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Es war ein Moment, der manch einem ein Gefühl von bohrender Furcht in die Knochen getrieben haben dürfte: Am Freitag, 21. Juni, hob sich im lauschig-schönen Port de Sóller unvermittelt der Wasserstand des Meeres, und das Nass breitete sich zur Verwunderung der Passanten lautlos auf den Molen aus. Die Menschen wurden Zeugen einer sogenannten „Rissaga”. Das ist eine Art Mini-Tsunami, der sich rund um die Balearen immer mal wieder ereignet, mit Seebeben oder dergleichen aber anders als richtige Tsunamis in Asien oder Südamerika nichts zu tun hat. Genau 1,74 Meter war der Scheitel der Welle diesmal hoch, im vergangenen Jahr hatte so ein Phänomen in Alcúdia für Beunruhigung gesorgt. Spätestens angesichts eines solch verstörenden Vorgangs dürfte jedem klar geworden sein, dass das Mittelmeer nicht weniger unergründlich, wild und unheimlich ist als die großen Ozeane.

„Rissagas” entstehen vor allem dann, wenn gewisse Voraussetzungen zusammenkommen: Wenn warme Luftmassen in 1000 bis 1500 Meter Höhe von Afrika zu den Balearen strömen, von starken Südwinden überlagert werden und dazu noch bewölkter Himmel, gegebenenfalls mit Niederschlag, vorherrscht und die Wassertiefe gering ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit laut der Wetteragentur Aemet relativ groß, dass so ein Mini-Tsunami entsteht. Die Schwankungen des Meeresspiegels können lediglich 50 bis 60 Zentimeter betragen, aber auch – wie im Jahr 2006 in Ciutadella auf Menorca geschehen – erschreckende vier Meter betragen. Im vergangenen Jahr in Alcúdia lagen sie je nach Ort zwischen 50 Zentimetern und anderthalb Metern.

Solche „Rissagas” haben die Kraft, mitunter auch hohe, plötzlich auftauchende Wellen entstehen zu lassen, die für Küstenbesucher gefährlich werden können. Im Juli des vergangenen Jahres war ein Deutscher an der Steilküste bei Cala Egos von so einem Ungetüm erfasst und ins Meer gerissen worden. Auch seine zwei Kinder gerieten in Gefahr, konnten aber gerettet werden.

Nicht weniger tückisch wie Meeresspiegelschwankungen sind Unterströmungen an einigen Küstenabschnitten der Insel. Der Traumstrand Playa de Muro ist davon zwischen dem Abschnitt 2 und 4 besonders betroffen, auch an Stränden im Inselosten kommt das Phänomen vor: Die Wellen werden an Hindernissen wie Sandbänken oder Dämmen ausgebremst, sie bündeln sich und fließen kraftvoll – einem unsichtbaren Fluss ähnlich – auf das offene Meer zurück. Wer als Schwimmer dort hineingerät, hat ein Problem. Experten raten, bloß nicht gegen die Strömung anzukämpfen, die Kräfte zu schonen und zu versuchen, seitlich hinauszuschwimmen. Wenn das nicht gelingt, sollte man im Wasser auf der Stelle treten, um Hilfe rufen und durch Armbewegungen auf sich aufmerksam machen. An bewachten Stränden ist es in der Regel so, dass Rettungsschwimmer die gefährlichen Stellen markieren. Im Sommer 2017 war ein 66-jähriger Tourist aus Dänemark vor Mallorca in so eine Strömung geraten und gestorben.

Zusätzlich zu den genannten Phänomenen kann man immer mal wieder auch Windhosen auf dem Meer beobachten, ein als „Cap de fibló” wohlbekanntes Ereignis auf Mallorca. Wer hineingerät, dem wird das Fürchten gelehrt. Damit sich eine Windhose bildet, muss es eine hinreichend starke vertikale Temperaturabnahme geben. Zudem muss es in ein bis zwei Kilometer Höhe genügend feucht sein. Energielieferant von Windhosen ist die im Wasserdampf der nassen Luftmasse gespeicherte Wärme, die bei der Kondensation freigesetzt wird.

So unheimlich das Mittelmeer mitunter ist, es kann auch durchgreifend tödlich sein: Im vergangenen Jahr entdeckten Wissenschaftler vor allem im Osten und Südosten von Mallorca etwa 5000 Felsbrocken, die vor ewigen Zeiten von richtigen Tsunamis an die Küste geschleudert worden waren.

Die waren wie auch in anderen Regionen der Welt nach Beben entstanden. In Algerien gibt es immer mal wieder solche Erdstöße. Sollte es also in Nordafrika in dieser Hinsicht übel zugehen, kann ein Tsunami Mallorca innerhalb von 30 bis 40 Minuten erreichen. Das Mittelmeer ist halt kein belächelnswertes Gewässer.