Gesundheitswesen profitiere davon, dass es in Spanien ein all-umfassendes staatliches Vorsorgesystem gibt. Dadurch könnten die Leistungen der privaten Krankenversicherungen auf die besonders profitablen Bereiche reduziert und die Versicherungsprämien gleichzeitig niedrig gehalten werden. Doppelt versicherte gehen privat zum Facharzt, um die langen Wartelisten im öffentlichen Gesundheitswesen zu umgehen, wenn es dann aber wirklich einmal ernst wird, dann ist doch das Universitätskrankenhaus Son Espases die erste Wahl, so der FADSP-Sprecher.

Besonders zweifelhaft sei die zunehmende Ausgliederung von Leistungen ans private Gesundheitswesen. Es sei beispielsweise ein Unding, die Wartelisten, die schlechtem Management geschuldet seien, durch die Überweisung von Patienten an Privatkliniken reduzieren zu wollen. „Die Strategie kann nicht sein, immer mehr Dienstleistungen zu privatisieren”, so der FADSP-Sprecher. „Es kann nur über mehr Investitionen ins öffentliche Gesundheitswesen gehen.”

Eine kürzlich vorgestellte Analyse der FADSP ergab, dass dieses auf den Balearen „defizitär“ ist. Mit 73 von 130 möglichen Punkten landeten die Inseln im hinteren Bereich. Neun Regionen schnitten besser ab, sechs noch schlechter. Was den Grad der Privatisierung des Gesundheitswesens angeht, liegen die Balearen der FADSP zufolge dagegen in der Spitzengruppe.Laut Zahlen des Consell Econòmic i Social (CES) lagen die Pro-Kopf-Ausgaben des staatlichen Gesundheitswesens auf den Balearen im Jahr 2019 mit 1475 Euro unter dem landesweiten Schnitt, der 1486 Euro betrug.