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So richtig glücklich blickt Peggy Jerofke nicht drein. Obwohl der neu hergerichtete Uferboulevard des Urlauberdorados Cala Rajada seit mehr als einem Monat vor Sauberkeit und Schönheit fast strahlt, bemängelt die aus der TV-Serie „Goodbye Deutschland” bekannte Betreiberin des Restaurants Tiki Beach, dass noch nicht alles fertig sei. „Die Grünzonen fehlen noch”, unkt die zierliche Mallorca-Zuwanderin, während sie an einem Tisch speist.

Peggy Jerofke vom Tiki Beach.

Die medienaffine und patente Betreiberin des locker-flockig und zugleich bunt-chillig daherkommenden Lokals mit dem Traumblick auf die Weite des Meers ist nicht die einzige, die nicht voll und ganz zufrieden ist. Im nahegelegenen „Wikiki” lässt man kaum ein gutes Haar an den monatelang dauernden Umbauarbeiten. „Es zog sich so sehr in die Länge”, geifert ein spanischsprachiger Mitarbeiter. Das sei alles wahnsinnig nervenaufreibend gewesen, jetzt könne man etwas aufatmen und habe auch richtig viel zu tun, also auch keine Zeit für ein Foto für MM. In der nahebei befindlichen Pizzeria La Luna ist der italienische Betreiber ebenfalls alles andere als euphorisiert. Dass der Hafen seit vielen Wochen mit mehreren Kränen umgebaut wird, ist dem Wirt ein Dorn im Auge. Im Umfeld der seit Jahren allseits bekannten Wandkunstwerke des Capdepera-Malers Gustavo an der Hafenmauer klafft weiterhin eine große Lücke, doch die Bauarbeiten sind nur als fernes Grummeln zu vernehmen, das den Aperol-Genuss am blitzblanken Tisch mutmaßlich nicht stören dürfte. Von einer Glaswand für die Lücke, die der im Ruhestand befindliche deutsche Architekt Manfred Fassbender Ende Juni als Baumaterial anregte (siehe MM 24/2022) , ist nichts zu sehen. „Anstatt alles später einfach wieder zuzubetonieren, könnte man doch eine Panzerglas-Konstruktion errichten und die Hafenmauer zu etwas wirklich Besonderem machen”, hatte der seit Jahrzehnten mit Cala Rajada verbundene Bundesbürger gesagt.

Noch vor wenigen Monaten stapelten sich hässliche Stein- und Zementreste meterhoch auf der Promenade, Metallzäune und der fast permanente Einsatz penetrant lauter Schlagbohrmaschinen machten das romantische Trink- und Speiseerlebnis auf den Terrassen unmöglich. Die Promenade ähnelte stellenweise einem Acker. Bernd aus Stuttgart, der den Blick in die Ferne sichtlich genießt, findet den jetzigen Zustand traumhaft. „Cala Rajada ist immer wieder schön”, sagt der Urlauber, der während der MM-Inspektion am Dienstag im Umfeld der Restaurants und Bars gerade an einem Espresso nippt.

Die Promenade macht durchaus etwas her.

Die allgemeine Atmosphäre in dem Ort ist gelassen, ruhig und alles andere als chaotisch. Zwar wanken hier und dort bereits am Vormittag angetrunkene deutsche Party-urlauber mit bunten Luftmatratzen und ulkigen Lautsprechern durch die Straßen, doch das Gros, das hier den wohlverdienten Urlaub verbringt, sind Familien und Paare, die in den meist im Vier- und Fünf-Sternebereich angesiedelten Hotels leben. Ein allzu derbes und lautes Ballermann-Klima ist im fernen Nordosten nur hier und dort und eher verhalten zu verspüren. Noch und sogar stärker als vor der Corona-Pandemie dominiert hier eine örtlich geballt auftretende mitteleuropäische Bürgerlichkeit, die man dieser Tage beim Latte-Macchiato-Genuss auch am Chiem- oder Bodensee oder am Lago Maggiore antreffen dürfte. Alternativ wie früher ist Cala Rajada zwar nicht mehr, aber umgekippt in Richtung zu viel Exzess-tourismus ist der Ort auch nicht. Der ausgesprochen genussvoll daherkommende deutsche Zeitgeist, der dieser Tage dort dominiert, trägt dazu bei, dass in dem Ort die zwei bleiernen Corona-Jahre rasch in Vergessenheit versinken.

Die Begrenzungsmauer an der Promenade ist so schön neu.

Sogar an der während der Stippvisite bis fast zum letzten Quadratzentimeter gefüllten Cala Agulla geht es nachgerade gesittet zu. Auf gelben Tretbooten vergnügen sich Kleinfamilien mit glückseligen Urlaubermienen. Im türkisblauen, bereits etwa 30 Grad warmen Meerwasser schwimmen Feriengäste en masse. Mietliegen sind an diesem Vormittag keine mehr zu bekommen. „Iss dat voll?!”, ruft ein wohl aus dem Rheinland stammender Mittvierziger aus, der mitsamt einigen Begleitern aus einem Hotel auf die Straße tritt. Währenddessen breitet eine noch nicht gebräunte, also offensichtlich noch nicht vor langer Zeit auf die Insel gekommene mitteleuropäische Bikini-Schönheit ihr Handtuch auf den etwas von den Massen entfernt befindlichen Felsen aus.

Cala Rajada erlebt einen Sommer zwischen bürgerlich-hellblonder Normalität, einem erneut ausgiebig schönen Terrassenfeeling und einem mitunter aufscheinenden verhaltenen Ballermann-Gefühl. Wie auch immer: Cala Rajada ist und bleibt für seine Fans einfach einzigartig.