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Am 1. November 2012 fand in der Kypta S. Lorenço der Kirche Sta. Creu in Palma de Mallorca die Gedenkfeier für die im Jahr 2012 verstorbenen Deutschen statt. Für diejenigen, die nicht dabei sein konnten, drucken wir nachstehend die Ansprache der Konsulin ab.

„Media vita in morte sumus - mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben. Diese Feststellung wird gern dem Benediktinermönch Notker von St. Gallen zugeschrieben, der sie der Legende nach machte, als er Arbeitern beim Bau einer Brücke über einen Abgrund zusah: es wird ihm den Atem genommen haben, zu beobachten, wie schmal der Grat zwischen sicherem Arbeiten auf dem Gerüst und dem vielleicht durch eine momentane Unachtsamkeit verursachten Sturz in die Tiefe war.

Dieses Wort und das Bild treffen uns. Die allermeisten Tode sind zufällig, unzeitig, unverdient, viel zu früh. Zwar wächst die Zahl derer, die ein hohes Alter erreichen, aber wie vielen ist es tatsächlich vergönnt, nach einem erfüllten Leben - unsere Vorfahren sagten: lebenssatt- gleichsam selbstverständlich getröstet und zufrieden abzutreten? Und in was für einen Abgrund stürzt selbst der friedlichste Tod eines lieben Menschen Familie und Freunde?

Nein, sterben wollen wir alle nicht. Nicht der Urlauber, dessen Lebensuhr in einem Hotelzimmer abläuft. Nicht der Rentner, der wie so schrecklich viele in diesem Jahr unweit des Strandes im Meer ertrinkt; ganz gewiß nicht der Radfahrer, der seine Kräfte in der Gluthitze des Sommers auf Mallorca falsch eingeschätzt hat und unterwegs, von seinen Mitradlern fast unbemerkt, am Herzinfarkt verstirbt; ganz gewiß nicht das Opfer einer feigen Mordtat, wie es sie auch bisweilen auf dieser Insel der guten Laune gibt. Und selbst der Tod von eigener Hand ist ja nichts anderes als ein Schrei nach Leben, nach dem Leben, welches sich irgendwie trotz allen Bemühens nicht leben ließ.

Vielen Menschen ist heutzutage das Thema Tod so unangenehm, daß sie fast hysterisch alles abwehren, was damit zu tun hat. Anonymes Sterben im Krankenhaus ohne Familie, anonyme Bestattungen ohne Abschiednehmen durch Verwandte und Freunde, Verdunstung der Erinnerung an Verstorbene sind Zeichen unserer Zeit. Die Auflösung vieler Bindungen familiärer und religiöser Art hat dem Tod und dem Umgang mit ihm die rituelle Selbstverständlichkeit genommen, die ihn früher Teil des Lebens sein ließ. An seine Stelle ist vielfach nur ein großes NICHTS getreten, gleichsam ein achselzuckendes Schließen eines Kontoblatts.

Und doch: wir sind heute alle hier. Jeder einzelne von Ihnen hat mindestens einen ganz persönlichen Grund, dieser Gedenkstunde für die seit dem letzten Allerheiligentag auf Mallorca verstorbenen Deutschen beizuwohnen. Viele von Ihnen sind in diesem Jahr in den Abgrund des Todes eines Angehörigen oder Freundes gestürzt worden; von einigen weiß ich persönlich, wie bitter schwer ihnen das geworden ist und wie sehr sie auch jetzt noch leiden. Wer schon geliebte Menschen verloren hat, weiß, daß der Stachel ihres Todes in unserem Herzen mal mehr, mal weniger wehtut er ist aber immer da.

Das kann uns aber, so absurd es zunächst klingen mag, auch Trost sein. Schon auf antiken griechischen Grabstelen sind immer zwei Personen dargestellt: die eine geht dem Tod entgegen, die andere verharrt noch in der Welt. Nicht nur auf dem Grabstein bleiben beide so miteinander in Verbindung wir können uns vorstellen, daß in dieser Weise eine unsichtbare Brücke zwischen Leben und Tod gebaut, ein Band der Erinnerung und des Bewahrens dessen, was ein menschliches Leben ausmacht, von einer Generation an die andere bis an uns in unsere Tage weitergereicht wird.

Media vita in morte sumus - dieses Wort vom allgegenwärtigen Tod auch im Leben verliert so nicht seinen großen Ernst, aber vielleicht ein wenig von seinem Schrecken.

Wenn wir die Verstorbenen und ihre Namen auch heute vielleicht zum letzten Male nennen: indem wir uns einmal erinnern und die von uns gegangenen Menschen in die große Schar der Vorangegangenen in Leben und Tod einreihen, geht ihr Leben nicht wirklich verloren. Es wandelt sich nur.“