TW
0

Maurice Ravel war klein und zartgliedrig. Er kleidete sich elegant, trug Maßanzüge und teure Schuhe, die Krawatte saß immer korrekt; er gab sich als gepflegter Dandy mit einem Hang zu Luxus und Genuss. Seine Gagenforderungen ergänzte er durch die Bedingung, dass immer genügend Gauloise-Zigaretten vorrätig sein müssten. Und so war auch seine Musik: perfekt ausgetüftelt, elegant, formvollendet. So gut geschneidert wie seine Hemden. –

Sein G-dur-Klavierkonzert lebt von den Kontrasten zwischen den drei Sätzen: der erste beginnt mit einem Peitschenhieb, der das Publikum in eine Art Zirkusarena zaubert, wo der Pianist Dompteur der wilden Bestie Klavier ist; im zweiten entfaltet die gezähmte Bestie einen weltverlorenen Traum, der an Mozart erinnert, eine Melodie, die sich, einer Girlande gleich, über einer sparsamen Begleitung kräuselt „wie Zigarettenrauch in einer langen, einsamen Nacht“ (Joachim Mischke in „Der Klassik-Kanon“); im Finale gibt es dann kein Halten mehr, presto dreht der Flügel rasante Pirouetten über die ganze Klaviatur, der Orchesterpart ist mit Jazz-Elementen gewürzt, dirty play „stört“ den ansonsten sauber gesetzten harmonischen Duktus. –

Das brillant besetzte Orchester bringt neben den üblichen Blasinstrumenten (unter anderen drei Klarinetten in Es, B und A) und dem Streicherapparat mit sechzehn Geigen, sechs Bratschen, sechs Celli und vier Kontrabässen ein umfangreiches Schlagzeugarsenal zum Einsatz, inklusive der bereits erwähnten Peitsche, zwei Holzbretter mit Gelenk, ähnlich der Startklappe im Schulsport. Diese Peitsche knallt zu Beginn des ersten Satzes – kleiner Witz des Komponisten – die Zuhörer hinein in eine Zirkusnummer, in der das Klavier kreuz und quer durch die Manege gejagt wird. Die rasende Hektik der Zwanzigerjahre bricht sich ungestüm Bahn, der mitreißende Drive einer Welt im Aufbruch jagt die Musik atemlos über die Bühne. Schon in diesem Kopfsatz grüßen Elemente der neuen Musik aus Amerika, des Jazz. Ravel hatte sie auf einer USA-Tournee kennengelernt, auf der er auch den Pionier des sinfonischen Jazz, George Gershwin, getroffen hatte. (Es ist kein Zufall, dass dessen Rhapsody in Blue auf CDs gern mit dem Ravelkonzert gekoppelt wird!) – Interessant ist, dass gleich mehrere Instrumente in abwechselnder Gruppierung konzertierender Partner des Soloinstruments werden. Und dass kurz vor Schluss des Satzes die Harfe eine Kadenz erhält, bevor der Pianist noch einmal virtuos auftrumpfen darf.

Der zweite Satz führt das Publikum in eine vollkommen andere Welt. Wenn der erste das äußere Weltgetriebe symbolisierte, so ist es im Mittelsatz das Herz des Komponisten, das in weitgespannten Kantilenen zum Hörer spricht. Man hat oft auf die Seelenverwandtschaft mit Mozart hingewiesen. Auch bei ihm waren es ja die langsamen Sätze, in denen er sein Innerstes nach außen kehrte. Übrigens genauso stilvoll wie Ravel das tut: ohne auch nur einen Anflug von Exhibitionismus. Bei aller Gefühlsentäußerung bleibt er stets nobel und zurückhaltend. Und: Ravels Melodieführung hat fast so etwas wie Mozart’sche Eingängigkeit. Der Komponist selbst sprach vom „Geist Mozarts“, in dem dieser Satz geschrieben wurde. – Das kurze Finale wird zum Kehraus. Fünf Orchesterschläge leiten ihn ein, fünf Orchesterschläge setzen den Schlusspunkt. Dazwischen pulsiert das pralle Leben; ein atemberaubend virtuoses Klavier tobt sich zwischen kräftigen Jazz-Einwürfen des brillant aufspielenden Orchesters aus. – Große Musik eines kleinen Mannes. Kein Wunder, dass das G-dur-Konzert viele Pianisten ihr Leben lang begleitet. Martha Argerich hat es auf einer ihrer ersten Platten eingespielt – und sie spielt es immer noch, mittlerweile 82-jährig. Auch von den jungen Pianisten unserer Tage kommt keiner an dem Werk vorbei, Yundi Li ebenso wie Yuja Wang haben es im Repertoire. YouTube wimmelt von Konzertmitschnitten. Probieren Sie’s zum Einhören mal mit der Grande Dame des Klavierspiels, Martha Argerich, in einem Konzertmitschnitt von 2009. Die 23 Minuten werden Ihnen im Fluge vergehen. Und ich bin mir sicher, das werden sie auch morgen Abend, wenn Hyung-Ki Joo das Konzert unter Pablo Mielgos Leitung auf Schloss Bellver spielen wird.