Wegen des Vulkanausbruchs auf Island saßen vor zehn Jahren Tausende Flugreisende fest. | J. Morey

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Das Unheil kündigte sich – so ähnlich wie bei der Coronakrise – zunächst ganz unscheinbar an. Irgendwo in weiter Ferne war etwas passiert, das womöglich zu einer Gefahr werden könnte. Aber Wuhan in China lag anfangs gefühlt unendlich weit weg, und auch die Gletscherinsel im Nordatlantik erschien 2010 von der Sonneninsel Mallorca nahezu unerreichbar entrückt zu sein. Doch dann beendete der seit 200 Jahren ruhende Island-Vulkan Eyjafjallajökull am 14. April seinen Tiefschlaf.

Die Wolke aus Lavastaub wuchs sich aus und wirbelte für eine Woche die Luftfahrtindustrie in Europa durcheinander. Zwar war die Kontamination am Himmel mit bloßem Augen nicht zu sehen, und auch Messungen waren in der Höhe kaum möglich, doch Berechnungen der Wetterbehörden ließen erahnen, wie sich die Partikel zunehmend über Europa ausbreiteten. Aus Sorge, der Staub könne die Motoren der Flugzeuge stocken lassen, wurden zur Sicherheit von Passagieren und Besatzungen nach und nach immer mehr Flughäfen gesperrt.

Das hatte auf Mallorca gravierende Auswirkungen. Hier war nach den Osterfeiertagen Anfang April die touristische Saison gut angelaufen. So konnten plötzlich Zehntausende von Urlaubern, die sich auf der Insel befanden, nicht mehr die Heimreise antreten. Die Menschen saßen am Flughafen fest, belagerten mit ihren Koffern die Grünzonen, sonnten sich auf dem Rasen. Tausende wurde von den Reiseveranstaltern per Fähren und Bussen heimgeschafft. Wiederum Zehntausende andere, die Reisen nach Mallorca gebucht hatten, konnten in Deutschland nicht abfliegen, mussten nach Hause umkehren oder etwa am Airport Frankfurt die Nacht in improvisierten Schlafsälen zubringen.

Die Aschewolke löste vor einem Jahrzehnt Zustände aus, die man bis dato für unmöglich gehalten hatte. Álvaro Middelmann, damals Air-Berlin-Direktor für Spanien und ein Urgestein der Luftfahrt sagte seinerzeit: „So etwas habe ich noch nie erlebt.”

Die Ereignisse in der zweiten Aprilhälfte 2010 lesen sich aus heutiger Sicht wie ein ulkiges Mini-Drama – im Vergleich zu den Erfahrungen, wie sie derzeit im Zuge der Coronakrise und Ausgangssperre gemacht werden. Aber der Reihe nach:

Mittwoch, 14. April – Der Vulkan spuckt riesige Mengen Lavaasche aus. Schmelzendes Gletscherwasser überflutet den Süden Islands. 700 Menschen müssen ihre Häuser verlassen.

Donnerstag, 15. April – Die Aschewolke breitet sich aus und lähmt den Flugverkehr in Nordeuropa. Irland, England, Norwegen, Schweden und Dänemark sperren ihre Flughäfen. Hinzu kommen die Benelux-Staaten, in Frankreich werden 37 Airports geschlossen.

Die ersten Mallorca-Flüge sind von der Sperrung des Luftraums betroffen. In Palma fallen 44 Flüge aus, die meisten nach England. Europaweit sagen Airlines ein Viertel ihrer 28.000 Tagesverbindungen ab.

Freitag, 16. April – Der Lavastaub am deutschen Himmel weitet sich im Laufe des Tages von Nord nach Süd aus. Am Abend werden die letzten Airports in Baden-Württemberg und Bayern geschlossen. Es folgen Sperrungen in der Schweiz und Österreich. In Spanien müssen rund 800 Flüge aus den oder in die gesperrten Gebiete abgesagt werden.

Am Airport Palma bilden sich lange Schlangen vor den Flugschaltern. Viele Briten kommen nicht weg, müssen mit Umbuchungen und Wartefristen von einer Woche rechnen. Am Abend ist Palmas Airport weitgehend verwaist. Die Passagiere haben sich Hotelzimmer genommen. Feldbetten und schlafende Reisende sind nicht anzutreffen.

Samstag, 17. April – In Nord- und Mitteleuropa können Passagiermaschinen weder starten noch landen. Lediglich in Südeuropa ist der Luftraum teilweise noch offen. Auf den Routen von und nach Mallorca müssen 50.000 Menschen am Boden bleiben. Von den 504 programmierten Starts und Landungen in Palma können lediglich 135 erfolgen (27 Prozent). Offen sind vor allem die Verbindungen auf das spanische Festland. Die Urlauber, die die Insel nicht verlassen können, finden hauptsächlich in den Hotels an der Playa de Palma – in Flughafennähe – Unterkunft. Die rund 40.000 Betten sind nach Angaben der Hotelverbände fast ausgelastet. Wer aufgrund des Flugverbots nicht nach Mallorca gelangen kann, storniert seine Urlaubsbuchung. Das sind bereits 35 Prozent aller Reservierungen für die kommende Woche.

Der Reisekonzern Tui startet in der Nacht zum Sonntag die erste Rückholaktion für Mallorca-Urlau-ber: Eine Maschine bringt die Gäste nach Barcelona, mit Bussen geht es weiter nach Frankfurt.

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Sonntag, 18. April – Die Lavawolke erreicht den spanischen Luftraum. Seit morgens 8 Uhr sind elf nordspanische Airports, darunter Barcelona, gesperrt. Auf den Flughäfen von Palma und Menorca wird der Betrieb um 12 Uhr eingestellt. Die Schließung in Palma ist indes relativ kurz: Sie dauert offiziell bis 15.30 Uhr. Danach werden auch die nordspanischen Airports wieder geöffnet. Aufgrund der chaotischen Zustände im europäischen Luftraum steigen in Palma jedoch bis abends kaum Flugzeuge auf.

Angesichts der Vollsperrung versuchen Tausende von Reisenden, ein Fährticket zu ergattern. Im Hafen bilden sich lange Schlangen. In Palma erfolgen lediglich 43 der geplanten Starts und Landungen. Mehr als 40.000 Passagiere auf den Mallorca-Routen sind betroffen.

Am Nachmittag werden in Deutschland vorübergehend fünf Airports geöffnet. Air Berlin will aus Palma rund 1000 Pauschalurlauber nach Berlin ausfliegen. Die Menschen sind bereits am Airport Son Sant Joan, als Tegel wieder geschlossen wird. Die Passagiere müssen erneut in die Hotels.

In der Nacht zum Montag bringen vier Sonderflüge insgesamt 700 Tui-Kunden von Palma nach Barcelona, wo sie mit Bussen nach Frankfurt befördert werden.

Montag, 19. April – Das in weiten Teilen Europas herrschende Flugverbot wird allmählich gelockert. Die EU-Verkehrsminister geben grünes Licht, damit 40 bis 45 Prozent der geplanten Flüge stattfinden können.

Die deutsche Airline Condor fliegt Mallorca-Urlauber des Reiseveranstalters Thomas Cook nach Salzburg aus, wo das Flugverbot am Morgen aufgehoben wurde.

Mit einer Ausnahmege-nehmigung startet mittags eine Air-Berlin-Maschine in Palma mit rund 210 Passagieren und landet um 15.23 Uhr in München. Bis zum Abend finden zehn weitere Rückholflüge nach Deutschland statt.

Seit Ausbruch der Krise mussten 80.000 Passagierflüge gestrichen werden, betroffen waren sieben Millionen Menschen. Die sechs größten Airlines bezifferten die Umsatzverluste auf 600 Millionen Euro. Hinzu kommen krisenverursachte Kosten von 140 Millionen Euro.

In Palma werden 190 der geplanten 479 Starts und Landungen absolviert. 38.000 Menschen bleiben am Boden.

Dienstag, 20. April – Nach Angaben des Deutschen Reiseverbandes (DRV) sind seit Ausbruch der Krise insgesamt 230.000 deutsche Urlauber von den Flugstreichungen betroffen. 130.000 von ihnen hatten sich im Ausland aufgehalten. Tui fliegt mit 17 Maschinen rund 2500 Mallorca-Urlauber aus.

Mittwoch, 21. April – Allgemeine Entspannung macht sich breit: Ab 11 Uhr ist der Luftraum über Deutschland wieder komplett freigegeben. Rewe Touristik geht davon aus, dass die Flüge von Air Berlin, Condor und Tuifly wieder „planmäßig durchgeführt” werden können. Auch Tui meldet „seit 0.00 Uhr wieder Normalbetrieb”. Rund 3500 Gäste treten ihren Urlaub wie gebucht an. Mallorca betreffend gibt Air-Berlin-Direktor Middelmann bekannt, dass es sich um einen „Tag des Übergangs” handle, ab Donnerstag sei wieder „normaler Betrieb” zu erwarten.

Das Fazit, das damals alle zogen: Mallorca war gerade noch „mit einem blauen Auge” der Aschewolke entkommen.

(aus MM 15/2020)