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Sattes Grün schimmert in allen Nuancen, die das Sonnenlicht herausholen kann. Dazwischen, wie hingetupft, unzählige leuchtend gelbe Zitronen und goldgelbe Orangen. Und als wäre der Schönheit der Landschaft damit noch nicht genug getan, erhebt sich im Hintergrund, teils nebelverhangen, das massive Gebirge der Tramuntana.

Nicht von dieser Welt scheint das „goldene Tal von Sóller”, wie es die Araber schon vor Urzeiten tauften. Ein Naturparadies, das von der Hektik der modernen Welt bislang unberührt blieb. Doch das Paradies ist bedroht – schon lange. „Die klimatischen und geografischen Besonderheiten, die unser Orangen-Tal einst berühmt und reich gemacht haben, stellen uns zunehmend vor unlösbare Probleme”, gesteht der Geschäftsführer der Agrar-Kooperative Sant Bartomeu, Pere Pico. Vor allem die terrassenförmige Hanglage der Parzellen (Gesamtanbaufläche: rund 200 Hektar) steht einer rentablen Aberntung der Zitrusfrüchte im Weg. Ein maschinelles Vorgehen ist schlichtweg unmöglich: zu eng die Zufahrten, zu dicht die Mauerstufen, die die Anbauflächen voneinander trennen.

Auch das terrassenartige, recht „grobmaschige” Bewässerungssystem, das der Landwirtschaft hier jahrhundertelang „hervorragende Dienste geleistet” habe, so Pere Pico, sei überholt: „Eine kontinuierliche und moderate Wasserversorgung ist einfach effektiver.” Und damit sind nur zwei Schwierigkeiten benannt, mit denen das Orangenparadies Sóller zu kämpfen hat. Die notgedrungen manuelle Ernte der Früchte ist teuer – und die Konkurrenz groß. „Im Supermarkt steht der Kunde vor einer Fülle von Zitrusfrüchten. Rund 80 Prozent kommen aus Südamerika und vom Festland”, so der Chef der Agrar-Kooperative. „Diese Früchte sind zumeist billiger und sehen oft sogar noch besser aus.” Dabei sei ihre Qualität in der Regel minderwertiger. Die Orangen würden oft als grüne Früchte gepflückt und reiften während der Reise in ihr Bestimmungsland: „Klar, dass Aroma und Geschmack da schlechter sind”, so Pere Pico. Für die Zukunft setzt er stark auf eine zunehmende „Differenzierung” im Kaufverhalten der Kunden. In einer Zeit der Gleichmacherei, von Supermarkt- und Fastfood-Ketten hofft er, dass zumindest die Klientel, die es sich leisten kann, auf Qualität setzt – und bereit ist, dafür auch etwas mehr Geld auszugeben.

Noch jedoch bestimmt allein der Preis das Geschäft, und da kann Sóller mit seinen romantischen, aber unrentablen Anbauflächen nicht mithalten. Die Bauern, die ihre Früchte bei der Kooperative abliefern, erhalten 0'18 bis 0'65 Euro pro Kilo – je nach Qualität und Marktlage. „Wir liefern die Früchte an den Großhändler Mercapalma, der dann an die Supermärkte weiterverkauft.” Die Früchte bleiben zum großen Teil auf der Insel, nur nach Deutschland wird exportiert, seit kurzem läuft auch ein Versuchsprojekt mit Frankreich. Mit dem Geld, das die Bauern bekommen, können sie kaum die Erntekosten decken – auch Erntehelfer sind immer schwerer zu finden. Für einen Stundenlohn von drei Euro pflückt schon lange kein Einheimischer mehr Orangen, und die Immigranten, sagt Pere Pico, arbeiten da auch lieber für acht Euro im Straßenoder Häuserbau.

Die einzige Lösung wären Subventionen, aber da macht sich der 25jährige keine Illusionen. Für so billige Produktionsgüter wie Lebensmittel gäbe es seit langem – auch weltweit – keine staatliche Unterstützung, Geld steckten die Regierungen nur in lukrative Geschäfte wie den Tourismus oder Straßenbau. Eine Initiative hat es ja gegeben, im Oktober 2001, als Landwirte, Balearen-Regierung und Industrie ein Abkommen unterzeichneten, das die gemeinsame Vermarktung der heimischen Orangen fördern sollte. Damals wurde ein Mindestpreis vereinbart, eine mallorquinische Getränkefirma wollte die Orangen in großem Stil zu hochwertigem Saft verarbeiten und vertreiben. Was ist daraus geworden? „Das erste Jahr war ein Erfolg”, resümiert Pere Pico. „Aber dann kam es schnell zu strukturellen Problemen. Mallorca ist für ein Projekt in diesen Dimensionen einfach zu klein.” Der „Orangenschwund” wird wohl weitergehen in Sóller. Die Früchte bleiben am Baum oder verfaulen auf der Erde. Kleiner geworden seien die Anbauflächen allerdings nur geringfügig, erzählt Pere Pico. Die wenigsten verkaufen ihre Grundstücke als Immobilienobjekte, zu groß sei die Liebe der meisten zu ihrer Heimat. Viele Familien wohnen schon seit Generationen hier, kultivieren ihre Orangengärten eher aus „nostalgischer Wertschätzung” denn aus ökonomischen Gründen.

Prinzipiell, glaubt Pere Pico, gehören die Früchte von Sóller immer noch zu den besten der Insel, auch wenn man in Inca, bei Muro, Sa Pobla und Palma seit rund 30 Jahren Orangen anbaue. Vor allem die Traditionssorte „Canoneta” sei einzigartig im Geschmack, und obwohl klein in der Frucht und schwer zu schälen, auch sehr begehrt: „Canonetas passen hervorragend in die modernen Saftpressmaschinen.” Die Qualität der anderen Früchte hänge allerdings auch stark von der Pflege der Parzellen ab. Ein Baum trage etwa 25 Jahre erstklassige Früchte, manche Bäume hier seien aber schon über 60 Jahre alt.

Nicht nur die Bäume, auch die Menschen sind älter geworden in Sóller. Es seien die Alten, zumeist Rentner, sagt der junge Sant Bartomeu-Leiter, die die Landwirtschaft und das Stadtbild hier pflegen. Auch der Erhalt der pittoresken Schutz- und Stadtmauern sei eine kostspielige und aufwendige Angelegenheit. „Ich frage mich, was in fünf bis zehn Jahren sein wird, wenn es die Alten nicht mehr gibt. Hoffentlich engagiert sich dann die junge Generation weiterhin für Sóller.” Denn im Grunde, sagt er, wird nur eines helfen: die „Wertschätzung” eines selten gewordenen Paradieses. „Y el amor por el pueblo – die Liebe zum Dorf”.