Im „Roda“, dem Kreis, treten jeweils zwei Capoeiristas gegeneinander an. Dabei bewegen sie sich im Takt und versuchen, den Gegner zu überrumpeln.Fotos: Fabrício de Brito

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An dem rund anderthalb Meter langen Holzstab ist mit einem Stück Seil am unteren Ende ein Kürbis befestigt. Das umfunktionierte Gemüse wurde ausgehöhlt, getrocknet und anscheinend mit einer Art Klarlack haltbar gemacht. Die vom Stock abgewandte und offene Seite dieses Resonanzkörpers drückt sich der Brasilianer Wellington Santos immer wieder gegen den Unterbauch, während er den aus einem alten Autoreifen gewonnenen Stahldraht, der wiederum an den Stockenden befestigt wurde, mit einem glatten Stein zum Schwingen bringt. Das Instrument mit dem brasilianischen Namen „Berimbau“ sei neben diversen Trommeln oder auch einer Art Tamburin das Herzstück jeder Trainingssession, erklärt der Kampfsport-Lehrer aus der Stadt Salvador da Bahia, einem Capoeira-Zentrum an der brasilianischen Atlantikküste.

Wellington Sanstos lebt seit 2001 auf Mallorca.

Und tatsächlich ist es erstaunlich, wie viele verschiedene Klänge er mit dieser simplen Konstruktion erzeugen kann. „Ursprünglich ist dieses Ins-trument genau wie der Sport mit den Sklavenschiffen aus Afrika nach Brasilien gekommen.“ Damals sei Capoeira allerdings noch lange kein Kampfsport, sondern eher die Vermischung verschiedener traditioneller afrikanischer Tänze gewesen.

Der Legende nach habe sich dieser Sport aus der Not der Menschen in dieser dunklen Zeit heraus entwickelt. „Die Sklaven wollten sich gegen ihre Unterdrücker zur Wehr setzen können. Damit dieses Bestreben keinem ihrer Peiniger auffallen konnte, haben sie die Schläge und Tritte einfach als Tanz getarnt.“ Bis heute ist deshalb, im Gegensatz zu anderen Kampfsportarten, die Gemeinschaft, der Rhythmus, die Musik und das Wissen um die kulturellen Ursprünge des Sports wichtiger als die vermittelten Techniken zur Selbstverteidigung.

„Wer mit uns trainiert, der wird früher oder später auch das Birimbau spielen können“, lacht der 43-Jährige und ergänzt: „Außerdem lernt man zwangsläufig irgendwann mehr über die brasilianische Kultur und Geschichte.“ Auch Portugiesisch habe man, wenn man denn lange genug dabei bleibe, ganz nebenbei irgendwann verinnerlicht. „Wir lernen die Texte der Lieder, die wir spielen und zu denen wir gegeneinander antreten.“

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Gekämpft wird im „Roda“, portugiesisch für Kreis. Die Kontrahenten umkreisen einander dabei fortwährend in der „Ginga“, dem Grundschritt beim Capoeira. Gerade weil man bei diesem Sport nie an einer Stelle stehen bleibt, wirken die Bewegungen tänzerisch. „Die Füße verharren niemals gleichzeitig vorne im Pa-rallelstand, sondern ein Fuß wird immer hinten abgestellt, um dort kurz zu verharren. Im Takt der Musik wechseln sich die Beine dabei ständig ab.”

Beherrscht ein Capoeirista diesen Bewegungsablauf, kommt die Akrobatik hinzu. „Es gibt Rollen, Sprünge, Handstände, sogenannte Fußfeger und vieles mehr.“ Um Capoeira praktizieren zu können, seien diese Techniken jedoch ein „Kann“, aber kein „Muss“. Seine jüngsten Schüler seien fünf Jahre alt und die Älteste bereits 70. „Jeder kann es lernen, eben auf seine eigene Art und in seinem Tempo.“

Im Jahr 2003 gab der damals 23-Jährige seine ersten Unterrichtsstunden auf Mallorca. „Capoeira ist mein Leben. Und auch wenn es hart ist, mit so einem Nischensport seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, gibt es nichts, was ich lieber tun würde.“ Wellington Santos unterrichtet „Topázio Capoeira“, eine der größten Schulen und weltweit am verbreitetsten Stile des Kampftanzes, der zusätzliche Elemente aus dem Boxsport und dem Jiu-Jitsu enthält. Gelehrt wird seine Kunst meist unter freiem Himmel im Park oder am Strand. „Wir hatten mal eine Halle, in der wir trainieren konnten. Mit Corona ist das dann aber alles wieder weggebrochen.“ Generell freue sich der Sportler deshalb über Unterstützer und Sponsoren, die ihm dabei helfen wollen, diesem außergewöhnlichen Sport auf der Insel den Weg zu bereiten. „Wir trainieren fünfmal die Woche und neben den Techniken arbeiten wir mit unseren Schülern vor allem an der körperlichen Fitness.“ Diese brauche man zwangsläufig, um die fortgeschrittenen Elemente der Kampfkunst beherrschen zu können.

Im Frühjahr 2022 veranstaltete Santos in Palma zum ersten Mal ein Capoeira-Festival. Außerdem vermittelt er seit einigen Monaten sein Wissen in verschiedenen Schulprojekten auf der gesamten Insel. „Das Festival machen wir im April kommenden Jahres wieder, das steht schon fest und ich freue mich riesig drauf.“ Sein Traum sei es, mit finanzieller Unterstützung der Balearen-Regierung irgendwann an jeder Schule für jede soziale Schicht kostenlosen Unterricht anbieten zu können. „Bisher bin ich da leider nur auf wenige offene Ohren gestoßen.“ Das sei aber nicht weiter schlimm, denn Capoeira bringe einem bei, niemals aufzugeben und immer an seinen Träumen festzuhalten.