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Als Kind hütete Miguel Vidal Schweine auf dem Fleckchen Son Predio in Consell, das seine Eltern bewirtschafteten. Knapp 20 Jahre später sitzt der Landwirtssohn mit dem legendären britischen Fußballstar George Best in dessen Rolls Royce und lässt sich damit zu einem Restaurant in Manchester kutschieren. "Die Polizei war in dem Lokal postiert, um die Fans abzuhalten", erzählt Vidal - und er mittendrin.

Der heute 70-jährige Vollblutjournalist hatte es als Junge aus einfachen Verhältnissen nach freier Mitarbeit für "Ultima Hora", "Fiesta Deportiva" und "Daily Bulletin" in die spanische Hauptstadt geschafft. In Madrid übernachtete er zunächst mangels Geld für Unterkünfte auf einer Parkbank und bewarb sich bei diversen Zeitungen. Schließlich kam der damals 25-jährige Sportreporter beim neu gegründeten Sportblatt "As" unter. Vidal war seit der ersten Nummer 1967 dabei und sollte 31 Jahre für die Zeitschrift arbeiten.

Der Mallorquiner gehört einer heute nur noch selten anzutreffenden Spezies an, der klassische Reporter, der sich seine Geschichten erarbeitet und dafür von seinem Arbeitgeber durch die ganze Welt geschickt wird. Bist heute hebt er ein "World Ticket" von Iberia auf, das ihn für eine Geschichte über olympische Helden bis auf den amerikanischen Kontinent und nach Australien fliegen ließ.

Vidals größter Coup hatte mit dem "Größten" aller Sportler zu tun: Cassius Clay oder Muhammad Ali, wie er sich damals bereits nannte, traf Vidal im Mai 1976 im Zirkus Krone in München. Eigentlich war der Journalist mit Hunderten anderer Kollegen für ein Europameisterschaftsspiel der spanischen Nationalmannschaft gegen Deutschland angereist. Im Hotel Bayerischer Hof, wo die Journalisten untergebracht waren, hatte sich die Ali-Entourage eine ganze Etage gemietet, vor dem Hotel lauerten Fans.

 Vidal erinnert sich: "Die Kollegen gingen erstmal alle essen, ich suchte derweil eine Möglichkeit, mit Ali zu sprechen und fand dessen Trainer Angelo Dundee in der Hotelbar. Ich fragte ihn, wie ich es schaffen könnte, mit Ali zu sprechen." Dundee riet ihm, später in den Zirkus Krone zu kommen, wo Ali ein Schautraining veranstaltete. Das tat Vidal und stellte sich auf Dundees Rat an die Absperrung, an der Ali auf dem Weg vom Ring zur Kabine entlangkommen musste. Ali lief an ihm vorbei, aber Dundee erkannte Vidal wieder. "Er sagte mir, ich solle kurz warten, vielleicht dürfte ich in die Kabine kommen, wenn Ali Lust hat."

Ali hatte Lust, fläzte sich aber während des Gesprächs auf einer Couch, während Vidal eine halbe Stunde stehen musste. Ursprünglich gab ihm der "Größte" nur fünf Minuten, aber Vidals erste Frage gefiel ihm offensichtlich. Sie lautete: "Wie kann ein Pazifist wie Sie so einen gewalttätigen Sport ausüben" - Ali hatte 1967 den Wehrdienst verweigert. Ali sagte Vidal, dass ihn das Boxen "schrecklich langweile" - das wurde auch der Titel in "As". Immerhin gewann er seinen Kampf am nächsten Tag gegen den Engländer Richard Dunn durch K.o. Heute undenkbar: Das Interview erschien erst einige Tage später. "Wir konnten die Fotos ja nicht so schnell entwickeln und nach Madrid schicken", erzählt Vidal.

Auch Fußballer George Best entlockte er ein Exklusivinterview, als er sich nach dessen Rücktritt in einem Hotel in Marbella im Dienstboteneingang verschanzte, während die Journalistenmeute am Haupteingang wartete. "Best kam betrunken mitten in der Nacht durch den Dienstboteneingang. Er meinte zu mir, das wäre nicht der rechte Augenblick für ein Interview, aber ich sollte am nächsten Morgen zu seinem Apartment kommen und fünf Mal klopfen." Vidal tat wie ihm geheißen, zum großen Erstaunen der wartenden Journalisten öffnete sich für ihn die Tür. Ein weiterer "Scoop" für den Bauernjungen aus Consell.

Schwer beeindruckt hat ihn ein "normales" Interview mit Fritz Walter. Der legendäre deutsche Spielführer gewährte dem spanischen Reporter persönliche Eindrücke: seine Gefangenschaft in Russland, die Liebesgeschichte mit seiner französischen Frau Italia und die Adoption der Nichte seiner Frau, eigene Kinder konnte das Ehepaar Walter nicht haben. Das Interview gab der Ehrenspielführer lange nach Beendigung seiner aktiven Laufbahn in Kaiserslautern.

Zurückgetretene Sportler waren Vidal am liebsten. "Dann sind sie viel ehrlicher als während ihrer Karriere", erzählt er. Viele seiner Gespräche mit Olympialegenden, darunter auch mit dem vierfachen Goldmedaillengewinner der Olympischen Spiele von Berlin, dem Sprinter und Weitspringer Jesse Owens, sind als Buch zu haben ("El reportero del Olimpo").

Das Erfolgsrezept der Reporterlegende, der zu aktiven Zeiten zu den bestbezahlten Journalisten Spaniens gehörte? "Ich war immer geradeaus und habe ehrlich gesagt, was ich wollte. Das hat mir manche Tür verschlossen, aber meistens hat es funktioniert", sagt er. Vidal arbeitet bis heute als Reporter, schreibt für "Ultima Hora" unter anderem eine Fußballkolumne. Ohne Schreiben würde der 70-Jährige seinen Ruhestand wohl auch nicht aushalten.