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Wegen seiner geschützten Lage, umringt von 1000 Meter hohen Bergen, und dem Wasserreichtum der Gegend, war das fruchtbare Tal, das heute die Finca Galatzó bildet, bereits in vorchristlicher Zeit besiedelt. Das beweisen die Fundstätten aus der Bronzezeit, die man dort noch heute besichtigen kann. Seine wichtigste Prägung aber erfuhr die Gegend unter muslimischer Herrschaft vom 10. bis zum 12. Jahrhundert, als das ausgeklügelte Bewässerungssystem entstand, das nun wieder hergerichtet wurde und künftig die landwirtschaftliche Nutzung ermöglichen soll.

Die erste schriftliche Erwähnung als Landgut stammt aus dem Jahr 1283, also aus der Zeit kurz nach der Rückeroberung Mallorcas durch Jaume I. Wie bedeutend die Finca in der Geschichte der Gemeinde war und wie viele Menschen dort damals gelebt haben müssen, belegt die Tatsache, dass in der Kapelle des Landgutes ab dem 15. Jahrhundert Messen gefeiert werden durften. Neben einer bedeutenden Getreideproduktion, auf die neben den beiden Wassermühlen auch die zahlreichen Tennen hinweisen, die es auf dem Gelände gibt, widmete man sich dort auch der Viehzucht und dem Weinanbau. Neben Oliven wurden auch Mandeln geerntet. Es gab Gemüsefelder und Bienenstöcke. In den Eichenwäldern wurde Holzkohle hergestellt.

Das Herrenhaus, das im Laufe der Jahrhunderte mehrfach umgebaut und erweitert wurde, ist vor allem wegen seiner Fassade sehenswert. Unzählige Steine im Putz formen kunstvolle Muster. Über dem Eingang zur kleinen und schlichten Kapelle prangt das Wappen des Grafen von Santa Maria de Formiguera, der im 17. Jahrhundert lebte und als Comte Mal, als böser Graf in die Geschichte einging. Ramon Burgues-Zaforteza Pacs-Fuster de Villalonga i Nét soll äußerst brutal und unerbittlich mit seinen Untergebenen umgegangen sein. Ein Ruf, der über seinen Tod hinaus mit dem Landgut verbunden blieb. In stürmischen Nächten soll der Graf auch weiterhin sein Unwesen treiben, erzählt man sich in Calvià. Wegen des vermeintlichen Spuks hatten die Gutsverwalter hin und wieder gar Schwierigkeiten, Personal zu finden. Am Eckstein gleich rechts neben dem Eingang zur Kapelle befindet sich übrigens eine Markierung, die vom Huf des Pferdes stammen soll, mit dem der Graf eines Nachts über die Finca ritt.

Nachdem das Landgut mehrfach den Besitzer gewechselt hatte, kaufte es im Jahr 1943 der baskische Unternehmer Victorio Luzuriaga, der Sorge hatte vor einem Eintritt Spaniens in den Zweiten Weltkrieg und seine Investitionen breiter streuen wollte. Auf Mallorca kaufte er das Hotel Maricel in Cas Català und die Finca Galatzó. Dort ließ er dann in der Folge unter anderem die Schweineställe errichten, die nun zur Wanderherberge umgebaut werden.

52 Schlafplätze in zwölf Mehrbettzimmern wird es in der neuen Wanderherberge auf der Finca Galatzó geben. Die Gebäudestruktur des ehemaligen Schweinstalls soll beim Umbau weitgehend bewahrt werden. Die Wanderherberge soll bewirtschaftet sein, das heißt, es wird eine Bar oder Cafeteria geben sowie warme Mahlzeiten. Vorgesehen ist auch der Ausbau eines benachbarten Gebäudes zu einem Veranstaltungssaal für etwa 100 Personen. Es ist die neunte Wanderherberge, die der Inselrat betreibt. Insgesamt stehen so mehr als 300 Schlafplätze zur Verfügung. Einen Überblick gibt es im Internet unter der Adresse caminsdepe
dra.conselldemallor
ca.cat/refugis .

Der Abzweigzum Parkplatz der Finca Galatzó befindet sich an der Carretera Es Capdellà-Galilea bei Kilometer 2,2. Vom Parkplatz bis zum Herrenhaus ist es etwa ein Kilometer Fußmarsch. Die offizielle Öffnungszeit der Finca ist von 8 bis 17 Uhr, das wird allerdings nicht kontrolliert. Auch gibt es kein Tor oder Ähnliches, das dann verschlossen wird. Das Herrenhaus ist werktags von 9.30 bis 14.30, wochen-ends und feiertags von 10 bis 17 Uhr geöffnet.

Noch kann man sich kaum vorstellen, dass in dem langgestreckten Gebäude mit dem eingestürzten Dach und den wackligen Wänden, von denen der Putz nur so bröckelt, schon in einem Jahr Wanderer ein bequemes Bett finden und eine warme Mahlzeit serviert bekommen werden. Das aber ist der Plan. 1,4 Millionen Euro investiert der Inselrat in die Restaurierung des ehemaligen Schweinstalls der Finca Galatzó – Geld, das aus den Einnahmen durch die Touristensteuer stammt. Spätestens im Jahr 2022 soll die Wanderherberge eingeweiht werden. In der vergangenen Woche wurde das Projekt präsentiert und der unmittelbar bevorstehende Baubeginn angekündigt. „Wir setzen auf nachhaltigen Tourismus in der Tramuntana und sorgen gleichzeitig dafür, dass unser historisches Erbe bewahrt wird“, sagte Inselratspräsidentin Catalina Cladera.

Die Finca Galatzó gehört zu den bedeutenden Landgütern Mallorcas. Mit mehr als 14 Millionen Quadratmetern ist es eines der größten der Insel und das mit Abstand größte im Besitz der öffentlichen Hand. Im Jahr 2006 war es der damalige Bürgermeister von Calvià, Carlos Delgado, der den Kauf vorantrieb. Neun Millionen Euro ließ sich die wohlhabende Gemeinde im Südwesten Mallorcas das Landgut kosten, das etwa zehn Prozent ihrer Gesamtfläche ausmacht. Seitdem hat sich die Finca zu einem beliebten Ausflugs-ziel entwickelt. Es gibt mehrere Wander- und Spazierwege, die durch Mandel- und Olivenhaine führen, man kann das Erdgeschoss des Herrenhauses samt Ölmühle und Küche besichtigen und im schattigen Garten sitzen, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts angelegt wurde. Etwa 20.000 Menschen nutzen das Angebot jährlich, heißt es bei der Gemeinde Calvià.

Dennoch gibt es auch kritische Stimmen. Gemeinderat Rafel Sedano etwa gibt zu bedenken, dass ein solcher Kauf eigentlich nur sinnvoll ist, wenn man auch einen Plan hat, was man mit dem Landgut anstellen will. „Du musst konstant und koordiniert arbeiten und eine Strategie verfolgen“, sagt er. Außerdem müsse man auch bereit sein, das nötige Geld für den Unterhalt bereitzustellen. In der Vergangenheit sei das Vorgehen der Gemeinde dieser Linie aber nicht gefolgt. Die Investition in Höhe von fast 800.000 Euro in die Restaurierung des historischen Bewässerungssystems samt kilometerlanger Kanalanlage und zwei enormen Wasserbecken zum Beispiel sei erst nötig geworden, weil nicht regelmäßig in die Instandhaltung investiert worden war, sagt Sedano. Seit dieser Legislaturperiode gibt es nun eine Kommission, an der Mitglieder aller im Gemeinderat vertretenen Parteien beteiligt sind, die sich auf eine langfristige Strategie einigen sollen. „Damit es auch im Falle eines Regierungswechsels Kontinuität gibt auf der Finca Galatzó“, sagt Juan Salguero, Mitarbeiter des Umweltdezernats der Gemeinde Calvià.

Ein erstes greifbares Ergebnis gibt es schon: ein Strategiepapier für die Jahre 2020 bis 2024. Oberstes Ziel ist, ein nachhaltiges Modell land- und forstwirtschaftlicher Nutzung zu implementieren, um die Finca Galatzó als traditionelles mallorquinisches Landgut zu bewahren. Also läuft derzeit die Ausschreibung für die Bewirtschaftung der Finca. Gesucht wird ein Unternehmen, das ab 2021 auf dem Landgut nicht nur eine Bio-Landwirtschaft mit Obst- und Gemüseanbau, Viehzucht, Wein- und Honigproduktion aufbaut, sondern dies auch noch mit sozialem Hintergrund tut, sprich: beispielsweise Behinderte beschäftigt. 90.000 Euro hat die Gemeinde dafür pro Jahr eingeplant, sagt José Francisco Giménez, Generaldirektor für nachhaltige Entwicklung der Gemeinde Calvià. Für den Verkauf der auf dem Landgut entstandenen Produkte soll eine eigene Marke geschaffen werden.

Derzeit arbeitet lediglich eine fest angestellte Person auf der Finca: Biel Salom. Er koordiniert den Einsatz der Mitarbeiter, die im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Sozialprojekten das Gelände in Schuss halten. Salom ist aber auch einer der besten Kenner der Finca Galatzó. Denn er ist der Schwiegersohn des letzten „Amo“ des Landguts. Dabei handelt es sich um den Gutsverwalter, der vom Eigentümer eingesetzt und mit der Aufsicht über sämtliche Arbeiten beauftragt war. In den 90er Jahren lebte Salom mehrere Jahre auf der Finca. Und so ist er der Einzige, der Anekdoten kennt, wie die des alten, staubigen Flügels, der noch immer im Obergeschoss steht – als letztes Überbleibsel des einst gewiss prunkvollen Hausrats. „Als die letzten Besitzer alle Möbel verkauften, wollte niemand das Klavier 
haben“, sagt Salom. „Also wurde es wieder an Ort und Stelle gebracht: per Kran über die Terrasse.“

Ob das alte Herrenhaus irgendwann in altem Glanz erstrahlen und dann auch vollständig zu besichtigen sein wird, ist ungewiss. Es müsste dringend restauriert werden. Demnächst aber könnte sich eine Lösung abzeichnen. Zumindest wird derzeit ein Gutachten über den baulichen Zustand des Gebäudes erstellt, auf dessen Grundlage dann das weitere Vorgehen entschieden wird. Es tut sich also einiges auf der Finca Galatzó. Geplant ist etwa auch eine Aufzuchtstation für Maurische Landschildkröten, die als gefährdet gelten. In den vergangenen Monaten sind außerdem die beiden Wassermühlen restauriert worden. Mit Wasserkraft wurde dort jahrhundertelang Getreide gemahlen. Zumindest zu Vorführzwecken soll die Anlage in Zukunft wieder betrieben werden können. Und so bekommen die Wanderer auf der Finca Galatzó künftig nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch einen guten Einblick in die Funktionsweise eines traditionellen mallorquinischen Landgutes.

(aus MM 44/2020)