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Zwanzig Minuten sind es in etwa bis zum Schloss", sagt Miquel Melià, überquert den Parkplatz am Strand von Sa Coma und geht auf ein kleines Gatter zu. Dahinter schlängelt sich ein Schotterweg durch die Wiesen. Der Kontrast zu den Betonblöcken der Hotels, die Sa Comas Badestreifen auf der anderen Seite des Parkplatzes säumen, ist enorm. Wer nicht zurückblickt, sieht nur Natur vor sich. "Willkommen in der Punta de n'Amer" sagt Melià. Er ist Mitarbeiter im Tourismusamt im Rathaus in Sant Llorenç. Auf dessen Gemeindegebiet erstreckt sich die Punta de n'Amer - eine Halbinsel von rund 200 Hektar Fläche. Im Süden grenzt sie an Sa Coma, im Norden an den nicht weniger bebauten Küstenstreifen von Cala Millor.

"Es ist unsere grüne Lunge", sagt Rafaela Riera und schließt zu Melià auf. Sie arbeitet im Kulturamt des Rathauses und führt MM bereitwillig durch die Natur. "Die Einwohner lieben die Punta de n'Amer, hier kann man abspannen, weg von dem Gewimmel, das im Sommer an den Stränden herrscht", erklärt sie. Man merkt, wie wichtig das Gebiet für die kleine Gemeinde ist. Vielleicht, weil im Sommer die Zahl der Einwohner im Gemeindegebiet von 8000 auf 50.000 steigt und der Ort aus allen Nähten platzt. Vielleicht auch, weil sich eingebrannt hat, wie oft der Erhalt des Naturstreifens bis vor drei Jahrzehnten immer wieder auf der Kippe stand. "Es gab unzählige Pläne für Bauprojekte. Das war ein Kampf", berichtet Melià. 1985 kam dann die erlösende Entscheidung der Balearen-Regierung: Die Punta de n'Amer wurde zum Naturgebiet von besonderem Interesse erklärt - sprich: Bauen verboten.

Gelbe Blumen säumen den Wegesrand, ein Vogel zwitschert in der Nähe, von Weitem hört man das Meer rauschen. Ansonsten ist es still. An der rechten Seite taucht ein niedriges Steingebäude auf. "Ein Bunker. Der stammt aus dem Spanischen Bürgerkrieg", kommentiert Melià. Damals, im August 1936, waren Truppen der Republikaner vom spanischen Festland an der Punta de n'Amer an Land gegangen, um Mallorca vom Franco-Regime zu befreien. "Aber nach 20 Tagen sind sie wieder abgezogen", so Melià.

Ein kleines Wäldchen aus mallorcatypischen Aleppo-Kiefern säumt jetzt den Wegesrand. Mehrere Pfade zweigen links und rechts ab, Mountainbike-Spuren zieren den Lehmboden. "Nach Feierabend machen viele Einwohner hier ihr Sportprogramm", erklärt Melià. Auch Touristen kämen vermehrt mit dem Rad. Dieses Jahr sollen die Fahrradwege mit der nahgelegenen Vía Verde verbunden werden, so der Plan des Rathauses.

Hinter dem Waldstück erstreckt sich eine grüne Wiese, im Hintergrund strahlt das blaue Meer. Ein Esel hebt scheinbar interessiert den Kopf, um die Passanten zu begutachten, wendet sich aber schnell wieder dem Grasen zu. "In der Nähe liegt auch eine Pferderanch, vor allem Touristen machen hier häufig Ausritte." Mehrere Pferdehaufen am Wegesrand bezeugen dies.

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Die Steigung auf dem Weg ist kaum merklich, wer durch die Punta de n'Amer spazieren will, muss bei Weitem kein Hochleistungssportler sein. Und Meliàs Vorhersage stimmt: Nach gut 20 Minuten kommt das "Schloss" in Sicht, das Ausflugsziel auf der höchsten Stelle der Halbinsel. Der Begriff "Schloss" ist dabei vielleicht ein bisschen übertrieben, auch als Burg geht das helle Sandsteingebäude nur mit viel Wohlwollen durch. "Eigentlich ist es ein Wachturm", lenkt Rafaela Riera ein. "Der Einzige auf Mallorca, der nicht rund, sondern quadratisch ist", fügt sie hinzu. Erbaut wurde der Turm Ende des 16. bis Anfang des 17. Jahrhunderts. Heute kann er kostenlos betreten und bestiegen werden. Als Abwehrpunkt diene er schon lange nicht mehr, so Riera. "Aber es ist ein toller Aussichtspunkt." Sie hat recht: Von oben kann man nicht nur die gesamte grüne Halbinsel überblicken, sondern im Süden bis nach Portocolom sehen und im Norden bis zur Costa dels Pins. Im Westen erstreckt sich das sanfte Llevant-Gebirge und im Osten das weite Meer.

"Auch die Küste steht hier unter Schutz", berichtet Melià. Wegen der "Posidonia", wie die Meerespflanze Neptungras im Spanischen heißt. An den flachen Felsküsten mit dem Boot anzulegen, ist rund um Punta de n'Amer verboten. Die Dünen werden regelmäßig regeneriert. Vom Wachturm aus kann man die beigen Kordeln erkennen, die abseits der Wanderwege das Gebiet abtrennen, das der Küstenbehörde unterliegt. "Auch mehrere Vogelarten stehen hier unter Schutz", weiß Melià, der in seiner neuen Rolle als MM-Reiseführer aufzublühen scheint. Möwen und auch Kormorane seien Dauergäste, Zugvögel nutzen die Ecke zum Überwintern. Wie zur Bestätigung fliegt eine Möwe krächzend um die Balearen-Flagge, die über dem Aussichtsturm weht.

Am Fuß des alten Gemäuers hat sich das Restaurant "Bar es Castell" angesiedelt - als einzige Lokalität auf der Halbinsel. Irene und Seppl Maurer sitzen an einem der Außentische und genießen den Sonnenschein. "Vor einem Jahr um die Zeit war es bitterkalt, dieses Jahr haben wir Glück", erinnert sich Irene Maurer. Die zwei Rentner aus dem Allgäu tauschen seit vielen Jahren ihre verschneite Märchenlandschaft der Heimat für einige Wochen gegen mediterranes Flair. "Die ersten Jahre sind wir in Sa Coma untergekommen, in letzter Zeit immer in Cala Millor. Hauptsache nah an dieser schönen Natur hier", finden sie. Die beiden sind mit den Leuten vom Rathaus einer Meinung. "Hier auch alles mit Hotels zuzubauen wäre furchtbar."

Etwa zehn Minuten von dem "Schloss" entfernt, wie es Riera nun doch wieder nennt, hat sie noch einen Geheimtipp auf Vorrat. "Diese Höhle wurde noch bis in die 1960er Jahre zum Tabakschmuggel genutzt", erzählt sie und deutet auf ein schmales Loch in den Felsen nahe der Küste. Man muss sich kleinmachen und ein bisschen kriechen, doch der Anblick lohnt sich: Tosend klatschen die Wellen an die Steinwände. Die Rathaus-Mitarbeiter versprechen: "Wer sich Zeit nimmt, kann auf Punta de n'Amer noch vieles mehr entdecken."

(aus MM 08/2016)