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Schon die Fahrt über den Pass wird zur Geduldsprobe. Im Sekundentakt schießen Radsportler die Kehren hinab. Ihre farbenfrohen Klamotten glänzen im Sonnenlicht gleich dem Federkleid von Papageien. Ihre Gesichtszüge sind entspannt trotz des Fahrtwindes, der ihnen ins Gesicht bläst. Immerhin haben sie den 497 Meter hohen Bergkamm bezwungen und können es von hier ab ruhig angehen lassen. Ganz anders diejenigen "Ciclistas", die die Serpentinenstraße noch vor sich haben und eher verkrampft dreinblicken. Einen ähnlich hölzernen Eindruck machen die Autofahrer in den Kleinwagen mit den bunten Aufklebern der Mietwagenfirmen auf dem Kofferraumdeckel, denen die vielen Radler die Fahrt offenbar zur Tortur machen.

Wer nach Sóller will, in jenes Städtchen, das gleich dem Schneewittchendorf hinter den Bergen liegt, muss dieser Tage eine Menge Geduld aufbringen. Nicht nur diejenigen, die sich für eine Fahrt über den Pass entscheiden. Auch am Südportal des Tunnels, der die Vorbergzone bei Bunyola mit dem Orangental verbindet, stauen sich die Fahrzeuge, aber wer von Palma aus auf schnellem Wege ins Zitrus-Dorf will, muss unter dem Massiv hindurch. Noch werden an der Zahlstelle 4,90 Euro fällig. Noch. Denn im September, so will es der Inselrat, wird die drei Kilometer lange, in die Jahre gekommene Röhre mautfrei. Was für die meisten Urlauber, Residenten und echten Mallorquiner, die schon lange Wut auf "Spaniens teuersten Tunnel" hegen, wie eine Erlösung gilt, betrachten viele "Sollerics" mit großer Skepsis. Befürchten doch einige eine regelrechte Invasion von Urlaubern und einheimischen Tagestouristen.

Wer sich derzeit, einmal im Orangendorf angekommen, umsieht, kann die Sorgen verstehen. Voll ist es in Sóller schon jetzt. Sehr voll. Dabei ist gerade einmal April und die Saison, wenn man den 1. des Monats als Startpunkt nimmt, nur wenige Wochen alt.

Auf der Plaça de sa Constitució, die mit Kirche und Rathaus sowohl von geistlicher als auch weltlicher Macht gesäumt wird, haben sich die Radfahrer niedergelassen und trinken Bier. Man spricht Deutsch. Durch den Carrer de sa Lluna schiebt sich das übrige Urlaubsvolk, vom Wanderer, an dessen Rucksack verschwitzte Funktionswäsche trocknet, bis zum schicken Rentner-Paar aus Düsseldorf. Sóller scheint beliebter denn je.

"Ich denke, dass es in diesem Jahr wieder ähnlich wird wie 2016", erzählt Sandra Burenkow, die mitten in der Fußgängerzone einen Friseursalon mit kleiner Boutique betreibt. "Letzten Sommer war hier so viel los, da konnte man sich kaum noch bewegen. Bis zur Plaça - und das sind nur etwa 50 Meter - habe ich manchmal zehn Minuten gebraucht", erläutert die Blondine mit dem charmanten Berliner Akzent. Burenkow ist sich sicher, dass dieser Ansturm an Urlaubern viele auch abschreckt. "Ich kenne Leute, die wollen nicht wiederkommen, denen ist es hier einfach zu voll." Für die Einwohner, vor allem für jene, die Geschäfte betreiben oder in der Gastronomie arbeiten, seien die Sommer mittlerweile regelrechte Belastungsproben. "Ich habe Kunden, die altern in der Hochsaison um Jahre", erklärt Burenkow, der die Liebe zu "ihrem" Sóller deutlich anzumerken ist, mit einem Augenzwinkern. Dass jeder nach Sóller will, versteht sie dennoch. "Es ist ein tolles Dorf, denn es gibt hier alles, was man braucht. Wegen der Lage hinter der Tramuntana waren die Leute immer Selbstversorger, das merkt man noch heute. Und im Gegensatz zu Örtchen wie Valldemossa, in denen kaum noch jemand wohnt, gibt es hier ein richtiges Leben."

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Ähnlich sieht es der Künstler Miquel Ángel Bernat, der am Carrer de sa Lluna ein Atelier mit Verkaufsraum hat. "Es ist einfach ziemlich voll hier und das Dorf ist für solche Massen auch nicht ausgelegt", erklärt der Mann mit der farbverschmierten Schürze. "Panik sollten wir dennoch nicht verbreiten, es ist ja nicht Disneyland", sagt er lachend.

Die größte Sorge der "Sollerics", egal ob dort geboren oder zugewandert, scheint die Parkplatzsituation zu sein. "Wo sollen diese Leute hin? Wo sollen sie ihre Autos stehen lassen?", fragt sich Rosa, die gemeinsam mit ihrem Mann Juan gleich gegenüber der bei vielen Deutschen beliebten Eisdiele "Sa Fábrica de Gelats" die Kaffeebar "Sa Vila" betreibt. Sie selbst freut sich natürlich über jeden Kunden, der ihr Lokal besucht. "Uns bringt das Geld, logisch finden wir das gut, aber das Dorf gerät tatsächlich an seine Kapazitätsgrenzen." Im Rathaus wird vor allem beschwichtigt: "Wir studieren die Situation und werden sehen, wo wir weitere Parkplätze ausweisen können", heißt es vonseiten des Bürgermeisters Jaume Servera.

Dass die Suche nach einem Stellplatz bereits jetzt zur Geduldsprobe wird, weiß jeder, der dem Orangendorf unlängst mit dem Auto einen Besuch abgestattet hat. Die gebührenpflichtigen blauen ORA-Zonen sind spärlich gesät und die Parkplätze meist sehr eng. Bis auf den kleinen Parkplatz im Carrer de sa Romaguera gibt es im Ortskern fast nur Stellflächen entlang der Sträßchen, in den meist engen Einbahnstraßen ist das Parken ohnehin verboten. Die meisten Besucher weichen auf die Landstraße aus, die das Dorf mit dem Hafen verbindet.

"Es werden sicherlich hier und da kleinere zusätzliche Stellflächen entstehen. Mega-Parkplätze wird es sicher nicht geben", glaubt der Unternehmer Franz Kraus, Inhaber des lokalen Lebensmittelvermarkters "Fet a Sóller". Er sieht sowohl dem Sommer als auch der Zeit nach dem Fall der Tunnelmaut gelassen entgegen. "Die Urlauber kommen ohnehin, mit oder ohne Maut", sagt Kraus. "Nach September wird sicherlich ein Anstieg bei den mallorquinischen Tagesausflüglern zu verzeichnen sein, aber dramatisch wird das nicht." Vielmehr glaubt Kraus an eine Dynamisierung der lokalen Wirtschaft. "Sóller, das war bisher lagebedingt eine 'Insel auf der Insel', das wird sich ändern." Ihn als Geschäftstreibenden freut besonders, dass sein Unternehmen dank der Abschaffung der Maut pro Jahr einen fünfstelligen Betrag sparen kann. "Und ich glaube, dass sogar alte Familienbande wiederbelebt werden können, alleine zwischen Bunyola und Sóller oder anderen Gemeinden in der Nähe von Palma."

Sein Fazit: "Der kostenlose Tunnel wird zum Aufschwung im Orangental beitragen, auch beim Handel mit Zitrusfrüchten." "Und die sind besonders wichtig für uns", sagt Bürgermeister Servera. "Sie prägen das Image des Dorfes wie kaum etwas anderes." Für "Spaniens teuersten Tunnel" jedenfalls wird Sóller bald nicht mehr bekannt sein.

(aus MM 14/2017)