TW
0

Warum es manchmal durchaus sinnvoll sein kann aufzuhören, statt immer weiter zu machen

Gestern stieß ich in einem Hörbuch mal wieder auf folgende Anekdote über Thomas A. Edison. Er hatte um 1879 bekanntlich die Glühbirne erfunden und wurde nun zu seinen vielen Fehlversuchen (fast 9000) befragt. Seine Antwort war so einfach wie genial. Er sagte: "Ich bin nicht gescheitert. Ich kenne jetzt 10.000 Wege, wie man keine Glühlampe baut." Und der ehemalige Premierminister von Großbritannien Winston Churchill soll einmal gesagt haben: "Never give up", was ich in diesem Zusammenhang übersetzen würde mit "der einzige Weg zu scheitern, ist der aufzugeben." Zwei Beispiele dafür, dass es sich bestimmt oft lohnen kann, dranzubleiben, beharrlich zu sein und Geduld zu haben. Aber kann man das verallgemeinern. Heißt das, wer aufgibt ist feige? Niemals aufgeben ist das Ziel? Kämpfen und weitermachen um jeden Preis? Und bezieht sich das auf alle Lebenssituationen, gleich ob es um eine berufliche Herausforderung geht, um eine Beziehung (wir sprachen neulich darüber) oder um eine Erkrankung?

Ich habe da so meine Zweifel. Verlieren wir nicht mit dieser Haltung das Gefühl, die Wahrnehmung dafür, wann es genug ist, wann es Zeit ist, zu gehen, aufzuhören und zu akzeptieren, was scheinbar nicht zu ändern ist? Nehmen wir mal als Beispiel eine schwere Erkrankung. Sicher ist es richtig und wichtig, zunächst alles zu versuchen, um wieder gesund zu werden. Oder etwa nicht? Was ist mit den verschiedenen Umständen wie Alter, Schwere der Erkrankung und Lebensumstände der betroffenen Person? Darf eine krebskranke Mutter von vier Kindern eine Chemotherapie verweigern? Darf ein 80jähriger Mann entscheiden, dass er nicht mehr operiert werden möchte? Ist es egoistisch, von seiner Familie zu erwarten, dass sie mit ansehen müssen, wie die betroffene Person langsam stirbt, weil sie nicht mehr essen und trinken möchte? Darf ein seit vielen Jahren leidender, schwer psychotischer Mensch entscheiden, dass er nicht mehr leben will?

Heiligt der Zweck alle Mittel und MÜSSEN wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, nur weil es sie gibt? Was ist mit der Idee, dass es einen Zeitpunkt geben könnte, an dem wir entscheiden, dass es jetzt nicht mehr darum geht, weiterzumachen, weiterzukämpfen? Könnte man statt aufzugeben auch versuchen, sich hinzugeben, d.h. das Schicksal zu akzeptieren, anzuerkennen, was ist? Diese Fragen sind sicher sehr schwer und auf keinen Fall allgemeingültig zu beantworten. Ich glaube aber, und zwar aus persönlicher und therapeutischer Sicht, dass es wichtig ist, unsere eigenen Grenzen zu finden. Ganz gleich in welchem Kontext. Wenn wir (wieder) lernen, mehr auf unser Gefühl zu achten, auf die Signale, die unser Körper sendet, können wir vielleicht eher Entscheidungen treffen, die für uns stimmig sind. Das heißt aber auch, dass wir mehr Verantwortung für uns übernehmen müssen. Wir können nicht mehr alles abgeben und darauf vertrauen, dass der Partner, der Chef, der Arzt schon wissen werden, was richtig für uns ist.

Ich habe schon viele Menschen in ihren Entscheidungsfindungs-Prozessen begleitet und kann sagen, dass es für meine Klienten sicher nicht immer einfach ist herauszufinden, ob es besser ist, mit etwas aufzuhören oder weiterzumachen. Aber oft ist gerade die Entscheidung für eine Art "Scheitern" eine große Erleichterung. Und dieses Scheitern öffnet den Raum für neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten. Auch wenn es in vielen Fällen möglich ist, alleine eine richtige Entscheidung zu finden, kann es sehr ratsam sein, sich Unterstützung zu holen. Und zwar zunächst vielleicht in Form von Gesprächen mit Familie und Freunden, um die Sache von mehreren Seiten zu beleuchten. Je nach Situation können auch Fachleute, wie Ärzte oder Anwälte zu Rate gezogen werden. Und dann gibt es noch eine weitere, sehr wichtige Instanz in uns, die eine entscheidende Rolle spielen kann und sollte: Unser Körpergefühl. Eine kleine, einfache Übung ist es, jede Alternative zu benennen und einer Zimmerecke zuzuordnen. Dann stellen Sie sich für eine Weile in jede der Ecken und tun erst mal nichts. Außer atmen, ein und aus. Und dann nehmen Sie wahr, wie es sich dort anfühlt, in dieser Ecke, wie Sie sich dort fühlen. Lauschen Sie auf Ihr Inneres. Gibt es Signale wie Unwohlsein im Bauch, Druck auf der Brust oder haben Sie im Gegenteil das Gefühl in dieser Zimmerecke besonders frei durchatmen zu können? Auch wenn Ihnen dieses Vorgehen etwas befremdlich erscheint, so ist es doch eine bewährte Intervention aus der systemischen Therapie und kann dazu beitragen, die richtige Antwort zu finden auf die Frage, ob es besser ist weiterzumachen, einen Weg fortzusetzen oder nicht.

Sie kennen sicher den Begriff "Loslassen", der gerne mal bemüht wird, wenn es darum geht, von verstorbenen Menschen Abschied zu nehmen. Über Sinn und Unsinn des Loslassens in Trauerprozessen werde ich ein anderes Mal schreiben. Heute geht es mir darum, dass Loslassen auch bedeuten kann, einen Plan, eine Idee, einen Lebenstraum ad acta zu legen, um dadurch neue Impulse entwickeln zu können für das weitere Leben. Man akzeptiert sozusagen sein Schicksal, man lässt sich sein Los. Diese alte Bedeutung des Wortes "Los" im Sinne von Bestimmung gefällt mir gut. So kann es beispielsweise nach der sehr traurigen Erfahrung von ungewollter Kinderlosigkeit sehr heilsam sein, diesen Umstand zunächst anzunehmen, ihn dann aber als Auslöser zu verstehen, um andere (soziale) Projekte zu finden, um Kinder zu unterstützen oder ganz neue Ausrichtungen zu entdecken, um glücklich zu leben. Auch am Ende einer Beziehung ist es manchmal schwierig und schmerzhaft, zu akzeptieren, dass es gemeinsam nicht mehr weiter geht. Dennoch ist es wichtig, anzuerkennen, wenn dieser Punkt erreicht ist, damit Verletzungen heilen können und beide Partner die Chance haben, ihr Leben, jeder für sich, gut weiterzuleben.

Ich mag die folgenden Sätze, die manche Menschen als Gelassenheitsgebet bezeichnen, für mich aber eher eine große Lebensweisheit sind: Ich bitte (Gott oder wie auch immer Sie es nennen wollen) um die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das Eine vom Anderen zu unterscheiden. Mit dieser inneren Haltung gibt es im Grunde gar kein Scheitern mehr. Sollte ich dann auf meinem Lebensweg mal wieder in eine Sackgasse geraten, in der es nun mal nicht weiter geht, werde ich tief durchatmen, und mich (hoffentlich) daran erinnern, mich umzudrehen, um einen anderen, neuen Weg zu finden.