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Wer nicht genau weiß, wo der Ort des Geschehens liegt, könnte an diesem auch beim zweiten Hinsehen glatt vorbeilaufen. Das Schild, das an einer Hauswand in einer stillen Gasse im schnuckeligen Aprikosendorf Porreres auf den österreichischen Kulinarik-Hotspot hinweist, ist zu klein, um es sofort zu sehen. „Wiener Wohnzimmer” steht darauf, der MM-Emissär ist fast so gespannt wie ein Flitzebogen.

Nach einem kurzen Klingeln und einem einladenden Lächeln von Hausherrin Bettina Distel weicht die Anspannung gelassener Vorfreude, die durch ein Glas Schaumwein potenziert wird. Im Innern des rustikalen Dorfhauses soll ein Gastro-Ereignis über die Bühne gehen, das seinesgleichen auf der Insel sucht: ein fünfgängiges Menü Wiener Art nebst vorgeschaltetem „amuse bouche”, Gaumenschmaus genannt, und das nicht in einem Restaurant, sondern wie bei Muttern im Wohnzimmer ( www.wienerwohnzimmer-mallorca.com ).

Das Konzept hatte Bettina Distel, die ehedem im unweit der Austro-Hauptstadt gelegenen Perchtoldsdorf einen Heurigen unterhalten hatte, bereits vor ihrer Auswanderung auf die Insel im Jahr 2019 im Kopf. Doch in die Tat umsetzen konnten sie und ihr Gatte die Idee erst nach der Corona-Pandemie. „Wir richten uns mit unterschiedlichen Angeboten an deutschsprachige Residenten und Zweitwohnsitzler”, sagt die Wirtin, während in der Küche das Geschirr klappert, der Grüne Veltliner zum Entkorken vorbereitet wird und am langen Tisch das Besteck jungfräulich glänzt.

Das Menü, das den elf Gästen kredenzt wird, lässt im Innersten der Seele den geschichtsschwangeren Charme der österreichischen Kapitale aufflackern: Schon nach dem ersten Biss ins Beef Tartar mit Toast fühlt man sich, als würde man im berühmten Riesenrad die Stadt überblicken. Bei der Altwiener Erdäpfelsuppe geraten die Geschmacksnerven vollends in Verzückung. Und dann kommen noch Backhendl-Salat, gedünsteter Zwiebelrostbraten mit Bratkartoffeln und Palatschinken mit Marillenmarmelade auf den Tisch.

Die kulinarischen Erlebnisse im „Wiener Wohnzimmer” werden nicht jeden Tag geboten – und nur von September bis Pfingsten, immer für 55 Euro. „Jeweils am ersten Samstag gibt es klassische Wiener Kost wie Kaiserschmarrn oder Schnitzel”, so Bettina Distel. Das nächste Happening steigt am kommenden Sonntagmittag um 13 Uhr. Dann wird ein sogenanntes Reindl-Essen veranstaltet: Jeder Gast darf sich Spezereien wie Knödel selbst aus dem Topf klauben und auf den Teller drapieren.

Bettina Distel sieht das gemütliche Beisammensein im „Wiener Wohnzimmer” auch als gesellschaftlich relevanten Vorgang. „Hier haben sich schon Freund- und sogar Partnerschaften entwickelt.” Die Chemie stimmt jedenfalls, zumal die rustikal-freundliche Umgebung des Dorfes die Laune noch intensiver zu Höhenflügen ansetzen lässt.