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Verdammt, die neun Meter Höhenunterschied sehen von oben betrachtet aus wie hundert. Endlos. Irgendwo da unten glitzert das Meer wie ein türkiser Teller. Dorthin soll man sich hinabstürzen? Während das Herz immer schneller schlägt und die Knie seltsam weich werden, fängt das grelle Mittagslicht der Umgebung plötzlich an zu flirren ...

Der Sprung in die Tiefe ist einer der sprichwörtlichen Höhepunkte, die Masio Vicenç auf seiner Coasteering-Tour auf Mallorca in petto hat. Coasteering? Das ist eine Freizeitbeschäftigung, die in Magazinen wie "Abenteuer und Reise" als neue Trendsportart auf Mallorca vorgestellt wird. Es ist eine Mischung aus Wandern, Klettern, Schwimmen, Tauchen und Springen. Immer an der zerklüfteten Küste entlang. Dort, wo jedes andere Verkehrsmittel den Dienst versagen würde. Es geht um Ausdauer, Nervenkitzel und Naturerlebnis. Ein Allroundpaket für alle, denen die Strandliege zu zahm, Windsurfen zu aufwendig und Speedboatfahren zu teuer ist. Aus diesem Grund: Auf Schusters Rappen durch die felsige Brandungszone.

Masio Vicenç, Wanderführer für Erlebnistouren beim Reiseveranstalter Grupotel Natur, kennt die Nordküste der Insel, insbesondere die Halbinsel La Victòria wie seine Westentasche. Der dortige Kiesstrand von S'Illot ist der Ausgangspunkt der Tour. Es soll diesmal nur eine mittelschwere werden, weil eine deutsche Familie mit zwei Kindern die Tour gebucht hat. Warum sie an einem sonnig-heißen Tag über die Felsen und Klippen kraxeln möchte? "Immer nur Strand ist doch langweilig", sagt die elf Jahre alte Elena. Sie ist der quirrlige Flummi der Gruppe. Springen, Klettern, Schwimmen sind ihr Liebstes.

Am Parkplatz des Strandes fallen die Hüllen. Zum Coasteering braucht es nur Badehose und Turnschuhe, am besten solche, die sich im Salzwasser nicht gleich auflösen. Dann strebt die Gruppe den Felsen am Ufer zu, die aussehen, als ob sie ein Riese wild durcheinander geworfen hätte. Nahezu nackt geht es an und zwischen den rauen Steinen vorbei, mitunter auf allen Vieren, über sie hinweg. "Das ist Slow-Motion", mahnt Vicenç, "Ihr müsst euch mit Bedacht bewegen; genau kontrollieren, wohin ihr euren Fuß setzt, eure Hand platziert. Bewegt euch langsam!"

Klare Sache, hier mit dem nackten Schenkel oder der Hüfte an den scharfkantigen Meeresfelsen längszuschrappen, verspricht Schrammen und Aufschürfungen, von aufgeschlagenen Knien bei einem Sturz erst gar nicht zu sprechen. Beim Auf und Ab über Stock und Stein suchen die Hände immer wieder Halt im Gestein. Volle Konzentration ist angesagt, sie lässt keine andere Gedanken zu und macht den Kopf auf diese Weise regelrecht frei. Die Felsbrocken sind von Wind und Wellen so sehr ausgewaschen, dass sie sich mitunter scharf wie Skalpelle anfühlen. Erst später im Meer meldet ein Brennen in der Fingerkuppe, dass die Haut am Stein tatsächlich aufgeschlitzt wurde.

An schwierigen Stellen hängen die Gruppenmitglieder wie Krabben an den Felsen. Oder fallen direkt ins Meer. Endlich Abkühlung. Der Weg ist zudem nicht immer längs der Küste passierbar. Da hilft nur der Umweg über die Felsen im Wasser. Sie sind von Algen überwuchert, mal wunderbar glatt und begehbar wie Treppenstufen, mal rutschig und tückisch wie Fußangeln.

Dann kommt die Herausforderung: Unterwassergänge und -höhlen, die durchschwommen werden müssen. Geduldig erklärt Vicenç, worauf es ankommt: Luft holen, untertauchen, gucken, sich orientieren, auftauchen. Dann noch einmal tief Luft holen und durch.

Knapp drei Meter ist der Gang lang, den die Natur unter einem gewaltigen Felsbrocken gebildet hat. Am besten mit den Füßen auf dem Grund bleiben und mit den Händen an der Decke abstützen, rät Vicenç. So stößt man sich zumindest nicht den Kopf. Gesagt, getan. Mit der Taucherbrille auf der Nase alles halb so wild. Der Lichtschacht, in dem man wieder auftaucht, ist aber nur eine Zwischenstation. Dann heißt es wieder tief Luft holen und einen schmalen Gang durchtauchen. Am besten sich mit den Händen vorwärts arbeiten, sagt Vicenç. Jenseits der engen Röhre zeigt das Licht den nahen Ausgang an. Mittendrin, beim Durchschwimmen, fühlt sich der Tunnel plötzlich viel enger an, als es zunächst den Anschein hatte. Während die ausgestreckten Arme dem Ausgang zustreben, klopft die rechte Schulter unfreiwillig die Tunneldecke an.

Wer wird denn da gleich in Panik geraten? Ruhe bewahren und weiter. Wie ein U-Boot schiebt sich der Körper durch die Öffnung ins Licht, ins Freie, zur Luft ...

"Das war cool" jauchzt Elena. Selbst ihre Mutter überwindet am Ende alle klaustrophobischen Beklemmungen und prustet nach dem Auftauchen erleichtert aus.

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Der Mallorquiner Masio Vicenç, 53, gilt als der heimliche Erfinder des Coasteering auf der Insel. Vor 15 Jahren kam er per Zufall auf die Masche. Ein britisches Paar, das er im Hochsommer auf einer Wanderung begleiten sollte, brach die Tour wegen zu großer Hitze ab. Von den Bergen stiegen die Wanderer an die Wasserlinie hinab und hatten dort die Idee, über die Steine zurückzukehren. Dass die Wanderschuhe dabei draufgingen, was soll's?! Die Tour war für alle unvergesslich.

Daraufhin begann Vicenç, der jahrelang als Förster die Waldungen von La Victòria bergauf, bergab marschiert war, nach geeigneten Küstenabschnitten für die neue Sportart zu suchen. Er fand dabei nicht nur neue Grotten und Höhlen, die mal mehr, mal vollständig mit Meerwasser gefüllt waren, sondern auch Ministrände und romantische Badestellen, die man vermutlich auf kaum einem anderen Weg erreichen würde. "Diese Küste ist magisch", schwärmt Vicenç von den Coasteering-Möglichkeiten.

Andererseits weiß auch er, dass er das Rad nicht neu erfunden hat. Schon immer sind die Insulaner halsbrecherisch an der Küste herumgekraxelt. Mal auf der Suche nach Krebsen und Muscheln, mal auf der Jagd nach den besten Fischgründen, mal um Meersalz an den flachen Wasserstellen zu ernten. "Im Prinzip", so Vicenç, "ist es eine Rückkehr in unsere Kindheit. Unsere Mütter sagten immer: Klettert nicht in den Felsen herum, also war das genau das, was wir machten."

Beim Durchtauchen der Hohlräume zwischen den Felsen eröffnet sich die ganze Schönheit dieser Unterwasserwelt. Im kristallklaren Blau schwimmen bunte Fische, leuchten rote Seesterne, entdecken geübte Augen Korallen und seltene Meerespflanzen. Es ist, man muss es zugeben, ein paradiesischer Inselgarten unter der Wasseroberfläche.

"Ich möchte, dass die Teilnehmer lernen, wie sie sich in solch einem Element bewegen können und ihren Weg finden", sagt Vicenç. Viele, die eine Coasteering-Tour buchten, kamen bald wieder, und dann zogen sie auch alleine los. Wenn sie Vorsicht walten lassen, hat Vicenç nichts dagegen. Die Menschen lernen dadurch die Natur besser kennen. "Das Bewusstsein für ihre Schönheit fördert bei uns den Umweltschutz."

... Noch immer fließt unten in neun Meter Tiefe die türkise Flut wie in einem Strudel zusammen. Springen oder nicht springen? Immerhin wird niemand gezwungen, es zu tun. Elena hat es mit einem schrillen Schrei getan, ihr Vater auch, und Masio Vicenç sowieso. Das Blut pocht heiß in den Schläfen. Ist es mutiger zu springen? Oder jetzt zu seinem Rückzieher stehen? Von der See her weht eine Brise an die Stirn. Tief Luft holen. Augen zu. Und ...

INFO COASTEERING

Der Name leitet sich vom englischen "Coast" für Küste ab. Mitte der 1990er Jahre wurde diese Art Freizeitsport erstmals in Form von geführten Touren an der Felsküste von Wales kommerzialisiert.

Ausrüstung: Auf Mallorca reicht die Badehose aus. Wichtig ist jedoch ausreichender Sonnenschutz für die Haut. An den Füßen sind Turnschuhe oder geschlossene Strandschuhe zum Schnüren mit dickerer Sohle zu empfehlen, die rutschfest sein sollte

Anbieter: Auf Mallorca gibt es mehrere Firmen, die Touren organisieren. Bei Grupotel ( grupotel.com >>> grupotelnatur) kostet die Tour 39 Euro pro Person..com >>> grupotelnatur) kostet die Tour 39 Euro pro Person.