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Nahezu komplett ausgebuchte Hotels zur Sommersaison auf Mallorca und ein Flughafen, der von Juni bis September Monat auf Monat neue historische Rekorde meldet: Mallorcas Geschäft mit dem Tourismus scheint wieder wie geschmiert zu laufen, wäre da nicht ein finsterer Schatten, der auf die Sonneninsel fällt.

Denn Rekordzahlen meldet auch das Arbeitsamt: Noch nie waren in einer Hochsaison so viele Menschen auf der Insel ohne Job wie in diesem Jahr. Selbst im August - dem traditionellen Hauptreisemonat in Spanien und somit Mallorcas Monat der Vollbeschäftigung par excellence - waren mit 74.960 Registrierten fünf Prozent mehr arbeitslos als vor einem Jahr, und mehr als doppelt so viele wie in den guten alten Zeit vor der Wirtschaftskrise.

Für den Winter sind die Aussichten bitter: Im Dezember schließen so viele Hotels wie noch nie, teilte Mallorcas Hotelverband (Fehm) am Mittwoch mit: Dann stehen nur 14,2 Prozent aller Betten für Gäste bereit (2011: 15,9 Prozent).

Der für Mallorca außerordentlich ungewöhnliche Kontrast deckt auf, was Fachleute schon seit einigen Jahren voller Sorge beobachten: Der Fremdenverkehr - das sprichwörtliche Huhn, das goldene Eier legt - funktioniert nicht mehr gut genug, um ausreichend Beschäftigung und Wohlstand für die Insulaner zu schaffen.

"Der Tourismus verliert zunehmend an Zugkraft", sagt der balearische Wirtschaftsweise Antoni Riera. Der Direktor des Wirtschaftswissenschaftlichen Forschungszentums CRE, das von der Sparkasse Sa Nostra und der Balearen-Universität getragen wird, vergleicht den Tourismus auf den Inseln mit einer Lokomotive, die es zunehmend Kraft kostet, in Fahrt zu bleiben. "Es kommen zwar mehr Besucher als in den Vorjahren. Und sie geben insgesamt auch mehr Geld aus. Doch die Zuwächse bei den Ausgaben sind nicht so hoch wie bei den Besuchern." Im Klartext: Die Geldmenge, die pro Tourist auf der Insel verbleibt, schrumpft von Jahr zu Jahr.

Eindrucksvolle Zahlen dazu legt eine Studie des Hotelverbandes von 2011 vor: So ist der Anteil des Tourismus - immerhin das wirtschaftliche Rückgrat der Balearen - am insulären Bruttoinlandsprodukt von 46,1 Prozent im Jahre 2000 kontinuierlich auf 43,2 Prozent gesunken.

Noch deutlicher wird dies bei folgenden Vergleichen: Im Jahr 2011 lag das Einkommen aus dem Tourismusgeschäft inflationsbereinigt in etwa gleichauf mit dem des Jahres 2000. Um jedoch zu diesem annähernd konstanten Wert zu gelangen, mussten fast zehn Prozent mehr Urlauber die Insel besuchen als vor elf Jahren. "Das bedeutet, wir sind nicht wettbewerbsfähig, denn eigentlich hätten wir diesen Wert nach all den Jahren nun mit weniger Urlaubern erzielen müssen", sagt die Fehm-Direktorin Inmaculada Benito.

Der relative Bedeutungsverlust des Tourismussektors zeigt sich auch an anderen Rechnungsgrößen der Volkswirtschaft: So lagen die Balearen im Jahre 2000 von ihrem Pro-Kopf-Einkommen her 8,5 Zähler über dem europäischen Schnitt von 100 Punkten. Innerhalb von zehn Jahren sanken die Inseln von ihrer vorderen Position herab auf einen unterdurchschnittlichen Indexwert von 96,2 Punkten.

"Die Hoteliers verdienen an jedem Gast im Schnitt weniger als dies noch vor einigen Jahren der Fall war", sagt Javier Capó. Der Wirtschaftsprofessor an der Balearen-Hochschule rechnet vor: "So braucht der Hotelier im Verhältnis mehr Gäste als früher, um seine Betriebskosten zu decken und um seine Rendite erwirtschaften zu können."

Was aber sind die Gründe dafür, dass der Tourismus den Inseln weniger Geld einbringt als früher?

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"Die touristische Wertschöpfungskette hat sich verkürzt", sagt Wirtschafts-Guru Riera. Buche heute ein Tourist seinen Urlaub auf Mallorca, so verbleibt von seinem Pauschalbetrag heute mehr Geld im Quellmarkt (sprich: der Heimat des Urlaubers) zurück als früher. Im Zielgebiet kommt dagegen weniger Geld an.

Das bedeutet indes nicht, dass etwa die deutschen Reiseveranstalter die Preise der mallorquinischen Hoteliers zunehmend drosseln. Ein wachsender Teil des Geldes, so Capó, geht für Transportkosten drauf, die wegen des Kerosinpreises gestiegen sind. Ein weiterer Faktor sind All-inclusive-Angebote, sagt Riera. Auch diese Form von Verpflegung lasse weniger Geld auf die Inseln gelangen als früher.

Die Entwicklung, dass die Gewinnmargen im Tourismusgeschäft zu schrumpfen begannen, wurde erstmals 1999 beobachtet, sagt Riera. Damals wurde zur Verrechnung der Euro festgeschrieben. Devisenvorteile, wie sie die Abwertung der Peseta gegenüber der starken D-Mark beinhalteten, waren damit Vergangenheit. Die heutige Entwicklung sei jedoch nicht dem Euro-Effekt anzulasten, sondern den Versäumnissen der Balearen-Wirtschaft, sich den neuen Bedingungen in Europa rasch anzupassen und die Produktivität zu steigern.

"Der sinkende touristische Wertzuwachs fiel volkswirtschaftlich nicht weiter auf, weil die Bautätigkeit boomte. Sie kaschierte die Entwicklung", sagt Riera. Erst als die Immobilienblase platzte, wurde mehr als deutlich, dass der "touristische Motor" den Wegfall der Arbeitsplätze am Bau und in den Zuliefererbetrieben nicht ausgleichen konnte.

Nach den Worten der Geschäftsführerin des Hotelverbandes, Inmaculada Benito, hat der Sektor 2011 und 2012 rund 5000 Arbeitsplätze geschaffen. "Wir stoßen aber an unsere Grenzen, weil es keinen Zuwachs an neuen Hotels oder zusätzlichen Betten gibt."

Nach ihren Worten haben sich die Inseln infolge des Euro-Effekts in eine teure Destination verwandelt, wohingegen die Verbraucher zunehmend preisbewusster auftreten und per Internet eine viel größere Auswahl an alternativen Zielen haben.

Der Wirtschaftsprofessor Javier Capó ist sicher: "Die politische Instabilität in Nordafrika und die Schuldenkrise in Griechenland haben Mallorca Vorteile gebracht. Ohne sie wäre die Situation noch viel schlechter."

„Produktivität steigern geht nur allmählich“

Auf die Frage, ob Sparmaßnahmen oder Beschäftigungsanreize das bessere Mittel seien, um die Balearen-Wirtschaft wieder ins Lot zu bringen, antwortet der Wirtschaftsweise Toni Riera: „Weder noch: Wir müssen die Produktivität erhöhen.“ Also aus jedem investierten Euro mehr Gewinn herausholen als bisher. Der Experte räumt ein, dass sich das leicht sagen lässt, ein Patentrezept gebe es aber nicht. Notwendig seien höherqualifizierte Jobs, die einen höheren Mehrwert erbringen als Handlanger-Tätigkeiten.

Der Wirtschaftsprofessor Javier Capó hält es für unabdingbar, ein Minimum an Wirtschaftstätigkeit aufrecht zu erhalten. Konkret bedeutet dies, den Tourismus nicht vollständig in den Winterschlaf sinken zu lassen. Andernfalls rentiere sich die Unterhaltung der auf Sommer-Volllast ausgelegten Infrastrukturen – Airport, Hotels, Gerätschaften – nicht. Notwendig seien koordinierte Lösungen, bei denen alle – Hoteliers, Gastronomen, Einzelhandel, Gewerkschaften, Steuerbehörden – an einem Strang zögen, um mehr Winterbetrieb zu generieren. Ideal wäre es, wenn statt lediglich zehn Prozent der Hotels 20 bis 30 Prozent des touristischen Angebots geöffnet bliebe. „Aber eine Steigerung der Produktivität geht nicht von heute auf morgen. Das dauert mehrere Jahre.“