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Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte Ihren Arzt oder Therapeuten

In meine Praxis kommen häufig Menschen, die das Gefühl haben, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren oder bereits verloren zu haben. Dieses Gefühl kann man nämlich, entgegen der Meinung von Karl Lagerfeld, auch bekommen, wenn man keine Jogginghosen trägt. Es kommen Menschen, die sich verändern wollen, weil sie dazu bereit sind und sich ein besseres Leben davon versprechen oder weil jemand anderes, die Eltern, der Partner, der Chef, es so wollen. Häufig wird mit Konsequenzen gedroht, sollte man anderer Meinung sein. Grundsätzlich ist es natürlich zu begrüßen, wenn jemand willens ist, sein Leben zu verändern, um sich besser zu fühlen, entspannter zu sein zu seiner Familie, Kollegen, Umwelt. Wichtig ist dabei aber unbedingt, dass derjenige auch selbst sagt, dass er etwas ändern möchte. Klienten, die nur "geschickt" worden sind, verlieren gerne mal vorzeitig die Geduld mit sich, wenn es nicht so schnell geht, wie erwartet oder sie erkennen gar nicht, welchen Nutzen sie selbst von einer Veränderung möglicherweise hätten.

Und was ist, wenn die mehr oder weniger gewünschten Änderungen dann auch wirklich greifen und aus dem schüchternen, jungen Mann, der kaum eine eigene Meinung hatte, plötzlich ein Mann wird, der für sich einsteht, den Mund aufmacht und sich durchsetzt? Welche Auswirkungen hat es auf die Familie, wenn die Mutter plötzlich ihren Wert erkennt, Selbstbewusstsein entwickelt und nicht mehr ihr Leben nur der Familie widmet? Vielleicht eigene Interessen und Hobbys entwickelt? In der ersten Sitzung einer Beratung ist es wichtig, über den Auftrag an den Therapeuten zu sprechen. Was wünscht sich der Klient, wie möchte er sich erleben?

Nachdem der Klient das formuliert hat, werden einige wichtige Punkte besprochen. Beispielsweise der, wer alles von den Auswirkungen der gewünschten Veränderungen betroffen sein wird und wie diese Veränderungen wohl bei den Mitbetroffenen ankommen werden. Nur, wenn diese Frage gründlich geklärt ist, kann sich der Klient bewusst auf den Weg machen, sich selbst besser kennenzulernen und Veränderungen möglich zu machen. Auch das Unterbewusstsein spielt dabei eine Rolle. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass es schwierig wird, sich zu entwickeln, wenn im Hinterkopf immer die Frage steht, ob die angestrebten Veränderungen es noch erlauben, in dieser Ehe oder Beziehung oder an diesem Arbeitsplatz zu bleiben. Viele Klienten wissen oder ahnen zumindest ziemlich genau, welche Konsequenzen sie zu erwarten haben, wenn das Therapieziel erreicht ist und vermeiden deshalb jedwede Art der Beratung.

Häufig kommt es auch vor, dass es gute Gründe dafür gibt, die Veränderungen noch hinauszuzögern oder gar ganz zu vermeiden. Vor einigen Jahren habe ich mit einer jungen Frau gearbeitet, die sich mit Depressionen vorstellte und die so går nicht mit Ihrem Leben zurechtkam. Nach einigen Gesprächen stellte sich heraus, dass sie vor einigen Jahren ihre wichtigste Bezugsperson verloren hatte, ihre Großmutter. Diese war ganz überraschend aus dem prallen Leben heraus an einem Herzinfarkt verstorben. Quasi über Nacht. Meine Klientin hatte nicht nur diesen Verlust verdrängt, sie hatte es auch geschafft, die Trauer komplett wegzudrücken. Über die Zeit hatte sich aus dem nicht gelebten Schmerz dann die Depression entwickelt.

Als ich ihr die Zusammenhänge erklärt hatte, schaute sie mich mit großen Augen an. Natürlich hatte sie die Großmutter sehr geliebt und sie hätte allen Grund zu großer Trauer gehabt. Allerdings müsste sie zuvor anerkennen, dass die Oma wirklich gestorben war. Durch eine Verkettung unglücklicher Zufälle war es ihr nämlich nicht möglich gewesen, sich von der Großmutter zu verabschieden. Meine Klientin hatte am Abend vor dem Tod noch mit ihr telefoniert und dann die Nachricht erhalten, dass sie in der Nacht verstorben sei. Insgeheim hatte meine Klientin die Vorstellung, dass vielleicht alles ein Irrtum gewesen sei und die Großmutter eines Tages wieder auftauchen werde. Um diesen Gedanken aufrecht erhalten zu können, war es aber notwendig gewesen, die Trauer zu vermeiden. Als all diese Zusammenhänge klar wurden, musste meine Klientin sich entscheiden. Wenn sie sich mit dem Verlust und der Trauer der Großmutter auseinandersetzen würde, müsste sie sich zuvor eingestehen, dass die Oma unwiederbringlich gestorben war und nicht wiederkommen werde.

Meine Klientin brauchte ein paar Tage, um sich klar zu werden, was für sie wichtiger war. Sie entschied sich glücklicherweise dafür, den Tod anzuerkennen und in den Trauerprozess einzusteigen. Es war keine leichte Zeit für sie. Sie weinte sehr viel, hatte auch Wut und Schuldgefühle, aber dann ging es besser. Sie konnte einen guten Umgang mit ihrer Trauer finden. Die Oma bekam einen neuen, wichtigen Platz in ihrem Leben.

Meine Klientin begann, anstelle eines Tagebuches Briefe an die Oma zu schreiben. In den Briefen erzählte sie alles, was sie belastete. Sie schrieb auch Fragen in die Briefe, auf die sie gerne von ihrer Großmutter eine Antwort gehabt hätte. Dann konnte sie sich besser vorstellen, was die Oma ihr geraten hätte. Mit der Zeit ging es meiner Klientin wesentlich besser und die Depression trat deutlich in den Hintergrund. Sie hatte es geschafft, dass die Lösung (Trauer und Verlust anerkennen) nicht mehr das Problem war, sondern tatsächlich der Weg in ein ausgeglichenes und gutes Leben mit guten Aussichten für die Zukunft.

Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie nicht zufrieden sind, dass Veränderungen erforderlich sind, um irgendwie selbstbewusster, entspannter oder besser leben zu können, dann achten Sie bitte gut darauf, welche Auswirkungen diese Veränderungen auf Ihre Partnerschaft, Ihre Familie, Ihre Arbeit, ja, Ihr gesamtes Leben haben könnten. Wenn Sie das gut für sich klären können, steht dem nächsten Schritt nichts mehr im Wege und es kann losgehen. Denn, wie sagte schon Alf, der außerirdische Fernsehstar aus den späten 80ern? Es ist selten zu früh und nie zu spät! In diesem Sinne.