Im Gegensatz zur klassischen Webtechnik werden feinere Materialien wie Sisalkordel verwendet.

TW
0

Unweit des trubeligen Olivar-Marktes in Palma führt ein unscheinbarer Durchgang weg von den großen Läden mit bekannten Namen und Massenware, hinein in eine schmale Gasse mit kleinen Handwerksläden. Wie an einer Perlenkette reihen sich die bodentiefen Schaufenster der „Artesanos“ entlang einer sanft abfallenden Treppe aneinander. So auch das Geschäft von Anna Lena Kortmann. Die ehemalige Innenarchitektin und Ausstellungsplanerin eröffnete vor einigen Wochen im Carrer Costa de Can Muntaner 5 ihr Atelier „Studio Jaia”, in dem sie die von ihr handgefertigten Designermöbel aus- und zum Teil auch herstellt.

Das Besondere an den hochwertigen Einrichtungsstücken ist nicht etwa die präzise Verarbeitung – bei der sich sogar die Maserung passgenau dem Design fügt – es ist die traditionelle mallorquinische Webkunst „cordats mallorquin“, der Kortmann auf ihre ganz eigene Art neues Leben einhaucht. Und nachhaltig sind die Möbel obendrein. Recycelte Baumwollkordel, Sisal und europäisches Eichenvollholz geben den minimalistischen Kreationen einen zeitlosen, modernen Stil.

Entdeckt hatte sie diese Technik schon vor sechs Jahren, als sie beruflich zwischen Mallorca und Berlin pendelte. Doch erst nachdem sie beim Großmeister des Webhandwerkes selbst, Guillem Montserrat, in Llucmajor an einem Workshop teilgenommen hatte, entwickelte sich die Leidenschaft für das neu erlernte Hobby nach und nach zu einem kreativen Vollzeitjob. Das ist nun vier Jahre her.

Zu Beginn produzierte die passionierte Designerin noch alles eigenhändig, in einer Werkstatt im Pere-Garau-Viertel. Ganz nach dem Motto: Selbst ist die Frau. Mittlerweile lässt sie zumindest die Holzrahmen von einem lokalen Tischler herstellen. Nadel und Faden nimmt sie jedoch noch immer selbst in die Hand.

Doch so romantisch die Vorstellung eines kreativen Handwerksberufs auch scheint, die Realität ist weniger blumig. „Es ist immer eine Herausforderung, nicht nur ein Hobby.“, erzählt Anna Lena Kortmann mit einem Lächeln im Gesicht, während sie die gebogene Webnadel durch die eng anliegenden Baumwollkordeln zieht. Ihre Arbeit ist eine Hommage an alte Traditionen, aber auch eine Wertschätzung an die Frauen. Der Name Studio Jaia leitet sich vom katalanischen Wort „Jaia“ ab, was übersetzt Großmutter bedeutet. Die Frau in der Familie, der man den größten Respekt entgegenbringt. So tragen auch ihre Muster Namensbezeichnungen wie Lis, Lore oder Marisa. Dahinter verbergen sich die Kürzel ihrer Mutter, Großmutter und weiterer Frauen, die das Leben von Kortmann maßgeblich geprägt haben. So sind ihre Arbeiten sowohl ein personalisiertes als auch ein sehr persönliches Stück Handwerkskunst. Dennoch betont sie:„Es geht nicht um mich als Person.“ Ihr Wunsch ist, eines Tages Arbeitsplätze zu schaffen und die lokalen Handwerkskünstler zu unterstützen – vor allem die Frauen.

Bisher kooperiert Anna Lena Kortmann mit ansässigen Künstlern, wie dem Designstudio 2Monos und den Innenarchitektinnen von In Alcova. Bei Handwerksberufen wie diesen, die auch heute noch von Männern dominierten werden, muss Frau ihr eigener Boss sein. „Ich bin ein anspruchsvoller Chef“, sagt die selbstständige Powerfrau seufzend. Vor allem wegen der Corona-Pandemie wurden ihr bislang nicht nur kleine Steine in den Weg gelegt. Doch ungeachtet unmöglicher Materialbeschaffung und Transportschwierigkeiten hat sich Studio Jaia in den europäischen Designerkreisen etabliert und steht heute als vorzeigbares Beispiel für den Erhalt alter Traditionen und traditioneller Handwerkskunst.

„Es geht mir darum, die alten Fertigkeiten nicht aussterben zu lassen”, sagt Anna Lena Kortmann. Denn dann wären sie unwiederbringlich verloren.