Clara Ayala arbeitet in Palmas Universitätsklinikum Son Espases. | Teresa Ayuga

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Clara Ayala erzählt von ihrem Alltag als Intensivschwester, als würde sie eine mündliche Abiturprüfung ablegen – und perfekt vorbereitet sein. Auf jede Frage hat sie eine mehrminütige Antwort. Sie spricht aus der Quarantäne in ihrer Wohnung in die Kamera eines Laptops. Sie referiert aber nicht etwa über Trapeze in Mathematik oder Vulkane in Erdkunde, sondern über das Überleben in Palmas Universitätskrankenhaus Son Espases. Dabei beschreibt Clara Ayala mit ihren Händen, wie fast alle mit Corona infizierten Patienten Schläuche in Nasen und Mündern haben.

Die Mallorquinerin steht stellvertretend für zahlreiche Mitarbeiter im Gesundheitswesen auf der Insel. Die sechste Welle hat Mallorca fest im Griff, am Mittwoch, 5. Januar, meldete die Balearen-Regierung einen neuen Rekord der Neuansteckungen mit Sars-Cov2: 3993 binnen 24 Stunden. Gesundheitszentren sind am Limit, Kontakte nachzuverfolgen ist unmöglich geworden. Eine Krankenschwester sagte einer Zeitung, dass sie normalerweise 50 Personen anrufen müsse, derzeit seien es zwischen 180 und 200.

Clara Ayalas Körper hat das Virus auch erreicht. Statt derzeit jede Nacht von 22 Uhr abends bis 8 Uhr morgens im Krankenhaus Corona-Patienten zu überwachen, muss sie sich noch ein paar Tage in ihrer Wohnung in Palma isolieren. Sie fehlt auf „Station“, wie Krankenschwestern sagen. Ayala geht es gut, sie hat keine Symptome, der Verlauf ist milde, sie ist geimpft.

Auf Mallorca gibt es insgesamt vier staatliche Krankenhäuser: die Universitätskrankenhäuser Son Espases und Son Llàtzer in Palma, das Hospital Comarcal in Inca sowie das Hospital de Manacor. 5500 Menschen arbeiten in Son Espases, 3200 von ihnen sind Krankenpfleger, Assistenten, Geburtshelfer, Physiotherapeuten, 800 praktizieren als Ärzte.

Clara Ayala ist seit Juli 2020 als Intensivschwester tätig. Sie ist 23 Jahre alt. Von denen hat sie vier Jahre lang ein Studium bei Barcelona absolviert. Anders als in Deutschland machen Krankenpfleger-Anwärter in Spanien keine dreijährige Ausbildung, sondern lernen ihr Handwerk an einer Hochschule, Praktika inklusive. Ayala hat sich ausbilden lassen, um Menschen zu helfen. Aber dass ein neuartiges Coronavirus derart ihren Alltag bestimmen würde, hätte sie nicht für möglich gehalten.

Während der ersten Welle im März 2020 gingen die Menschen in ganz Europa jeden Abend auf Balkone, um dem Gesundheitspersonal zu applaudieren. So stark die Arbeit geschätzt wurde, genauso rapide ließ die Aufmerksamkeit nach. Es war Lob, das nicht bei allen gut ankam. Exemplarisch dafür steht das Buch der deutschen Pflegekraft Nina Böhmer. Der Titel lautet: „Euren Applaus könnt ihr euch sonst wohin stecken.“ Die Autorin schreibt darüber, was im Gesundheitssystem schief läuft. Die Branche beklagt seit Jahren einen sogenannten Pflegenotstand. In Deutschland werden nach Angaben des Instituts der Deutschen Wirtschaft bis 2035 bis zu 150.000 Pflegekräfte fehlen.

Auch Clara Ayala sagt, dass auf der Intensivstation im Son-Espases-Krankenhaus Personal fehlt. Dort gibt es sechs Betten-Einheiten, in denen sechs bis acht Patienten unterkommen können. Mindestens zwei Abteilungen werden immer von Corona-Kranken gefüllt, vier sind derzeit belegt. Drei bis vier Krankenschwestern kümmern sich um jede Einheit. Wenn sich Ayala gerade freinehmen wollen würde, ginge das nicht. 2,5 Tage stehen ihr jeden Monat zu. Stattdessen springt sie für Kollegen ein und spricht von Glück, wenn sie pünktlich um 8 Uhr morgens nach Hause gehen kann. Immerhin kann sie dem Coronavirus dankbar sein für eine gewisse berufliche Sicherheit, so blöd das auch klingt. Seitdem sie in den Beruf eingestiegen ist, hangelt Clara sich von einem Dreimonatsvertrag zum nächsten. Um sich eine Auszeit zu nehmen, war die Krankenschwester im Oktober drei Wochen ohne Anstellung. In ihrem aktuellen Vertrag sind nur Nachtschichten vorgeschrieben.

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Die Arbeitsverhältnisse im Gesundheitswesen bezeichnet die engagierte Krankenschwester deshalb als „Agonia“, Todeskampf. Der Lohn sei niedrig. Zwischen 1800 und 2000 Euro netto verdient sie im Monat. Wenn sie in der Zeitung von Ärzten liest, die „würdige Arbeitsbedingungen“ fordern, treffe das auch auf Krankenpfleger zu. Einige Ärzte beklagen, dass sie statt 37,5 mehr als 60 Stunden in der Woche arbeiten müssten und für die Überstunden keinen Lohnausgleich erhielten. Nach 24-Stunden-Schichten gebe es nicht einmal zwölf Stunden Pause. Der zuständige spanische Verband „Mir“ kritisiert, dass das Personal mehrere Jahre studiere und teils mit Tagesverträgen angestellt sei. Viele zöge es deshalb aufs Festland oder in andere Länder der Europäischen Union. 2025 würden in Spanien 10.000 Ärzte fehlen.

Clara Ayala würde sich freuen, wenn ihre Arbeit von Politikern und allen anderen Menschen stärker wertgeschätzt würde. Wenn sie sich ihren Schutzanzug auf Station überzieht und die Beatmungsmaschinen bedient, sei das wie, wenn sie in einem Krieg an der Front kämpfe. „Das Krankenhaus ist das Schlachtfeld“, sagt sie. Sie setzt sich dann auch mit Patienten auseinander, die ungeimpft seien. „Einzelne sagen, dass sie kein Corona hätten und wegen einer anderen Sache hier lägen.“

Der Krieg endet für die Krankenschwester allerdings nicht, wenn sie das Hospital verlässt. Sie versucht, nicht daran zu denken, dass eine Minderheit sich nicht impfen lassen will. Darunter sind auch Freunde oder Familienmitglieder von ihr, mit denen sie bewusst nicht über das Thema spricht. Auf den Balearen sind rund 15 Prozent der Menschen ab fünf Jahren noch nicht immunisiert. Die Impfung schütze vor „hässlichen Dingen“, sagt Ayala. Für sie sind das Beatmungsgerät und das künstliche Beatmen eines Kranken durch Nase oder Mund zum Bild der Pandemie geworden.

Wie viele Menschen Clara Ayala in eineinhalb Jahren auf Station hat sterben sehen, kann sie nicht sagen. Sie weiß es einfach nicht mehr. Ob da draußen gerade eine fünfte, sechste, siebte Welle ankommt, dafür fehlt ihr ebenfalls das Gefühl. Sie sagt jedoch, dass sich die hohe Impfquote seit dem Sommer positiv auf das Pandemiegeschehen auswirke. Nach Angaben des balearischen Gesundheitsministeriums sind derzeit lediglich 20 Prozent der Covid-Betten auf den Inseln belegt.

Die Bilder von sterbenden Menschen setzten sie unter Stress und lösten Angst in ihr aus. Um mal nicht an Covid-19 zu denken, was fast unmöglich sei, geht die Krankenschwester spazieren oder liest Thriller. Ihr Freund federt ebenfalls viel Stress ab, das Paar wohnt zusammen in Palma. Er ist ebenfalls in der Branche als Pharmavertreter tätig.

Die Pandemie hat Clara Ayala auch ein paar schöne Momente beschert. „Immer wenn ich sehe, wie ein Patient die Intensivstation verlässt, bestärkt mich das in meinem Beruf.“ Der sei ein sehr schöner. Den Kranken und ihren Familien während des Aufenthaltes beizustehen und ein Verhältnis aufzubauen, gebe ihr viel. Manche Patienten verließen die Station nach zwei, drei Wochen wieder, andere erst nach drei Monaten. „Wenn sie sich ganz am Ende bedanken, ist das ein schönes Gefühl.“

(aus MM 2/2022)