Walther Bernecker ist 1947 geboren und ging als Kind im Baskenland zur Schule. Das Foto ist bei einem Besuch in der MM-Redaktion entstanden. | Foto: Patricia Lozano

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Das Regionalparlament in Barcelona hatte zu Wochenbeginn mehrheitlich entschieden, den umstrittenen Abspaltungsprozess vom spanischen Staat einzuleiten. Vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen der spanischen Zentral- und der katalanischen Regionalregierung sprach MM mit dem deutschen Spanien-Experten Professor Walther L. Bernecker.

Mallorca Magazin: Geht es ans Eingemachte oder sind die aktuellen Unabhängigkeitsbestrebungen nur Wahlkampfgetöse?

Prof. Dr. Walther L. Bernecker: Das ist die ernsteste institutionelle Herausforderung seit Bestehen der spanischen Demokratie und auch schwerwiegender als der Freistaatsplan des ehemaligen baskischen Ministerpräsidenten Ibarretxe. Dieser wurde ja von den spanischen Cortes und vom Verfassungsgericht gestoppt, und die Basken haben das akzeptiert. Die Katalanen gehen jetzt aber darüber hinaus, sehen das Verfassungsgericht entlegitimiert und wollen es für unzuständig erklären. Das würde einem institutionellen Staatsstreich gleich kommen. Es kann bis zur Aufhebung der Autonomie führen.

MM: Ist eine Unabhängigkeit real machbar - also ohne EU und Refinanzierung durch die Europäische Zentralbank? Und ohne die verwandten Regionen Balearen und Valencia?

Bernecker: Vorstellbar ist das schon, aber nur weil der Verstand ausgesetzt hat. Rationale Punkte werden von den Katalanen gar nicht mehr zur Kenntnis genommen. Es heißt dann immer, "wir sind wirtschaftlich einfach zu bedeutend, und der EU bleibt gar nichts anderes übrig, als uns aufzunehmen". Die Debatte ist mittlerweile nur noch von Emotionen geprägt. Selbst das finanzielle Argument "Spanien bestiehlt uns" ist seit zwei, drei Jahren in den Hintergrund getreten. Es geht nur noch um Symbolpolitik, verletztes Ehrgefühl und eine angebliche Unterdrückung.

MM: Können Sie die Katalanen verstehen?

Bernecker: Man kann erklären, wie aus der wirtschaftsfreundlichen Partei Convergència eine radikale Bewegung wurde, die nur noch auf die Unabhängigkeit fokussiert zu sein scheint. Ausgangspunkt ist das 2006 gründlich reformierte Autonomiestatut, das der ehemalige sozialistische Ministerpräsident Zapatero so zu akzeptieren versprochen hatte, wie es von den Katalanen beschlossen wird. Es wurde dann von den zwei Parlamenten in Barcelona und Madrid verabschiedet und per Referendum bestätigt. Dann hat es die konservative Volkspartei PP vor das Verfassungsgericht gezerrt, wo man es erheblich beschnitten hat. Vor allem, dass in der Präambel der Begriff einer katalanischen "Nation" für unzulässig erklärt wurde, war für viele ein Stich ins Herz, obwohl das Ganze ja keinerlei rechtliche Auswirkungen hatte. Dadurch ist eine Entfremdung entstanden, und es gibt großen Unwillen gegen Madrid.

MM: Braucht Spanien eine zweite "Transición", also einen Übergang zur Demokratie wie nach dem Tod Francos?

Bernecker: Für einen geregelten Übergang im Konsens sind die Voraussetzungen nicht gegeben. Die Fronten sind derzeit verhärteter als zwischen den alten Franquisten und der damaligen linken Opposition. Beide Seiten haben sich ja damals trotz des Widerstands aus dem sogenannten "Bunker" zusammengerauft und auf vernünftige Reformen verständigt.

MM: Warum sind die Kastilier ebenfalls so stur?

Bernecker: Ministerpräsident Rajoy wird selbst in der eigenen Partei für seine Unbeweglichkeit kritisiert. Er verweigert jeden Dialog und beruft sich auf die Gesetze wie auf ein Mantra. Womit er sich im Wahlkampf jetzt sogar als Stabilitätsanker präsentieren kann. Nötig wären aber Verhandlungen, bei denen es nicht nur um das Selbstbestimmungsrecht geht, sondern um eine Föderalisierung oder um einen Sonderstatus für Katalonien. Viele Analytiker und Politikwissenschaftler haben die Hoffnung, dass es nach den Wahlen dazu kommt, falls nicht jetzt schon vollendete Tatsachen geschaffen werden. Voraussetzung wäre auch, dass die PP dann nicht mehr ausschlaggebend ist oder zumindest einen vernünftigen Koalitionspartner bekommt. Auch Mas hat ja in Katalonien inzwischen nur noch 30 Prozent Zustimmung. Mit neuen Leuten wird der Dialog vielleicht einfacher.

MM: Wäre das Trennungsszenario schlimmstenfalls tschechoslowakisch oder jugoslawisch?

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Bernecker: Krieg und Blutvergießen schließe ich aus, da bin ich mir sicher. Die Konfrontation ist aber stärker als in der Tschechoslowakei, wo sich damals beide Seiten einig waren. Ich könnte mir vorstellen, dass eine neue Zentralregierung ein Referendum genehmigt. Damit ließe sich zurück zur Vernunft finden, denn die Mehrheit der Katalanen ist eigentlich gegen die Unabhängigkeit. Die Frage müsste ausgehandelt und gut formuliert werden. Also nicht nur ja/nein, sondern zum Beispiel mit der dritten Option einer erweiterten Autonomie. Es gibt also Lösungen, aber man muss sie auch wollen.

(Die Fragen stellte Michael Maier.)


ZUR PERSON: WALTHER L. BERNECKER

Der promovierte und habilitierte Historiker ist Autor zahlreicher Publikationen zur spanischen, portugiesischen und lateinamerikanischen Geschichte. An der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ist er Professor für Auslandswissenschaft. Zum Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) und speziell zur Rolle der Anarchisten hat er Standardwerke verfasst. Für seine Verdienste um die Erforschung der Spanischen Geschichte wurde er 2007 mit dem Orden Isabel La Católica und 2009 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Er hat bis zum 13. Lebensjahr in San Sebastián gelebt und dort die Schule besucht.


HINTERGRUND KOMPAKT

Was wird die spanische Regierung nun tun?

Eine Verfassungsklage ist eingeleitet. Die Entschließung des katalanischen Parlaments wurde vom Verfassungsgericht vorläufig automatisch außer Kraft gesetzt. Bis in fünf Monaten soll eine Entscheidung in der Hauptsache fallen.

Wird das Abspaltungsvorhaben damit gestoppt?

Die Separatisten haben angekündigt, sich notfalls über Entscheidungen der Verfassungsrichter hinwegzusetzen und ihren Plan fortzuführen.

Welche Reaktionsmöglichkeiten gibt es?

Madrid hat kürzlich die Befugnisse des Verfassungsgerichts erweitert. Danach können Amtsträger abgesetzt werden, wenn sie sich über Entscheidungen der Richter hinwegsetzen. Diese Regelung könnte zunächst die katalanische Parlamentspräsidentin Carme Forcadell treffen. Zudem erlaubt es der Artikel 155 der Verfassung, im Extremfall die Autonomie zu suspendieren.

Worauf beruht das katalanische Nationalbewusstsein?

Vor allem auf der Sprache, die von der Franco-Diktatur unterdrückt wurde. Zudem reichen die Wurzeln Kataloniens bis auf das Königreich Aragón zurück, das sich 1469 durch Heirat in Personalunion mit Kastilien vereinigte. 1714 wurde die Autonomie aufgehoben, als sich im Spanischen Erbfolgekrieg Bourbonen gegen Habsburger durchsetzten. Seit 1977 ist sie wieder hergestellt, und bestand auch von 1932 bis 1939 in der Zweiten Republik bis zum Ende des Spanischen Bürgerkriegs.

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