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Das Wichtigste vorweg: Den einen, unumstrittenen Mittelpunkt Mallorcas gibt es nicht. Vielmehr hat ein Trio aus Wissenschaftlern der Balearen-Universität 15 Orte ausgemacht, die als solcher infrage kommen. Die Geografen Antoni Ginard und Joan Bauzà sowie der Historiker Andreu Ramis haben sich für ihr neues Buch "El Centre geogràfic de Mallorca" (Das geografische Zentrum Mallorcas), sowohl mithilfe alter Legenden und Untersuchungen der vergangenen 20 Jahre als auch neuer Forschungsmethoden auf die Suche nach dem wahren Herzen des Eilands gemacht.

"Wir sagen nicht, welcher Mittelpunkt der echte und welcher der falsche ist", betont Antoni Ginard. "Wir sagen vielmehr: Jeder dieser Orte hat ein Recht darauf, das Zentrum der Insel zu sein", fügt Andreu Ramis an. "Es kommt nur darauf an, wie stark sich die Bewohner der jeweiligen Gemeinde darum bemühen."

Der Streit um das Zentrum der Insel schwelt schon lange. Allein fünf Gemeinden beanspruchen für sich, das wahre Herz Mallorcas zu sein: Costitx, Sineu, Sencelles, Sant Joan und Lloret de Vistalegre (das die Wissenschaftler in ihrer Publikation beim historischen Namen Llorito nennen). Fragt man die Bewohner der einzelnen Orte, bekommt man die Antwort, dass das Zentrum Mallorcas natürlich auf ihrer Gemarkung liege. Die Gräben in dieser Frage sind tief: "Man kann von einer Rivalität sprechen", so die Wissenschaftler. Die Rathäuser machen sogar Werbung damit, der Mittelpunkt der Insel zu sein, um Touristen anzulocken.

Zunächst setzten sich die Forscher, die bereits mehrmals zusammen arbeiteten, mit den Legenden um den Mittelpunkt Mallorcas auseinander. Dabei spielen Brunnen eine wichtige Rolle. Dort sollen in der Vergangenheit die Wanderschäfer der Insel ihr Vieh getränkt haben. Am Pou de Llorca (Punkt 1) ließ das Rathaus von Lloret gar eine Tafel anbringen: "Hic Maioricae Medium" (Hier ist die Mitte Mallorcas). Der Pou de la Baronia und der Pou de Solanda (Punkt 3 und 4) bezeichnen zwei Brunnen in Sant Joan. La Baronia ist laut Volksglauben so tief, dass er bis zur gegenüberliegenden Seite der Erde, nach Neuseeland, führt. Der Pou de Judí an der Carretera nach Sineu (Punkt 5) existierte schon in maurischer Zeit, die Mallorquiner suchen ihn gern bei unerfülltem Kinderwunsch auf. Das Wasser soll magische Kräfte haben. Bis zur Sanierung 1999 stand dort sogar eine Herz-Skulptur als Symbol der Inselmitte.

Eine besondere Legende rankt sich um Sineu (Punkt 2): Unter dem Glockenturm der Kirche soll sich die Erdachse befinden. "Laut Legende muss sie regelmäßig geölt werden", erzählt Ginard.

Zu den erst in jüngerer Vergangenheit hinzugekommenen Zentren zählt die Steinstele am Gemeinde-Dreieck Sineu, Lloret und Sant Joan (Punkt 6), die in der Vergangenheit eine einzige Kommune in der Pla-Ebene bildeten.

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Die Gemeinden forderten sogar Gutachten an, um endlich den Titel "Mittelpunkt Mallorcas" für sich beanspruchen zu können. So bescheinigte die Balearen-Uni 1992 Costitx (Punkt 7), Zentrum der Insel zu sein. Im Ort ist man der Überzeugung, das Herz der Insel schlage an den Brunnen Pous de Costitx (Punkt 8).

Das spanische Infrastrukturministerium hingegen ermittelte 2005 einen Punkt (11) in der Nähe der Höhlen d'en Dainat (10). Rund um Lloret häufen sich die mutmaßlichen Mittelpunkte.

2014 stellten Freiwillige einen 1,74 Meter hohen und 1200 Kilo schweren Felsblock als Markierung der Inselmitte auf (Punkt 12). "Für Besucher ist das ein schöner Ausflugs-punkt", ergänzt Ramis, der aus dem Ort stammt. Im Dorfzentrum von Lloret markiert wiederum Es Pou (Punkt 9) eine weitere Kandidatur. Hinzu kommt noch ein trigonometischer Punkt aus dem Jahr 1867 (Punkt 14), der den Geografen damaliger Zeit zur Kartografierung der Insel diente. Rein punktemäßig gesehen, geht der Sieg also an Lloret.

Auch mit moderner Computertechnik lässt sich nicht der eine Mittelpunkt ausmachen. Schuld ist die charakteristische Form Mallorcas. "Es gibt zehn Berechnungsmethoden", erklären die Geografen. Zwei davon haben sie für eigene Berechnungen angewendet und sind zu zwei unterschiedlichen Ergebnissen gekommen - und beide haben Gültigkeit. Bei der ersten Methode, "The Moment Mentroide", wird der Schwerpunkt der Insel errechnet - als würde man eine Pappschablone auf einem Bleistift balancieren. Joan Bauzà, der Technikexperte des Trios, ermittelte so den Mittelpunkt an der Landstraße zwischen Lloret und Pina (Punkt 13). Die zweite Methode heißt "The Arithmetic Mean Centroid". Mit ihrer Hilfe wird das arithmetische Mittel der Insel in einem dreidimensionalen Koordinatensystem bestimmt. Laut der Berechnungen der Wissenschaftler könnte sich das Herz der Insel also auch auf der Gemarkung von Sencelles an der Straße zwischen Ruberts und Sineu befinden (Punkt 15).

Wenn sich der Mittelpunkt aber gar nicht eindeutig bestimmen lässt, warum beschäftigen sich die Forscher damit? "Die Suche nach dem Zentrum gab es bereits im Altertum", erklärt Historiker Ramis. Es verhalte sich wie mit den Grenzen eines Landes: "Mittelpunkte sind identitätsstiftend", erläutert er. Sie dienen als Referenzpunkt für Auswärtige und die Menschen vor Ort. "Das eigentlich Spannende sind doch die Geschichten und Diskussionen, die sich um den Mittelpunkt Mallorcas ranken", sagen die Wissenschaftler.

(aus MM 29/2017)