Künstlertochter und Nachlassverwalterin: Madeleine Girke in der Galerie Kewenig vor Werken ihres Vaters. | Martin Breuninger

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Weiß ist die Königin der Farben.” So notierte es Raimund Girke (1930-2002) im Jahr 1960. Mehr als vier Jahrzehnte stand die Nicht-Farbe, die er zur höchsten aller Farben erkor, im Zentrum der abstrakten, gestischen Malerei des Künstlers. Nach zwei umfangreichen Ausstellungen in Berlin präsentiert die Galerie Kewenig bis Freitag, 15. März 2024, erstmals in Palma Werke Girkes, der als einer der maßgeblichen Wegbereiter der analytischen Malerei gilt.

Veranstaltet wird die Schau mit dem Titel „Akzente” in Zusammenarbeit mit Madeleine Girke, die den Nachlass ihres Vaters verwaltet. Was ihn Mitte der 1950er Jahre bewog, nach der Hinwendung zur gestisch-rhythmischen Abstraktion des Informel das Weiß ins Zentrum seiner künstlerischen Auseinandersetzung zu rücken, vermag sie nicht zu sagen. Will sie trotz aller möglichen Erklärungen auch gar nicht. „Ich glaube, viele Leute haben dazu eine Meinung. Ich möchte die mir gar nicht geben, weil ich diesen einen kleinen Moment gar nicht habe, und den haben auch die anderen nicht. Den hatte er”, sagt sie. „Ich finde es gar nicht so wichtig, zu wissen, warum. Ich finde es interessant, was er damit gemacht hat, was es für ihn bedeutet hat.”

Anhand von Äußerungen des Künstlers lässt sich immerhin nachvollziehen, welche Überlegungen ihn dabei geleitet haben, im Sinne einer möglichst objektiven bildnerischen Gestaltung „Klarheit und Ordnung” zu schaffen. Dies führte ihn zu einer Reduzierung der gestalterischen Mittel, eben auch der Farbe. „Vielfarbigkeit lässt die Farbe nicht zur Wirkung kommen, es besteht ständige Konkurrenz”, begründete er 1960 seine Malerei, die auf wenige Farben reduziert, teilweise sogar quasi monochrom war. In Weiß hatte er „die strahlendste und intensivste Farbe” gefunden. „Weiß”, schrieb er, „ist die Farbe, die dem Licht am nächsten ist.”

In der Reduzierung und mithin Beschränkung der Mittel erkundete Girke ein weites Feld. Malte er in den 1950ern pastös, lotete er in den 70ern die Möglichkeiten der – fast – monochromen Malerei und der Sprühtechnik, arbeitete zudem mit horizontalen Abstufungen. In den 80er Jahren löste die Geste die Strenge der Komposition ab. Mit diagonalen und vertikalen Pinselstrichen als expressivem Element beschwor der Künstler die Erfahrung von Dynamik und Bewegung herauf.

In Palma stellt die Galerie Kewenig Werke aus den 1990er Jahren aus, die dem Spätwerk Girkes zuzurechnen sind. In ihnen ziehen sich grobe, freie Pinselstriche richtungsweisend über die Leinwand. Das Weiß steht im kontrastreichen Miteinander mit anderen Farben. Im Spiel mit Schwarz, Grau, Blau und Braun unterschiedlicher Intensität und Leinwandpräsenz, wobei das Weiß mit der eigenen Energie die Strahlkraft der anderen Farben verstärkt. Es sind Farben, die nicht etwa aus der Tube kommen, sondern die Girke selbst aus Pigmenten hergestellt und Schicht um Schicht aufgetragen hat. Mit der Bewegung der Pinselstriche und der Überlagerung der Farbschichten verlieh der Künstler seinen Werken eine besondere Tiefe. Mit der vielseitigen Umsetzung seiner Methodik setzte er zudem in jedem seiner Bilder einen anderen Akzent – daher der gleichnamige Titel der Ausstellung.

kewenig madeleine girke
Künstlertochter und Nachlassverwalterin: Madeleine Girke in der Galerie Kewenig vor Werken ihres Vaters.

Eines dieser Werke mit dem Titel „Durchdringung Weiß und Blau” hängt über dem Altar der ehemaligen mittelalterlichen Kapelle, die der Ausstellungsraum der Galerie ist. Als Madelaine Girke das Gemälde dort hängen sah, dachte sie: „Das sind für mich die Farben Mallorcas.” Tatsächlich ist ihr Vater in den 1990er Jahren mehrere Male auf Mallorca gewesen und in einem kleinen Hotel in Llucalcari abgestiegen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Künstler war kein „Landschafter”, wie er es in einem Gespräch mit dem Kunsthistoriker Dietmar Elger nannte. Auch Madelaine Girke sagt: „Es war sicherlich nicht seine Intention, eine Malerei der Landschaft zu machen, sonst hätte er Landschaften gemalt. Trotz alledem ist es einem selber überlassen, das zu sehen, was man empfindet. Das ist die schöne Freiheit in der Kunst, auch des Betrachters.”

Wer sich die Zeit zum Betrachten gibt, nimmt in den Werken Girkes mehr als nur die – kontrastreich hervorgehobene – Geste wahr. Jedes Bild strotzt vor Energie, und mit jedem Akzent, den der Künstler setzte, schuf er eine eigene Energie und Dynamik.

„Beim Anschauen der Bilder habe ich immer das Gefühl, das ist so aktuell wie nie”, sagt Madeleine Girke und erzählt, dass die Werke ihres Vaters viele Leute berührten, zunehmend auch jüngere. Und als hätte es eines Beweises bedurft, betritt während des Gesprächs eine Frau den Ausstellungsraum der Galerie, angezogen von den großformatigen Arbeiten, die sie durch das große Fenster gesehen hat. „Das ist die Magie des Pinselstrichs meines Vaters”, stellt Girke fest. Und sie lächelt.