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Was wir vom Wetter fürs Leben lernen können

Nach einer sehr langen, sehr heißen Zeit, hatten wir am letzten Sonntag einen heftigen Wetterumschwung, den sogenannten "Kalten Tropfen". Dazu liest man beim Deutschen Wetterdienst: "Die "Gota Fria" ist ein im Herbst häufig vorkommendes Wetterereignis im westlichen Mittelmeer. Grundlage für das Auftreten ist das Zusammentreffen von kalter Luft in der Höhe mit dem noch (sehr) warmen Mittelmeer. Wenn die durch das warme Wasser erwärmten unteren Luftschichten gehoben werden, treffen sie auf die darüber liegende kalte Luft. Warme Luft ist aber weniger dicht als kalte, sodass die warme Luft durch den resultierenden Auftrieb immer weiter aufsteigt und durch einsetzende Kondensation bald gewaltige Wolkenberge und Gewitter entstehen. Aufgrund der nicht nur warmen, sondern durch das Meer auch mit viel Feuchtigkeit angereicherten Luft nehmen die Wolken diese Feuchtigkeit auf, die sie bald wieder abgeben müssen, da sie zu schwer werden. Dann kommt es zu den heftigen Regenfällen."

Hier auf Mallorca war das, verbunden mit den orkanartigen Winden, kein Spaß. Es gab entwurzelte Palmen, sogar die Vertäuung eines Kreuzfahrtschiffes hatte sich gelöst durch die enorme Kraft des Sturms. Wohl dem, der zuhause geblieben war und sich das Spektakel trocken und wohlbehütet anschauen konnte. Na ja, das war gestern. Heute scheint wieder die Sonne und außer, dass auf den Straßen noch ein paar Zweige und Häufchen von Piniennadeln liegen, ist, zumindest in Santa Ponsa, nicht mehr viel zu sehen von den Ereignissen des Vortages. Die Temperaturen sind etwas gesunken, was den meisten Residenten, aber auch einigen Urlaubern sicher sehr gelegen kommt. Man könnte meinen, es sei nichts geschehen.

Nicht selten scheint die Natur am Tag nach einem großen Unwetter da weiterzumachen, wo sie durch das Wetterereignis oder die Naturkatastrophe unterbrochen wurde. Für uns Menschen ist das üblicherweise nicht ganz so einfach. Wir brauchen oft viel Zeit, um eine persönliche Tragödie zu verarbeiten, zu verdauen. Einige Geschehnisse kann man vielleicht besser hinter sich lassen, andere brauchen mitunter Jahre oder werden uns für den Rest unseres Lebens begleiten, eventuell sogar belasten. So kann der Umstand, eine schwere Krankheit besiegt zu haben, uns zwar auch stärker machen, es bleibt aber manchmal eine subtile Angst, wieder zu erkranken. Das kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass wir jedes noch so kleine Unwohlsein überbewerten und uns große Sorgen machen, was dann auf Kosten unserer Lebensfreude und Leichtigkeit gehen kann. Hier gilt es, das Vertrauen in den eigenen Körper wieder zu gewinnen und zu stärken.

Der Tod eines geliebten Partners oder eine schwere Trennung können dazu führen, dass wir auch Jahre später noch die Bindung oder nur die Kontaktaufnahme zu einem potentiellen, neuen Partner fürchten und uns lieber zurückhalten. Oder aber wir sabotieren uns so, dass wir über Jahre allein bleiben, obwohl es viele Möglichkeiten gäbe, sich neu zu verlieben. Die unterschwellige Angst, wieder verletzt zu werden (durch Trennung oder Tod) verhindert jegliches Gefühl von echter Zuneigung oder Offenheit für eine neue Beziehung.

Nun glaube ich daran, dass wir das Leben nur sehr begrenzt beeinflussen können und, dass wir, wenn es soweit ist, keine Chance haben werden, uns zu wehren. Wenn der richtige Moment gekommen ist, werden wir uns verlieben und vielleicht sogar wieder eine feste Bindung eingehen und Liebe fühlen. Dann, wenn man es am wenigsten erwartet, ist es plötzlich soweit. Im Supermarkt, in der Schlange beim Bäcker oder am Arbeitsplatz. Ein Blick, eine flüchtige Berührung und es ist um uns geschehen. Oder, ganz unerwartet, über Nacht sozusagen, sehen wir den Menschen an unserer Seite, die Arbeitskollegin, den alten Freund plötzlich mit ganz anderen Augen. Wie sang Klaus Lage vor gefühlten einhundert Jahren: "Tausendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert, tausendundeine Nacht und es hat Zoom gemacht." In der heutigen Zeit kann es aber auch ganz anders geschehen. Man lernt sich online kennen über eine Dating-Plattform, schreibt ein bisschen hin und her. Der nächste Schritt sollte dann sein, dass man sich persönlich kennenlernt, um festzustellen, wie die Wirklichkeit aussieht. Für mich ist es beispielsweise sehr wichtig, die Augen eines Menschen zu sehen. Ich möchte seine Stimme hören, auch was und wie er etwas sagt, ist mir wichtig. Hat er Humor, ist er offen und an mir interessiert? All das kann man bei einem persönlichen Treffen feststellen, das klappt digital nur sehr bedingt. Selbst am Telefon ist es nicht so einfach, die feinen Untertöne zu hören, die mitschwingen, wenn echtes Interesse und Sympathie vorhanden sind.

Natürlich gibt es auch manchmal ein böses Erwachen, wenn plötzlich alles anders ist, als erwartet. Das Aussehen, das Alter, die Größe, um nur ein paar Äußerlichkeiten zu nennen. Es kann aber auch sein, dass die Chemie einfach nicht mehr stimmt, wenn man sich gegenüber steht. Dann kann man sich, nach einem gemeinsamen Drink, immer noch freundlich verabschieden und dem anderen insgeheim ein schönes Leben wünschen. Aber was, wenn alles stimmt, man sich gut versteht und über dieselben Dinge lacht? Wenn man sich einfach wohl fühlt, in der Gegenwart des eben noch fremden Menschen? Dann ist natürlich immer noch nicht gesagt, dass es so weiter geht, wie man es vielleicht gerne hätte. Aber nur dann, wenn wir uns und dem Gegenüber wirklich eine Chance geben, kann etwas Größeres entstehen. Entweder eine tolle Freundschaft oder vielleicht sogar eine Liebesbeziehung. Wer weiß.

Wir sollten nicht aufgeben, daran zu glauben, dass morgen wieder die Sonne scheint oder spätestens übermorgen, und das auch nach dem größten Unwetter. Im Hausflur meines Elternhauses hing, auf ein Holzbrett gebrannt, der folgende Spruch an der Wand: Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei, nach jedem Dezember folgt wieder ein Mai. Zumindest der zweite Teil ist mal sicher. Und am ersten können wir (in den meisten Fällen) ein bisschen arbeiten. In diesem Sinne.