Den Spruch, der in seinem Atelier hängt, hat der Künstler auch auf eine Wand in der Carrer de Sant Domingo in Palma gebracht. | man

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Das Atelier sieht genau so aus, wie man es von so einer Künstlerwerkstatt erwartet. Nicht unbedingt unordentlich, aber doch kreativ-chaotisch. Die wahrscheinlich größten Unterschiede zum klassischen Leinwand-Künstler sind die überall im Raum verteilten Arbeitsutensilien. Anstelle von Pinseln, Staffeleien und Leinwänden sind es Sprühdosen, Schnittmusterfolien und bunte Edding-Marker, die auf ihren Einsatz warten. Über der größten Arbeitsfläche im Raum steht der Spruch „Hey Banksy hold my drink mate...” an die Wand gesprüht. Banksy ist das Pseudonym eines mutmaßlichen britischen Streetart-Künstlers, der es durch seine Kunst und das Geheimnis um seine Identität zu internationaler Anerkennung gebracht hat.

Alejandro Ceballos bei der Arbeit.

Mit äußerst intelligenten, aber von dunklen Ringen umrandeten und tief in den Höhlen liegenden Augen betrachtet Alejandro Ceballos, der in Palmas Straßenkunstszene eher unter den Pseudonymen „inkterrorist” oder „Sonríe” bekannt ist, den Spruch aus schwarzer Farbe auf seiner weißen Wand. „Das entstand vor ungefähr einem Jahr. Da ging es mir richtig gut. Ich glaube daher kam dieser Spruch. Mir war, als könne ich alles erreichen.” Er zieht an seiner selbstgedrehten Zigarette, schüttelt mit dem Kopf und seine Augen füllen sich mit Tränen. Ceballos wächst in der spanischen Region Extremadura unweit der portugiesischen Grenze auf. Als Kind und Jugendlicher habe es nur zwei Dinge gegeben, die ihn interessiert hätten: Skateboard fahren und Zeichnen. „Ich habe einfach immer auf allem herumgekritzelt und das eigentlich schon, seit ich einen Stift halten kann.”

Die Kunstwerke bestehen aus mehreren
Lagen gesprühter Farbe. Fotos: man

Wenn das Papier mal knapp oder das Skizzenbuch voll war, habe er eben auf alten Kassenzetteln weiter gemalt. Hauptsache, er habe die Bilder aus seinem Kopf auf irgendeine Art Leinwand bringen können. Diese Kunstform bezeichnet man allgemein als „Doodle-Art”, also einfache Zeichnungen, die entweder abstrakt sind oder auch eine konkrete, repräsentative Bedeutung haben können. Ceballos wird irgendwann der Schule verwiesen, rebelliert in seiner Jugend gegen das System und verliert sich anschließend in der Partyszene seiner Heimatstadt. Mit Gelegenheitsjobs hält er sich über Wasser. „Ich habe zwei Jahre lang immer mal wieder auf der Straße gelebt, die Hälfte des wenigen Geldes, was ich hatte, habe ich für Farbdosen und Stifte ausgegeben. Den Rest für Essen.” Dann der Anruf eines Freundes: „Hey, komm doch nach Mallorca. Es ist wirklich schön hier!”

Heute, viele Jahre später, ist es schwer, durch die Stadt zu bummeln, ohne eine seiner Arbeiten zu entdecken. Mit den über 5000 Schmierereien, die die Stadt alleine im vergangenen Jahr hat entfernen lassen müssen, will er dabei nicht in einen Topf geworfen werden. „Die Leute kennen mich hier mittlerweile und wissen, dass ich angetreten bin, um das Stadtbild mit urbaner Kunst zu bereichern.” Es sei nicht nur einmal vorgekommen, dass er bei seiner Arbeit von einem Hauseigentümer überrascht wurde. "Ich bin dann immer offen und ehrlich und sage, wer ich bin und was ich tue. Ich bitte die Leute nur darum, mich mein Bild fertigstellen zu lassen und sollte ihnen das Ergebnis nicht gefallen, komme ich am nächsten Tag mit dem Farbeimer und überstreiche alles wieder.” Das sei allerdings in den vergangenen Jahren die absolute Ausnahme gewesen.

Hauptsächlich arbeitet der 36-Jährige mit handgefertigten Schablonen, die dann schichtweise auf eine Wand aufgelegt und besprüht werden, sodass sie am Ende ein Bild ergeben. „Ich würde sagen, meine Arbeiten sind einfach zu verstehen.” Manchmal werde er dennoch gefragt, was er mit diesem oder jenem Bild ausdrücken wolle. „Dann sage ich meistens: Schau doch hin! Mehr ist es nicht.” Seine Werke sollen stets einfach und leicht durchschaubar sein. Als Künstler sieht sich der Spanier dabei nicht zwingend. „Wenn ich ein Auto reparieren kann, bin ich dann automatisch ein Mechaniker? Bin ich also, wenn ich ein Bild malen kann, automatisch ein Künstler? Ich finde, Kunst ist die am höchsten entwickelte Ausdrucksform, die wir Menschen haben. Deshalb gehe ich mit dem Begriff Künstler sehr vorsichtig um.” Für ihn sei das so oder so nie sehr bedeutsam gewesen. Seine Bilder seien immer nur eine Möglichkeit gewesen, um der Realität zu entkommen. Ein Ventil, das aktuell kaputt zu sein scheint.

Sonríe (spanisch: „Lächeln”) wischt sich über die tränenfeuchten Wangen und schaut erneut zu dem Banksy-Spruch. „Ich bin auf einer Abwärtsspirale und weiß nicht, wie tief ich dieses Mal falle. Ich habe eine unüberwindbare Blockade.” Bereits vor Jahren wird Ceballos von Ärzten eine tiefe Depression in Kombination mit extremen Angststörungen attestiert. „Früher war die Kunst, die eine Sache, die mir ermöglicht hat, alles andere auszublenden. Keine Gedanken, keine Gefühle, keine Unsicherheiten und vor allem keine Angst. Nur ich, meine Idee und meine Farben.” Das sei heute anders. Warum, wisse er selbst nicht. Derzeit könne er meistens nicht mal die 50 Meter von seiner Wohnung bis zu seinem Atelier überwinden. Oft sei sein Hund „Llonguet” der einzige Grund, warum er das Haus verlasse. „Ich habe mir in den vergangenen Jahren so viel aufgebaut und jetzt das Gefühl, machtlos dabei zuschauen zu müssen, wie das alles wieder in sich zusammenfällt.” Er wisse zwar nicht, wie es für ihn weitergeht, aber aufgeben sei eben auch keine Option. „Sonríe habe ich zu meinem Pseudonym gemacht, weil es Lächeln bedeutet. Nicht das TV-Show-Lächeln, sondern das Siegesgewisse, das man aufsetzt, bevor man sich in den Kampf stürzt.”