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Weiter offen kann eine Tür nicht stehen: Das Rolltor des kürzlich eingeweihten Büros der Protestpartei Podemos in Palmas Innenstadt ist ganz hochgekurbelt, vom Bürgersteig hinein ist es bloß ein kleiner Schritt. Kein Zufall, denn Podemos setzt auf Bürgernähe.

An dem wackligen Tisch im Inneren sitzt Antoni Palerm. Der 65-jährige Rentner ist auf Mallorca das bekannteste Gesicht der noch jungen Protestpartei. Im vergangenen Jahr hatte er seinen Textilladen in Palma schließen müssen, der nicht mehr gut lief. "Wegen der Krise", sagt er. Ehrenamtlich sitzt Palerm nun vormittags in dem zugigen Raum und hört den Leuten zu.

"Manche kommen vorbei, weil sie dir ihre Lebensgeschichte erzählen wollen", sagt Palerm. "Die allermeisten aber haben echtes Interesse." Er sei ziemlich beeindruckt von der Zahl der Menschen, die sich Tag für Tag an seinen Tisch setzen. "Unsere Basis ist die maximale Bürgerbeteiligung", sagt Palerm. Darum gibt es auch keine Tür zum zumachen.

Podemos ("Wir können das") wurde im Januar 2014 gegründet. Die herausragende Persönlichkeit der Partei ist Pablo Iglesias, ein 36 Jahre alter promovierter Politikwissenschaftler aus Madrid, der gerne karierte Hemden, Vollbart und einen Pferdeschwanz trägt. Am vergangenen Samstag wurde er zum ersten Generalsekretär der Partei gewählt. Ende nächsten Jahres könnte er dann Nachfolger von Mariano Rajoy und damit Spaniens neuer Regierungschef sein.

Podemos legte einen eindrucksvollen Blitzstart hin: Bei der Wahl zum Europa-Parlament im Mai holte die Partei auf Anhieb 1,2 Millionen Stimmen (fünf Sitze). Mehreren Wählerbefragungen zufolge bewegt sich Podemos mittlerweile auf Augenhöhe mit PSOE und PP.

Wenn Antoni Palerm über die etablierten Volksparteien spricht, dann nennt er sie nur abfällig "die Kaste", wie das bei Podemos alle tun. Es ist dieses Wort, das am besten das Selbstverständnis der neugegründeten Partei beschreibt: Wir hier unten, gegen die da oben. Podemos hat seinen Ursprung in den vielfältigen Protestbewegungen der vergangenen Jahre. "Der Grund für unseren Erfolg ist die Kombination aus Krise und Korruption", sagt Palerm.

Seit 2008 ging es in Spanien wirtschaftlich bergab, Immobilienblase, Bankenkrise, immer mehr Menschen verloren ihren Job, die Regierung legte ein Sparpaket nach dem anderen auf, Sozialleistungen wurden gekürzt, die Arbeitnehmerrechte beschnitten. Zehntausende verloren ihre Wohnungen, weil sie die Hypotheken nicht mehr bezahlen konnten. Vor den Armenküchen bildeten sich Tag für Tag längere Menschenschlangen. Währenddessen kamen immer neue Korruptionsskandale ans Licht: Spanienweit wird gegen Dutzende Politiker und Unternehmer ermittelt.

Die Folge waren die unterschiedlichsten Protestbewegungen: Die Plattform gegen Zwangsräumungen, die "marea blanca" ("weiße Flut") der Ärzte und Krankenschwestern, die gegen die Kürzungen im Gesundheitswesen auf die Straßen gingen, die "marea verde" ("grüne Flut") der Lehrer, die gegen die Sparmaßnahmen im Bildungswesen demonstrierten. Und schließlich: "15-M", die spanienweite Massenbewegung, die das Land monatelang in Atem hielt. "Das ist der Ursprung von Podemos", sagt Palerm. "Podemos kommt wirklich von unten. Deshalb hat die Bewegung auch solche Macht."

Der rasante Umfrageaufstieg der Partei ist eines der meistdiskutierten Themen der vergangenen Wochen in Spanien. Während die etablierten Parteien zusehends nervöser werden, warnen Unternehmervertreter vor der Unberechenbarkeit der neuen Partei. Immer mehr Leute fragen sich, was Podemos eigentlich will. Das aber ist nicht leicht zu beantworten. Derzeit ist Podemos noch voll und ganz damit beschäftigt, sich eine Organisationsstruktur zu geben und die Parteiämter zu besetzen. Klare inhaltliche Positionierungen sind rar.

"Podemos ist eine Bürgerbewegung des Aufbegehrens", sagt Gonzalo Adán, Psychologe und Leiter des mallorquinischen Meinungsforschungsinstituts IBES. Die Gesellschaft fordere neue Lösungen angesichts eines Klimas tiefer Enttäuschung und Wut. "Podemos ist ein Schmelztigel der ablehnenden Gefühle gegen die traditionellen Parteien." Dabei sei Podemos eindeutig dem linken Spektrum zuzuordnen.

Das wiederum weist Antoni Palerm weit von sich - mit dem Hinweis, schon die Frage widerspreche dem Wesen von Podemos. "In der heutigen Situation in Spanien geht es nicht um links oder rechts", sagt er. "Es geht um oben oder unten."

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Und deshalb ist die wohl wichtigste Veränderung, die die Partei verspricht, ein neuer Politikstil. So will Podemos etwa den Berufspolitiker abschaffen: Amtszeiten sollen maximal zwei Legislaturperioden betragen dürfen, die Politikergehälter begrenzt werden. Es soll Mechanismen geben, um Inhaber eines öffentlichen Amtes jederzeit wieder abwählen zu können. "Berufspolitiker tun alles dafür, in der Politik zu bleiben", sagt Antoni Palerm. "Spätestens in dem Moment fangen sie an, ihre eigenen Interessen zu verteidigen, nicht die der Allgemeinheit." Politiker müssten vor allem eine Qualität mitbringen: "Den Leuten zuhören können und das dann umsetzen."

Ein weiteres grundlegendes Merkmal von Podemos ist die basisdemokratische Entscheidungsfindung. Die Grundlage der Partei sind die sogenannten "Círculos" ("Kreise"), die sich in den zurückliegenden Monaten im ganzen Land gebildet haben. Allein in Palma gibt es neun, auf ganz Mallorca 32. Wer für ein Parteiamt kandidieren will, benötigt die Zustimmung eines solchen "Kreises".

Über die grundsätzliche Ausrichtung der Partei entscheiden die Mitglieder. Im Internet finden permanent Meinungsfindungsprozesse zu den unterschiedlichsten Themen statt, an deren Ende stets über ein Grundsatzpapier abgestimmt wird. Mitmachen kann grundsätzlich jeder. Vorausgesetzt, man ist Mitglied.

"Ob wir Erfolg haben, hängt zum Großteil davon ab, ob es uns gelingt, die Leute mitzunehmen", sagt Antoni Palerm. "Meine größte Sorge ist, dass wir die Menschen enttäuschen könnten. Wir sind schließlich ihre allerletzte Hoffnung." Das spüre er immer wieder in den Gesprächen mit Passanten, die den Schritt in sein Büro wagen.

Wegen der Tür werden sie sich bei Podemos aber doch noch irgendetwas einfallen lassen müssen: Die kann schließlich nicht den ganzen Winter lang so offen stehen wie bisher. Bürgernähe hin oder her.

Podemos ist ohne das Internet nicht denkbar. Meinungsfindung, Debatten und auch Abstimmungen finden online statt. Wer mitentscheiden will, muss zuvor im Internet ( podemos.info ) Parteimitglied werden. Das haben bislang etwas mehr als 232.000 Personen getan. Die Bedeutung der sozialen Medien für Podemos verdeutlicht ein Blick auf die nackten Zahlen: Auf Facebook hat die Partei fast 850.000 "Likes" gesammelt. Zum Vergleich: PP und PSOE kommen beide auf knapp 80.000. Auf Twitter folgen Podemos mehr als 420.000 Personen. Zum Vergleich: PP und PSOE kommen nur auf rund 180.000 Follower.

Atomausstieg bis Sterbehilfe

Das Grundsatzprogramm von Podemos im Überblick

Das Grundsatzprogramm von Podemos gibt einen ungefähren Überblick über die Absichten der Protestpartei, obwohl vieles vage bleibt. Podemos setzt vor allem auf einen starken Staat. Massive Investitionen der öffentlichen Hand sollen die bisherige Sparpolitik ablösen. Gefordert ist ein Ausbau des staatlichen Bildungs- und Gesundheitswesens. Bestimmte Sektoren der Wirtschaft sollen unter staatliche Kontrolle: Telekommunikation, Energie, Ernährung, der öffentliche Nahverkehr. Zu diesem Zweck solle der Staat Betriebe aufkaufen. Von Enteignungen ist in dem Dokument nicht die Rede.

Weitere Forderungen: Strenge Transparenz-Vorschriften und Antikorruptionsmaßnahmen, die 35-Stunden-Woche, ein Renteneintrittsalter von 60 Jahren und ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle. Ferner ein gesetzlich festgelegtes Höchsteinkommen, ein Mehrwertsteuersatz von 30 bis 35 Prozent auf Luxusgüter, eine höhere Unternehmenssteuer, geringere Militärausgaben, die Abschaffung der Steuervorteile für die katholische Kirche, Legalisierung der Sterbehilfe und das Recht auf Abtreibung.

Ferner ist in dem Dokument die Rede von einer Steuer auf leer stehenden Wohnraum, von einer Senkung der Eintrittspreise in Museen, vom Ausländerwahlrecht, von der Anerkennung des palästinensischen Staates, vom Austritt aus der Nato, vom Atomausstieg und vom Verbot der Schleppnetzfischerei.