Der Segler Sergi Roig lebt im Sommer in Sa Ràpita, im Winter in Palma. Ans Meer zieht es ihn aber das ganze Jahr über. | Schittelkopp

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Sergi Roig überquert die Strandpromenade von Sa Ràpita. Von der Felsküste aus blickt der 22-Jährige aufs Meer: "Ich bin auch im Winter gern hier, wenn das Meer und der Wind stark sind." In Flipflops nähert er sich der Wasserlinie, allerdings nicht zu Fuß, sondern auf seinen Händen. Sergi Roig ist schwer körperlich behindert, als Kleinkind mussten ihm beide Beine amputiert werden. Sein Handicap hält ihn allerdings nicht davon ab, große Erfolge zu feiern: Der Segler nimmt als Teil des spanischen Teams jetzt an den Paralympics in Rio de Janeiro teil. "Ich kann es noch gar nicht richtig glauben", sagt Sergi.

Außergewöhnlich ist nicht nur seine sportliche Karriere, sondern auch seine Lebensgeschichte. Denn der junge Mann wurde in Tomsk in Sibirien geboren. Im Alter von vier Jahren adoptierte ihn das mallorquinische Ehepaar Queta Alzamora und Sebastià Roig.

Sebastià Roig war vor 19 Jahren mit seinem Verein "Kinder der Welt" in Russland. Dort sah er den schwerbehinderten Sergi in einem Waisenhaus. Roig und seine Frau setzten alle Hebel in Bewegung, damit der Junge in Palma behandelt werden konnte. Ein Jahr lang zog sich der Papierkrieg mit den Behörden hin. Schließlich wurden dem Kind beide Beine im damaligen Landeskrankenhaus Son Dureta abgenommen, doch er infizierte sich mit einem Krankenhauskeim und konnte nicht nach Sibirien zurückreisen. Familie Roig-Alzamora, die noch vier weitere Kinder hat, pflegte den Vierjährigen und adoptiere ihn gegen den Widerstand der russischen Behörden. "In Sibirien gilt es als Schande, ein Kind wie mich aufzunehmen", erzählt Sergi Roig.

So wuchs er zwischen Palma und Sa Ràpita im Süden der Insel auf. Mit 16 Jahren entdeckte er seine Leidenschaft fürs Segeln. Über ein Behindertensportprogramm der Stiftung "Fundación Alex" nahm Sergi an einem Segelkurs in Port d'Andratx teil, bis heute ist er dem dortigen Club treu geblieben.

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Mittlerweile segelt der 22-Jährige, der sein Studium an der Tourismushochschule in Palma zugunsten seiner sportlichen Karriere schmiss, in der Klasse "Skut-18". Das Boot wurde extra für den Behindertensport entwickelt: "Es kann nicht kentern", erklärt Sergi Roig, der als Skipper das Boot führt, "und es bekommt ordentlich Geschwindigkeit drauf." Die Mallorquinerin Violeta del Reina ist sein Besatzungsmitglied. "Wir müssen uns 100-prozentig aufeinander verlassen können, die Synchronisation muss stimmen", erklärt der junge Mann das gemeinsame Segeln.

Je nach Wetterlage trainiert das Duo mehrere Stunden täglich für den Wettkampf in Rio. Noch zwei weitere Segeltrupps, einer aus Valencia und einer aus Andalusien, werden für das spanische Team bei den Paralympics antreten. Zwischen dem 7. und 15. September findet die Regatta in Brasilien statt, am Dienstag startete das spanische Team in Richtung Rio de Janeiro. Natürlich möchten Roig und seine Segelpartnerin eine Medaille gewinnen: "Doch dabei sein ist erst einmal alles", zitiert der junge Sportler den olympischen Gedanken.

Für den 22-Jährigen ist es bei Weitem nicht das erste internationale Turnier. Im Ferienhaus der Eltern schmücken seine Trophäen die Schrankwand im Wohnzimmer. "Ich habe schon mehr Länder bereist als meine Mutter", sagt er schelmisch mit Blick in ihre Richtung. Seine Eltern können ihn nicht zu allen Wettkämpfen begleiten, denn die Fernflüge sind einfach zu teuer. So segelte er bereits vor Australien und Kanada. "Die Möglichkeit, so viel zu reisen, bekommen nicht viele junge Menschen in meinem Alter."

Nach den Paralympics wird Sergi Roig sehen, wie seine sportliche Laufbahn weiter verläuft: "Segeln kennt kein Alter", erklärt er. Im Gegensatz zu beispielsweise Fußballprofis sei in dem Wassersport eine Karriere jenseits der 30 und sogar der 50 möglich. Er kann sich aber auch vorstellen, sein Tourismusstudium zu beenden. "Auch junge Menschen mit Behinderung haben ein Recht auf Ausbildung", betont der 22-Jährige, der sich in seiner Freizeit gern als DJ betätigt und mit Freunden trifft. Seine nächste weite Reise könnte ihn nach Russland führen: "Ich möchte schon mal sehen, woher ich komme."

(aus MM 36/2016)