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Warum es manchmal schwer ist, das Alte zurückzulassen, obwohl man sich auf das Neue freuen kann

Wenn die heutige Kolumne erscheint, stecke ich noch mittendrin. Mitten in einem Umzug von A nach B und wenn ich in B angekommen bin, was hoffentlich am bevorstehenden Wochenende der Fall sein wird, geht's direkt weiter nach C. Will sagen, ich verlasse mein geliebtes Haus am Bodensee, meinen Garten, in dessen Erde ich meine wunderbaren tierischen Freunde und langjährigen Begleiter zurücklassen werde, in dem ich so manches Kräutlein gehegt und gepflegt habe, um am Ende daraus eine Tinktur zu brauen, eine Salbe zu rühren oder einen Tee zu machen, in dem ich Igeln und Schmetterlingen, Spatzen und Mäusen viele Jahre Speis und Trank offeriert habe und so meinen Beitrag zu einem natürlichen Garten leisten konnte. Manche Besucher rieten mir, ich solle doch ab und an mal Rasen mähen oder Blumen und Sträucher zurückschneiden, aber ich hängte mir gedanklich ein Schild mit der Aufschrift "Biotop – bitte das ökologische Gleichgewicht nicht stören" an den Zhaun und ließ es bleiben. Auch Karl, der grüngold leuchtende Rosenkäfer, der zuverlässig jedes Jahr immer wieder kam, wenn meine Rosen aufblühten, Libellen und ein Frosch (den ich versäumte zu küssen, so ein Ärger) fühlten sich offenbar wohl auf diesem wildromantischen Stückchen Erde.

Es war so heilsam, mit meinen arachnophobischen Patienten (Menschen mit Angst vor Spinnen) nach erfolgreicher Therapie im Garten selbige aufzuspüren und zu beobachten, ganz ohne Panik und Widerstand. Ich hatte auch eine eigene Schneckenzucht. Da es mir beim besten Willen nicht möglich war, die kleinen Schleimer zu töten, einigten wir uns darauf, dass ich sie allabendlich mit meinen Salat- und Gemüseresten fütterte und sie dafür meine Kräuter und Blumen verschonten. Das klappte gut, meistens jedenfalls, also manchmal, sagen wir ab und zu. Ich liebte es, bei der Gartenarbeit ein Schwätzchen über den Zaun zu halten, um mit dem Nachbarn über den besten Rosendünger oder die Geheimnisse von Brennnesseljauche zu fachsimpeln. Dabei, je nach Jahreszeit, an einem Löwenzahnstengel samt Blüte zu knabbern oder eine Erdbeere, Himbeere oder Feige (ja, ich hatte einen Feigenbaum in meinem Garten) zu naschen. Und diese Pracht für Augen und Nase. Erst kamen die Schneeglöckchen, dann die Primeln und Tulpen, später der Mohn und dann ging es Schlag auf Schlag, bis gefühlt alles irgendwie blühte und der Holunderbaum duftete als gäbe es kein Morgen. Wie gemütlich war es, bei Sommerregen, geschützt in der Pergola, in der Hängematte zu träumen oder am Abend mit Freunden um ein schönes Feuer zu sitzen, hach, ich schwärme schon wieder.

Aus. Vorbei. Vergangenheit. Zukünftig werde ich auf meiner Dachterrasse (C, siehe oben) Pflanzen in Töpfen kultivieren, vielleicht im nächsten Sommer auch ein paar süße Früchtchen ernten und es mir, sollte ich mal dazu kommen, mit dem Blick auf das Mittelmeer gutgehen lassen. Dann kommt ja auch im Februar die phantastische Zeit der Mandelblüte. Darauf freue ich mich schon sehr. Im Grunde gibt es also gar keinen Anlass, wehmütig zu sein. Dennoch wird es ein großer Abschied, von Haus und Garten und natürlich meinem Umfeld, Freunden, Restaurants, Lieblingsplätzen am See und spektakulären Sonnenuntergängen auf der "hinteren" Insel, wie der eingeweihte Insulaner sagt. Und ich werde trauern, vielleicht nicht jeden Tag, vielleicht nicht sehr tränenreich, vielleicht nicht sehr intensiv. Vielleicht aber auch doch, heute, nächste Woche oder wenn das Neue Jahr beginnt.

Glücklicherweise kenne ich mich mit Trauer aus und weiß, dass sie ihre eigenen Regeln hat und sich nicht daran hält, was die Trauernden so wollen oder planen. Sie kommt, bleibt für eine Weile, scheint wieder zu gehen, abzuklingen, um dann im nächsten Moment wieder wie eine Monsterwelle über uns zusammenzuschlagen. Mit der Zeit werden die Wellen dann kleiner und seltener. Wir verlieren nicht mehr so schnell den Boden unter den Füßen. An bestimmten Tagen, oft auch zu Weihnachten oder zum Jahresende kann es aber passieren, dass sich die Trauer wieder auftürmt und uns nochmal für einen Moment mit sich reißt. Überhaupt scheint das Bild von Wellen ganz gut zum Verlauf der Trauer zu passen. Es gab lange Zeit die Idee, dass Trauer einem bestimmten Phasenmodell folgt und die Trauernden alle diese Phasen mehr oder weniger intensiv durchlaufen. Dieser Ansatz ist mittlerweile überholt. Man weiß sogar, dass es schwierig sein kann, wenn Trauernde sich fragen, ob sie diese oder jene Phase schon und ausreichend "absolviert" haben.

Manchmal werde ich gefragt, wie man "richtig" trauert. Die Antwort darauf ist ziemlich simpel. Es gibt nicht richtig und falsch, jeder trauert anders. Männer, Frauen, Kinder. Und auch innerhalb der Gruppen ist der Umgang mit Trauer absolut individuell. Sogar das sonst unter Therapeuten so verpönte "Verdrängen", kann eine sehr hilfreiche Maßnahme sein, um sich vorübergehend von den Gefühlen abzuschirmen, um vielleicht Kraft zu tanken und Luft zu holen für die nächste Trauer-Welle. Trauer erfasst uns auf allen Ebenen. Wir können uns nicht gut konzentrieren, werden vielleicht langsamer im Denken, fühlen uns ängstlich oder sind depressiv verstimmt. Der Körper reagiert mit Schlafstörungen, Herz-, Magen- oder Atemwegsbeschwerden. Unser Verhalten ist entweder ruhelos oder wir fühlen uns wie erstarrt. Manche Menschen ziehen sich extrem zurück, andere spüren eher große Wut und Aggression. Und alle diese Gefühle sind normal.

Überhaupt gibt es so vieles, das Trauer auslösen kann. Natürlich denkt man zuerst an den Verlust geliebter Menschen (auch Tiere) durch Tod, aber auch Trennungen oder eigene schwere Erkrankungen (Verlust der Gesundheit) und der Verlust der Heimat oder einfach ein Umzug können Trauerprozesse auslösen. Und in all diesen Situationen ist es richtig und wichtig, sich den Raum zu geben, den man braucht, um mit den Veränderungen leben zu lernen. Dies ist je nach Art und Umständen des Verlustes manchmal erst nach einigen Jahren möglich. Und manche Verluste sind so schwer, dass sie uns immer begleiten werden. Es ist, als hätte das Herz eine Wunde, über der sich mit der Zeit allmählich Narbengewebe bildet. Die Wunde schließt sich, das Herz aber wird an dieser Stelle immer besonders empfindlich bleiben.

In meinem Fall wird die Trauer vermutlich bald großer Freude weichen. Ich bin froh, dankbar und glücklich über viele wunderbare Erinnerungen an meine Zeit in Lindau, in meinem zauberhaften Häuschen und freue mich ebenso auf viele neue, fabelhafte Eindrücke hier auf Mallorca.