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Es fühlt sich ein wenig an wie vor einer Geisterbahnfahrt. Mit dem kleinen Unterschied, dass das graue Felstor, das jetzt vor der Autokarawane auftaucht, echt ist. Der darauf gemalte Geißbockkopf mit der darunter gemalten spanischen Nationalflagge weist den Weg ins Unbekannte. Was verbirgt sich dahinter? Ist es ein langer düsterer Felstunnel, ist es das unberührte Paradies? Die sieben vorab angemeldeten Autos stehen in einer Warteschlange vor dem Felseingang. Die Organisatorin zählt noch einmal durch. Dann gibt es grünes Licht und das Tor öffnet sich.

Langsam fährt die Karawane vor. Es gibt keine Monster mit glühenden Augen, keine Berg- und Talfahrt. Der Tunnel ist kurz, das Licht dahinter hell und der Weg führt in eine fast unberührte Landschaft. Blühende Gräser, die sich dicht über die Hänge ziehen. Kiefernwälder mit fast freiem Blick aufs Cap Formentor. Die Schotterstraße führt auf die äußerste Spitze der Halbinsel La Victòria, das Cap Pinar.

Die 104 Hektar Land sind seit 1948 militärisches Sperrgebiet, damals aus Verteidigungsgründen, heute dient die Zone als Manöverübungsplatz. Seit Jahren wird diskutiert, ob sie für die Öffentlichkeit frei zugänglich werden soll. Jetzt hatte die Gemeinde Alcúdia einige Besuchstermine organisiert.

Nach wenigen Metern stehen zwei, drei kleine Militärkasernen in dunkelgrün, beige und braun. "Damit die Vögel nicht irritiert werden", gibt ein Soldat als Begründung an. Naturschutz der besonderen Art. Auch das Wachhundhäuschen ist tarnfarben, der Wachhund dagegen ein lieber kleiner Ratero, der später am Strand spielend die Steine sucht.

Passkontrolle. Passnummer und Namen der Teilnehmer müssen vorher angemeldet werden. "Todo por la patria" steht über dem Eingang eines der Gebäude - alles für das Vaterland. Holzpfosten, Steinmännchen mit dekoriertem Adler sind in den spanischen Nationalfarben rot und gelb angemalt.

Zwei Soldaten begrüßen die Besucher, hauptsächlich Mallorquiner aus Alcúdia, freundlich. "Gibt es Raucher"? Nein - kein Einziger outet sich. Dann ist Regel Nummer 1 schon obsolet - kein Rauchen auf dem gesamten Gelände. Ansonsten darf die Gruppe an einem vorgeschriebenen Parkplatz parken - Heck nach hinten - um bei Feuer schnell losfahren zu können. Frei zugänglich sind ein kleiner Strand und der Weg zum Leuchtturm. Der Rest ist unwegsam und zugewachsen.

Die Organisatorin läuft vorneweg. Eine anstrengende Wanderung kann das hier nicht sein - ihre Bastsandalen mit zehn Zentimeter Absätzen würden das nicht mitmachen. Es sind viele Familien mit Kindern dabei, die direkt zum Leuchtturm ziehen. Eine kleine Gruppe bleibt am Strand. Zwei ältere Damen gehen schnorcheln. "Fantastisch", sagt eine davon später. Man sehe hier Muscheln, die es nur in sehr klarem Wasser gebe.

Militärisches Sperrgebiet, nicht öffentlich zugänglich - das klingt nach Übungsplätzen, nach Beton und dem ein oder anderen Panzer. Aber das hier sieht anders aus. Nur das olivgrüne kleine Ruderboot am Strand und das Tarnnetz über den Hängematten deuten darauf hin, dass es kein normaler Badestrand ist.

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Seit 1948 ist dieser Zipfel Mallorcas Militärzone und für Zivilisten gesperrt. Wie viele Soldaten hier Wache schieben, könne er nicht sagen, gibt der diensthabende Soldat an. Das variiere stark. Zurzeit scheinen es nicht mehr als zwei oder drei zu sein.

Das Wasser ist klar, eine einsame Plastiktüte treibt in der Tiefe herum. Kleine Fischschwärme ziehen vorbei, ein Seeigel, durch die Taucherbrille erscheint er handtellergroß, liegt auf dem Meeresboden. Am meisten fällt die Ruhe auf, die nur durch das mallorquinische Geplauder unterbrochen wird. Boote dürfen nur bis auf 300 Meter, 100 Meter mehr als im zivilen Bereich, an den Strand heran, um zu ankern, erzählt der Soldat, der gerade Dienst hat. Es gehe auch darum, dass das Seegras bei Ankermanövern nicht beschädigt werde - "wenn jemand zwei-, dreimal einen Anker auswirft, sind direkt mehrere Quadratmeter der Posidonia, des Neptungrases im Meer, beschädigt. Das Gras wirft mehr frischen Sauerstoff ab, als der gesamte Wald hier".

Einige aus der Gruppe waren schon früher hier. In dem einen Haus habe der Leutnant gewohnt und Boote mit frischen Sardinen seien von Alcúdia herübergefahren, weiß eine der Damen. Beim Spaziergang Richtung Leuchtturm hört man nur das leichte Rascheln von Käfern oder Mäusen im Gras. Kein Kiosk, keine Autos, keine Menschen. Hier endet Mallorca.

Die Sonne am Spätnachmittag lässt die Bucht von Pollença im Schleierlicht erscheinen, sie wirkt zerklüftet, wie kleine Inseln, die hervorragen. "Es ist schon etwas Besonderes, dieses Fleckchen", sagt die Österreicherin Barbara Hundin, die mehrere Jahre auf Mallorca gelebt hat. Die Bucht von Pollença würde sie aus dieser Perspektive zum ersten Mal richtig verstehen. Auch das Cap Formentor könne man von hier aus in seiner ganzen Pracht sehen.

Zurück am Strand ist der Soldat ins Plaudern gekommen. Zwei Mallorquiner lauschen seinen Worten, werfen in dunklem Mallorquín, mit der typischen Aussprache des Inselnordens, ihre Meinung ein. Der Soldat antwortet auf Spanisch. Es geht darum, ob es gut sei, dass dies militärisches Gebiet bleibe. Er mische sich nicht groß in die Politik ein, sagt er. Er mache hier seine Arbeit, es sei auch Naturschutz, den sie betreiben. Die beiden Männer nicken kräftig. Einmal offen, dann gehe alles schnell vor die Hunde, ist die einhellige Meinung der kleinen Diskussionsgruppe.

Auch in der Woche zuvor sollte ein Besuch auf dem Cap Pinar stattfinden. Wegen eines Manövers konnte dann aber niemand auf die Landspitze kommen. In solchen Fällen üben die Soldaten Rettungsaktionen an den steilen Felswänden und fiktive Angriffe - wenn der "Feind" vom Wasser aus an Land möchte und die Truppe das Gebiet verteidigen muss.

Die Vertreibung aus dem Paradies geschieht hier sanfter als bei Adam und Eva. Die Organisatorin klopft auf die Uhr. Die drei Stunden sind um. Beim Passieren der Kaserne lehnt einer der Soldaten entspannt am Hauseingang. Die Autokarawane wirbelt Staub auf. Das Metalltor mit dem Geißbock schließt sich.

(aus MM 22/2015)