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Wenn Josefa Fernández aus Palma anrückt, müssen sich Viren, Bakterien, Keime oder sonstiges Ungeziefer warm anziehen. Besser noch, sie verziehen sich, bevor sie mit Josefa Bekanntschaft machen. Die Mallorquinerin ist ein Reinigungsprofi und versteht bei dem Thema wenig Spaß. Besonders in diesen Zeiten, in denen viele Menschen Angst vor herumschwirrenden Viren haben, greift sie beherzt zu Spaniens Wunderwaffe Nummer eins: Lejía.

Auf Deutsch: Chlorbleiche oder Lauge, denn „Lejía eignet sich perfekt für alles und duftet gleichzeitig so frisch“, beteuert Josefa Fernández. Sie wählt nicht irgendeine x-beliebige Marke, das Mittel ihres Vertrauens trägt bereits einen bedeutungsschwangeren Namen: Die drei Hexen, „Las 3 brujas”. Auch ihr Hund genießt virenfreies Futter, denn Josefa spült seinen Napf vorher gründlich mit einer Lejía-Mischung aus.

Fragt man langjährige Mallorca- oder Spanienresidenten, welchen Geruch sie mit dem Land verbinden, sind sich viele einig, dass der leichte Chlordunst ein typisch spanischer Geruch sei. Beim frühmorgendlichen Gang durch Fußgängerzonen, wenn Ladenbesitzer Großreine machen, strömt er einem entgegen. Man fühlt sich wie in einem Hallenbad und fragt sich, wo die Umkleidekabinen oder Duschen sind.

Der spanische Lejíaverbrauch liegt dementsprechend hoch, europaweit an zweiter Stelle. 26 Liter verbrauchen spanische Haushalte pro Jahr im Durchschnitt.

Die Erfindung ist historisch. Im Ersten Weltkrieg wurden damit Krankenhäuser desinfiziert und viele Leben gerettet. Als das Trinkwasser den Namen noch kaum verdiente, half Chlor dabei, Viren und Bakterien abzutöten. Die Firma „Casamitjana Mensa” aus Barcelona trat mit dem Produkt der Marke „Conejo” 1889 zunächst katalonienweit den Siegeszug an. Einem Triumphzug gleich hat sich deren Verbrauch nun spanienweit verbreitet, weiterhin schwören viele auf die Marke mit dem kleinen weißen Häschen.

Ofelia Novella und ihre Tochter Nuria Planas betreiben einen alteingesessenen Gemischtwarenladen in Palmas Straße Reina Maria Cristina. Im Angebot: Besen, Wischmopps, Halterungen für Jalousien – kurz, alles für den Eigenbedarf im Haushalt. „Normalerweise verkaufen wir so gut wie kein Lejía“, sagt Ofelia Novella. Doch durch die Coronakrise und die Sorge um mangelnde Hygiene hat sich das schlagartig geändert. „Ich habe gestern erst zehn Flaschen bestellt, heute Morgen ist nur noch eine davon übrig“, stellt Ofelia Novella fest. Auch sie vertrauen auf die Marke mit dem Hasen. Spanienweit seien die Käufe der Chlorbleiche seit Beginn des Alarmzustands um 141 Prozent gestiegen, berichtet die spanische Online-Zeitung „El Español“.

Viele Mallorquiner, die normalerweise ihr Obst und Gemüse nach einem Einkauf nur mit Wasser abwaschen, kehren nun zu ihren „Wurzeln“ zurück. Auch Rosa Mascaró aus Palma würde am liebsten zur Chlorbleiche greifen und mit einem kleinen Sprayer ein paar Spritzer über Äpfel, Birnen oder Salatköpfe vor dem Verzehr geben. Ihre deutsche Mitbewohnerin hindert sie jedoch daran, denn diese glaubt nicht an die Viren auf mitgebrachtem Obst, auch vermutet sie nicht in jeder Badezimmerfuge tödliche Coronaviren.

Sowieso hält man nördlich der Alpen nicht viel von der Lauge – zumindest nicht in den eigenen vier Wänden. Das deutsche Umweltbundesamt und auch das Robert-Koch-Institut raten sogar davon ab. Sie sind der Überzeugung, dass Desinfektionsmittel im Haushalt grundsätzlich überflüssig seien. Der Einsatz dieser Mittel belaste die Umwelt unnötig und berge sogar gesundheitliche Risiken. Auch der deutsche Lebensmittelverband rät von der Desinfektion von Obst und Gemüse nach den Einkäufen ab.

Das hören spanische Ohren gar nicht gerne. Viele fühlen sich mit ihrer Allzweckwaffe, gerade jetzt in virenumwitterten Zeiten, gut beraten. Auch im Gemischtwarenladen Ferretería Novella entspinnt sich ein eifriger Austausch hinter der Ladentheke, wie Lejía am besten zu verwenden sei, wie viele Tropfen man nehmen müsse. Unschlagbar günstig ist sie außerdem, bereits für 60 Cent unbekannte Marken, zirka 1,50 Euro für Klassiker wie „Conejo” oder „Estrella”, erhält man schon eine Literflasche oder sogar die große Familienvariante. Ein Esslöffel Bleiche auf zwei Liter Wasser, damit bekommt man viel geschrubbt.

Wer sich unsicher ist, wie das geht, der kann sich in zahlreichen Youtube-Videos informieren. Eine, die sich mit der Chlorbleiche auskennt, ist Silvia Tortosa in ihrem Kanal „En casa contigo“ (Zu Hause mit dir). Ihre rosa behandschuhten Hände hoch erhoben, erklärt sie Mengenverhältnisse von Wasser und Bleiche, welche Mischung man nehmen solle – niemals mit Ammoniak, Alkohol oder Essig vermischen – das könne tödlich enden! Sie empfiehlt, zuerst mit einem anderen Putzmittel zu reinigen und dann mit Lejía zu desinfizieren. Am Ende des Prozederes alles großzügig mit Wasser abspülen. Ein zeitaufwendiges Unterfangen.

Angesichts strenger Hygieneregeln dieser Tage, denkt man wehmütig an frühere Zeiten, als eine spanische Bar mit möglichst vielen zerknüllten kleinen Papierservietten vor dem Tresen ein Zeichen für Qualität war. Auch ausgespuckte Reste von Sonnenblumenkernen, großzügig verstreut auf dem Asphalt, gehörten damals fast schon zum guten Ton.