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Zwar genießt Heiner Süselbeck schon längst sein Rentnerdasein, aber ruhig ist das Leben des ehemalige Inselpfarrers deshalb noch lange nicht. Vier Jahre lang hat er in Kirchenarchiven gewühlt und Interviews geführt, um die mehr als 110-jährige Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde der Balearen niederzuschreiben.

Herausgekommen ist eine 66-seitige, reich bebilderte Broschüre, die bei Gottesdiensten und Gemeindefesten ausliegen soll. Von 1990 bis 1996 war Süselbeck als Pfarrer auf den Balearen tätig. Im Nachhinein habe ihn fasziniert, dass die Auslandsgemeinde so erfolgreich war und er wollte ihr ein kleines Denkmal setzen.

„Früher kamen Aussteiger, Flüchtlinge, Nazis, Leute mit bizarren Biographien. Es gab also keine religiöse Tradition auf der Insel“, sagt er. Und dennoch: 1906 wurde die evangelische Gemeinde mit weniger als 20 Mitgliedern ins Leben gerufen, heute sind über 300 Menschen aktiv. „Das ist für mich das Wunder der Kirche und erinnert an Jesus, der sich nicht zu schade war, sich mit den Sündern und Zöllnern an einen Tisch zu setzen”, erklärt der 74-Jährige, der seit 2010 mit seiner Ehefrau in Andratx lebt und die Herzlichkeit der Menschen auf Mallorca liebt.

Drei Persönlichkeiten haben ihn während seiner Recherchen besonders fasziniert: Da wäre zum einen Paul Esch-Hörle, genannt „Don Pablo“, der sich in den 20er Jahren als einer der ersten Aussteiger auf Mallorca niederließ und erster Schatzmeister der Gemeinde wurde. Hörle stammte aus einer Duisburger Fabrikantenfamilie, begeisterte sich auf einer seiner zahlreichen Reisen für Mallorca, verkaufte daraufhin seine Firmenanteile und ließ sich in Sóller nieder. „Er hat mich besonders interessiert, weil er wie ich vom Niederrhein stammt und weil er ein gesinnungstreuer Nazi war, später aber seine Haltung bereute“, erzählt Süselbeck.

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Auch Karl-Ernst Patzer widmet er ein Kapitel in seinem historischen Rückblick. Der erste ausschließlich für Mallorca zuständige Pfarrer hatte gute Kontakte zu den Franziskanern und gilt als „Vater“ der Weihnachtsgottesdienste in der Kathedrale von Palma. Legendär sind bis heute seine Worte bei der Premiere des Gottesdienstes im Jahr 1971. 6000 Menschen kamen in die Kirche, saßen teilweise auf dem Boden. Bei ihrem Anblick rief er: „Wo kommt ihr denn alle her?“

Unvergesslich ist für Süselbeck auch Dietrich Hillebrandt, der sich in den 70er Jahren auf ungewohnt moderne Weise um die Schäfchen auf der Insel kümmerte. „Nachts baute er Modellflugzeuge, die mit einer elektrischen Klappe versehen waren“, erzählt der Hobbyhistoriker. Tagsüber ließ er sie über dem Strand fliegen und aus der Klappe flogen Werbezettel für Gottesdienste in Peguera. „Hillebrandt schlug außerdem die Brücke zur Kirche vor Ort. Er sorgte dafür, dass Gottesdienste in katholischen Kirchen abgehalten werden konnten“, ergänzt Süselbeck. Auch um die lokale Kultur machte Hillebrandt sich verdient. Mit seiner Frau Christa entdeckte er die in Vergessenheit geratenen historischen Orgeln der Insel und veranstaltete Konzerte mit den alten Instrumenten.

Süselbecks Bilanz nach mehr als 110 Jahren evangelischer Gemeinde: „Zurzeit erlebt sie ihre Blütezeit. Das zeigt, dass die Leute Sehnsucht haben, von guten Mächten geborgen zu bleiben“, betont er. Er selbst will künftig kürzertreten. Bis vor kurzem war er noch in der Partei PSOE, der Caritas und mehreren Gesprächskreisen aktiv. „Die Coronakrise zeigte mir, dass ich auch gut ohne Engagement kann. Nach der Zeit des Lernens und Arbeitens ist jetzt die Zeit des Betrachtens gekommen“, lautet das Fazit des bald 75-Jährigen.

(aus MM 33/2020)