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Ist das Zentrum von Palma von touristischen Besuchern bereits vollkommen überrannt? Sind es viel zu viele, wie mancher Tourismuskritiker behauptet? Oder kann das Wachstum weitergehen, weil noch genügend Platz vorhanden ist auf den Straßen und Plätzen? Wo liegen die Grenzen des Besucheransturms im Sommer? Ist eine Obergrenze, eine Schranke notwendig?

All das sind Fragen, die in der Balearen-Metropole schon lange erörtert werden, von Bürgern, Behörden und mitunter von den Besuchern selbst. Auf jede dieser Fragen gibt es unzählige Antworten subjektiver Natur. Während dem einen Anwohner die Massen der Wanderer in der Altstadt schon längst wie eine Invasion vorkommen, könnten es für den einen oder anderen Ladenbesitzer durchaus noch ein paar Kunden mehr sein.

Mit dieser komplexen Angelegenheit haben sich im Juni in Palma gleich mehrere Organisationen befasst. Die Stiftung Fundació Alternativas veranstaltete gemeinsam mit den Inselrat von Mallorca zwei Podiumsdiskussionen, auf denen debattiert wurde, wie der City-Tourismus auf mehr Nachhaltigkeit umorganisiert werden könnte.

Unabhängig davon erfolgte einen Tag später ein Forum der Vereinigung „Palma XXI”, die sich der Stadt und ihrer Lebensqualität im 21. Jahrhundert verpflichtet fühlt. Hier sind Stadtplaner, Architekten, Sozial- und Gesellschaftswissenschaftler, Unternehmer und interessierte Einzelpersonen zusammengeschlossen, um Vorschläge zur Bewältigung der Herausforderungen in der unmittelbaren Zukunft Palmas auszuarbeiten.

Vertreter beider Organisationen waren sich einig, dass zur effektiven Planbarkeit der notwendigen Stadtentwicklung statistisches Daten- und Zahlenmaterial notwendig ist, das bisher nur in unzureichender Menge vorhanden war.

„Wir kennen die Zahlen der Schiffe und Hotels in Palma, aber wir wissen nicht, wohin die Leute gehen, was sie machen”, sagt Bálint Kádár, Stadtplaner und Professor an der Universität Budapest. Doch genau dafür hat der ungarische Wissenschaftler ein System entwickelt, mit dem die Ströme der Besuchermassen in einer Stadt, einer Region oder auf einer Insel bewältigt werden sollen.

Zunächst einmal geht es um die Erfassung ihrer Quantitäten. Dazu wertete Kádár Fotos aus sozialen Netzwerken wie Flickr aus. Jedes Mal, wenn ein Besucher oder Bewohner in Palma ein Foto in der Stadt schoss und im Internet hochlud, konnte Kádár über die Geodaten den Standort des abgelichteten Objekts sowie des Fotografen in einem Plan vermerken. Je mehr Fotos über die Jahre an ein und demselben Standort (zumeist vor Sehenswürdigkeiten) entstanden, desto höher und dichter wuchsen die roten Markierungen auf der digitalen Landkarte. Und nicht nur das. Aufgrund der Reihenfolge der entstandenen Fotos lassen sich Rückschlüsse auf die Wege des Fotografen ziehen. Der anonyme Palma-Besucher wird transparent.

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Der Rest ist Mathematik, sind Logarithmen. Anhand der Häufigkeiten der Markierungen lassen sich die Intensitäten der „Hot Spots” zueinander berechnen und in Beziehungen setzen zur umgebenden Fläche, zur Bebauung, zur Zahl der Anwohner, zu den vorhandenen Kapazitäten von Hotellerie, Gastronomie, Handel, öffentlichem Nahverkehr et cetera.

Für den Fachmann bleiben auf dem Papier Quotienten übrig, die es ermöglichen, alles mit allem zu vergleichen, etwa die Plaça Major in Palma mit dem Times Square in New York.

Für seine Dissertation hatte Kádár die touristische Inanspruchnahme der Flächenkapazitäten in Wien, Prag und Budapest miteinander verglichen. Die dabei gewonnenen Ergebnisse geben ihrerseits Hinweise darauf, welches die Geheimnisse einer optimalen touristischen Nutzung sind, damit eine Stadt von ihren zugereisten Besuchern wirtschaftlich profitiert und prosperiert, ohne dass sich die Einwohner überrannt fühlen, und auch ohne dass die Besucher die Destination als (zu) überlaufen empfinden.

Anhand seiner Zahlenmodelle kann Kádár zudem nachweisen, dass vernetzte Gitterstrukturen in einem touristischen Zielgebiet besser funktionieren als lineare Strukturen, in denen Besucher letztlich nur vor- und zurücklaufen können (etwa über die Karlsbrücke in Prag). Notwendig seien von daher gut miteinander vernetzte Ziele (Sehenswürdigkeiten und/oder Stadtviertel) samt entsprechenden Wegen zueinander. Solche Wege ließen sich erreichen etwa durch den Ausschluss des Autoverkehrs und der Schaffung von „fußgänger-freundlichen Straßen”.

Kádár und die Stiftung Palma XXI haben im April mit der Ausarbeitung einer Studie begonnen, die neben Geodaten aus dem Internet auch auf traditionellen Befragungen basieren wird. Als Vergleichswert wird zudem das Ortszentrum von Valldemossa einbezogen. Die Ergebnisse der Studie werden im Oktober präsentiert.

Letztlich kommt es bei der Suche nach der optimalen Nutzung touristischer Flächenräume, so Kádár, auf die Ausgewogenheit an. Diese lässt sich anhand von Zahlenformeln für jede Destination berechnen. „Touristische Ströme sind einerseits zu fördern, andererseits zu reglementieren”, sagt Kádár. Dies könne durch Anreize wie neue Museen („Bilbao”) oder die Schaffung von Fußgängerzonen geschehen, oder eben auch durch Anlegeverbote für zu viele Kreuzfahrtschiffe. „Tourismus ist planbar”, sagt Kádár. Es sei aber unerlässlich, die Vorhaben in die Stadtplanung zu integrieren. „Getrennt funktioniert das nicht.”

(aus MM 23/2018)